Unabhängig voneinander planen ein Investor und der Uni-Rektor in Vaihingen autofreie Viertel – echte Visionen für die Stadt Stuttgart. Doch es gibt vieles zu bedenken.

StuttgartDer Stuttgarter Stadtbezirk Vaihingen könnte bald zum wichtigsten Experimentierfeld für eine Mobilität ohne Autos in der Landeshauptstadt werden. Nach Informationen unserer Zeitung plant nicht nur der Projektentwickler des Eiermann-Areals nahe der Autobahn ein neues Viertel, in dem Autos keine Rolle mehr spielen. Auch die Universität Stuttgart denkt darüber nach, ihren Campus in Vaihingen komplett CO2 -frei zu machen. „Wenn das kommt, wird das etwas ganz Großes“, sagte Uni-Rektor Wolfram Ressel am Rande der Immobilienmesse Expo Real in München.

Ressel hat demnach bereits ausgefeilte Pläne, die er in der kommenden Woche der Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) vorstellen will. Ziel sei, den kompletten Campus in Vaihingen abgasfrei zu machen. Dies soll unter anderem durch sogenannte Hubs geschehen. Das sind Mobilitätsplattformen, an denen Fahrräder und E-Bikes, aber auch öffentliche E-Shuttles angeboten werden. In seine Pläne habe er auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die Fraunhofer-Institute und die Hochschule der Medien einbezogen. „Man könnte sogar das Max-Planck-Institut in Büsnau mitdenken“, meint der Uni-Rektor, „dann hätten wir mehr als 30 000 Menschen im Boot.“ Dass bis dahin noch einige Hürden zu überwinden sind, ist Ressel bewusst. Unter anderem gilt es, Finanziers zu finden. Doch die Zeit sei reif für so ein Projekt, meint der Uni-Rektor. Am liebsten würde er es im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) verwirklichen, die bis 2027 in Stuttgart und der Region laufen wird.

Adäquate Anbindung fehlt

Am 19. Oktober wird der IBA-Intendant einen Projektaufruf für die Bauausstellung starten. Darin könnte der Uni-Plan bald eine zentrale Rolle spielen. Allerdings rät Hofer auch, in Übergangsszenarien zu denken. Es sei weder im Sinne der Einwohner noch der Industrie, von jetzt auf nachher eine Welt ohne Autos zu entwerfen. Wer Stadtquartiere wolle, die abgasfrei sind, müsse sich überlegen, wie die Menschen in diese Quartiere kommen. „Es wäre naiv zu glauben, dass wir in den Städten dörfliche Strukturen einziehen können“, sagt der IBA-Intendant.

Genau vor diesem Problem stehen die Visionäre in Vaihingen – allerdings mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Während der Uni-Campus an die S-Bahn angeschlossen ist, verfügt das Eiermann-Areal über keine adäquate Anbindung an den ÖPNV. Daher blicken zahlreiche Vaihinger ambivalent auf die Pläne des Investors für die ehemalige IBM-Zentrale. „Der Entwurf ist supergenial, wäre das Projekt nicht in Vaihingen“, sagte zum Beispiel Eyüp Ölcer (Freie Wähler) neulich bei einer Sitzung des Bezirksbeirats.

Die SSN-Group mit Sitz in der Schweiz will das 20 Hektar große Gelände für mehr als 900 Millionen Euro zu einem Vorzeigequartier für 4000 Bewohner entwickeln. Unter anderem sollen dort 390 Studentenwohnungen entstehen. Ein Viertel der Fläche soll dem Gewerbe gehören. Ähnlich wie Uni-Rektor Ressel möchte auch SSN-Projektkoordinator Jürgen Gießmann dort keine Autos sehen, sondern eine neue Art der Mobilität mit einem Mobility-Hub installieren. Das Konzept dazu könnte einer der großen Autohersteller liefern. Wer, sei noch unklar. Der vom früheren Investor favorisierte BMW-Konzern sei zwar noch im Rennen, sagt Gießmann. Man verhandele aber auch mit anderen Firmen, zum Beispiel mit Daimler.

Auch die Zusammenarbeit mit der Stadt laufe hervorragend. „Wir sprechen dieselbe Sprache“, betont der Projektkoordinator, der ein gebürtiger Stuttgarter ist. Das Kompliment gibt Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) postwendend zurück: „Die Entwicklung in Vaihingen freut uns sehr. Da ist viel Dynamik drin.“

Das Problem der Erreichbarkeit des Eiermann-Areals will Gießmann daher auch im Zusammenspiel mit mehreren Partnern lösen. Zum einen prüfe man mit der Stadt nach wie vor den Bau und Betrieb einer Seilbahn. Zum anderen wolle man mit den SSB über Busse und Bahnen reden, die das neue Quartier erschließen sollen. Und wer doch mit dem Auto anreise, müsse dies in ein großes Parkhaus stellen, das unter den dort entstehenden Gebäuden gebaut werden könnte, so Gießmann. Doch genau vor solchen Plänen warnt der IBA-Intendant. „Gigantische Tiefgaragen könnten bald zu totem Kapital werden“, sagt Hofer und fragt, was man mit solchen Bauwerken mache, wenn dereinst wirklich wesentlich weniger Autos unterwegs seien als im Moment. Daher sei es klug, sich jetzt schon eine mögliche Umnutzung zu überlegen – „oder mit der Entwicklung von Arealen an Autobahnen noch ein paar Jahre zu warten“, so Hofer.