Ellinor und Manfred Ginter haben ein Faible für Schachfiguren. Rund 100 Sets hat das Hedelfinger Ehepaar im Laufe der Jahrzehnte zusammengetragen. Foto: Holowiecki - Holowiecki

Ellinor und Manfred Ginter sammeln seit Jahrzehnten Schachfiguren aus aller Welt. Von ihren Reisen haben sie rund 100 Sets mitgebracht – und können zu jedem Spiel eine Geschichte erzählen.

Hedelfingen Die Tante aus Lauscha ist schuld. Von der Verwandten aus Thüringen erhält Ellinor Ginter vor gut 50 Jahren ein Schachspiel, und zwar nicht irgendeines. Die Figuren sind Sonderanfertigungen, extra geschnitzt. Ein tolles Teil – und der Anfang einer riesengroßen Sammelleidenschaft. Denn heute, ein halbes Jahrhundert später, schmücken knapp 100 Sets von Schachfiguren das Haus der Ginters in Hedelfingen. Eines ist außergewöhnlicher als das andere. Buddhas aus China, Babuschkas aus Russland, das Schneewittchen und ihre Zwergenschar aus Paris und stilisierte Krieger aus Afrika. Mönche, Bären, Drachen und Olympioniken stehen in Reih’ und Glied. Es ist, als würde man von einer ganzen Armee beobachtet. Aus Jade sind die Figuren, aus Bronze, Vulkanstein, Glas, Marmor oder Holz.

Mitgebracht haben die Eheleute die winzigen Hundertschaften von ihren Reisen nach Chile, nach Indien, nach Persien. „Wir waren auf allen Kontinenten. Wir sind dreimal um die Welt gefahren“, sagt Ellinor Ginter. Wo andere Kühlschrankmagneten und T-Shirts geshoppt haben, haben die Ginters stets nach den Ministatuen Ausschau gehalten.

Geschichten zu erzählen

Zu jedem Set haben sie eine Geschichte zu erzählen. Etwa vom Mann im marokkanischen Agadir, der mit seiner kleinen Drechsel am Straßenrand saß und in nur drei Tagen die Sonderbestellung der Touristen aus Stuttgart bearbeitet hatte. Oder von dem Markt in Botswana, auf dem sie beim Spurt zurück zum Reisebus einen Bauern verloren hatten, „weil’s pressiert hat“. Manfred Ginter, der als Innenarchitekt auch eine Schreiner-Lehre gemacht hat, hatte dann daheim kurzerhand eine Ersatzfigur geschnitzt. Auch Skurriles findet sich im Ginter’schen Schach-Museum: Die gelbe Simpsons-Familie wohnt im Regal in der Stube, im Flur stehen aparte Bauhaus-Klötzchen aus den 20er-Jahren neben Häschen und Möhrchen. Die Figuren gleich darüber sind ein Geschenk gewesen: Ein Kriegsgefangener habe sie einst aus Patronenhülsen gefertigt. Eine jede Garnitur haben die Ginters fotografiert, die Bilder haben sie sauber in ein dickes Album eingeklebt. Manfred und Ellinor Ginter sind selbst Künstler. Er hat seit den 70er-Jahren Tausende Aquarelle angefertigt, sie Collagen aus Stoff. Mehr als 150 Ausstellungen haben die Eheleute ausgerichtet. So haben sie auch bei ihren Schach-Anschaffungen stets Wert gelegt auf eine kunstvolle Handarbeit; bloß keine billige Industrieware. Alles ist mit Liebe gemacht. Wie passend, denn die Liebe war es einst gewesen, die den jungen Manfred, der eigentlich nie Interesse am Spiel der Könige gezeigt hatte, 1962 doch noch zum Schach gebracht hat. „Da hab’ ich die Kloi’ kenneng’lernt“, sagt er und wirft seiner Frau einen warmen Blick zu. Geerbt haben die gemeinsame Spielleidenschaft auch die beiden Kinder. „Sie haben früh die Namen der Figuren gelernt, später die Züge“, sagt Manfred Ginter. Die Enkellinnen sind – natürlich – ebenfalls Fans des bekanntesten Brettspiels der Welt.

Manfred Ginter geht auf die 85 zu. Schach spielt er nur noch selten, und wenn, dann zumeist gegen den Computer. Die Konzentration lässt nach, sagt er und verzieht das Gesicht. Die Weltreisen mit seiner Ellinor haben ebenso aufgehört, und auch der Sammelhunger ist gestillt. Aus rein praktischen Gründen. Manfred Ginter sieht sich im Haus um. „Wir sind randvoll.“ Er grinst. „Außerdem dauert das Abstauben zwölf Stunden. Jede Figur in die Hand nehmen und mit dem Pinsel abputzen.“