Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth - Lichtgut/Achim Zweygarth

Touristenmagnet oder Knock-out für Nebenstandorte? Seit in der Königstraße „Glanzlichter“ leuchten, klagen einige Händler über Vernachlässigung.

StuttgartWährend von den Platanen auf der Königstraße ungefähr 400.000 LED-Lämpchen funkeln, steht Benedict Ireland im Dunkeln: „Wir haben Leerstand, wir haben eine Baustelle – und jetzt auch noch das,“ sagt der Unternehmer. Sein Geschäft für Wohnaccessoires liegt in der Hirschstraße, irgendwo zwischen der dauerlärmenden Hotelbaustelle und einem düsteren Betonfriedhof. Dass pünktlich zum Vorweihnachtsgeschäft nebenan nun auch noch die große Haupteinkaufsmeile angestrahlt wird, stößt ihm bitter auf: „Warum macht die Stadt Werbung für ihre zentrale Einkaufstraße, wo dort doch sowieso genügend Umsatz ist und ein Großteil der Läden aus internationalen Ketten besteht?“ Mit diesem Projekt ziehe man die Besucher aus den Nebenstraßen „und macht uns Lokalen unnötig das Leben schwer“.

Ähnlich wie Ireland geht es auch einigen anderen Kollegen: „Ich fühle mich total vernachlässigt“, sagt Horst Bansemer, der seit einigen Jahren in der Eberhardstraße sein Spielwarengeschäft leitet: „Die Stadt hat die prestigeträchtige Fußgängerzone viel stärker im Blick als uns.“ Auch Ana Minutolo, Inhaberin eines Feinkostladens in der Hirschstraße, nickt: „Wir Traditionsgeschäfte machen den Charme der Stadt aus – und ich habe jetzt schon spürbar weniger Kunden als letztes Jahr.“

Doch während ortsansässige Einzelhändler finster auf die hell beleuchtete Shoppingmeile blicken, weisen die Veranstalter der Initiative Glanzlichter Stuttgart die Vorwürfe zurück: Statt jemanden auszugrenzen, sei die „weihnachtliche Inszenierung“ ein Anreiz, um die Innenstadt zu besuchen – und davon würde laut einem Sprecher der Stuttgart Marketing GmbH auch der Einzelhandel in den benachbarten Straßen profitieren.

„Der Trend geht dahin, dass Städte sich zunehmend inszenieren müssen, um einen interessanten Anlaufpunkt für Gäste und Kunden zu bieten,“ bestätigt Bettina Fuchs , Citymanagerin von der City-Initiative Stuttgart. Die Idee der Glanzlichter habe vor allem deshalb die Unterstützung der Stadt zugesichert bekommen, weil der „prachtvolle Aufschlag“ eine ganze Menge Aufmerksamkeit in Richtung City lenke. In ihrer Zwischenbilanz ziehen die Initiatoren zwei Wochen nach Eröffnung des Lichtermeers ein ähnliches Fazit: Die Glanzlichter hätten „virales Potenzial“ und ein „positives Echo“ in den sozialen Medien erhalten, das Projekt gelte bisher als Erfolg. Aber es stimme schon, dass grundsätzlich alle Quartiere Unterstützung bräuchten, betont Fuchs gleichzeitig. Zwar sei die Idee einer einheitlichen Weihnachtsbeleuchtung für die gesamte Innenstadt bisher aus finanziellen Gründen nicht realisierbar gewesen, aber wünschenswert wäre eine solche Beleuchtung auch in den Nebenstraßen. „Dafür bräuchte es aber das finanzielle Engagement der dort ansässigen Immobilien- und Geschäftsbesitzer und ein weiteres Engagement der Stadt“, sagt Fuchs.

Sich selbst finanziell zu beteiligen findet Ana Minutolo mit ihrem Spezialitätengeschäft hingegen schwierig: „Wir können das nicht leisten – diese Kraft haben dann eben doch nur die großen Ketten auf der Königstraße.“ Tatsächlich ist das Finanzierungsmodell hinter den Glanzlichtern deutlich vielschichtiger: 1,37 Millionen Euro schießt die Stadt zu dem Projekt zu, weitere 500 000 Euro kommen von Dritten. Darunter sind auch die Unternehmen auf der Königstraße, doch von den großen Playern fehlt hier fast jede Spur: Sechs Einzelhandelsbetriebe haben sich finanziell an der Weihnachtsbeleuchtung der Einkaufsmeile beteiligt, nur zwei davon gehören in die Kategorie Großkonzern. Die Lichtskulpturen auf dem Schlossplatz würden außerdem komplett von den Projektpartnern finanziert und das Budget der Stadt hier nur für Nebenkosten angezapft, sagt der Sprecher der Stuttgart Marketing GmbH.

Wie schwierig es ist, ein solches Projekt mithilfe der ansässigen Geschäftsbesitzer zu stemmen, zeigt sich auch in der Calwer Straße. Vor einiger Zeit sei man hier mit vielen Anrainern im Gespräch gewesen, um ein gemeinsames Konzept für eine Weihnachtsbeleuchtung zu entwickeln, gescheitert sei das Ganze jedoch letztlich an der Finanzierung, berichtet Fuchs. „Es war schwierig, genügend Leute zu finden, die sich engagieren“, sagt auch Andreas Berger, dessen Geschäft für Stoffe und Kurzwaren in der Calwer Straße 2019 sein 100-jähriges Bestehen feiert. „Am Ende lief es darauf hinaus, dass zu wenig Leute zu viel hätten bezahlen müssen.“ Dass es vor seiner Ladentür in diesem Jahr nun dunkel bleibt, stört ihn jedoch wenig. Er findet es schön, dass es auf der Königstraße gelungen sei, ein solches Projekt umzusetzen – und rückt gegen die Düsternis nun in Eigenregie mit Lichterketten und Weihnachtsschmuck aus.