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Auch in Zeiten der Digitalisierung haben analoge Kalender Konjunktur. Vor allem hochwertige Kalender mit Motiven aus Stuttgart erfreuen sich großer Beliebtheit.

Untertürkheim D ie Zeit hat Anfang und Ende. Zumindest im Kalender, der eine Übersicht gibt über die Tage, Wochen und Monate eines Jahres, über christliche Festtage, Feriendaten und Mondphasen. Kalender sind längst zum Kunstobjekt geworden – und erfreuen sich auch im Zeitalter der Digitalisierung großer Beliebtheit. Kein Wunder: Die analogen Begleiter durch das Jahr schaffen in einer Welt, die von vielen als immer hektischer, kurzlebiger und reizüberflutend erlebt wird, optische Ruhezonen.

Der Kalendermarkt sei ein stabiles und verlässliches Segment im Buchhandel, sagt eine Sprecherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der darin organisierten Interessengemeinschaft Kalender gehören rund 25 Verlage an. Das Angebot allein dieser Anbieter umfasst mehr als 8000 verschiedene Titel, die in unterschiedlichsten Formaten in Millionenauflage herausgegeben werden. Schon gut zwei Jahre, bevor ein Kalender erscheint, legen die Verlage ihre Motive fest. Brillante Aufnahmen, spannende Perspektiven, außergewöhnliche Themen – das sind alles entscheidende Grundlagen. Als wichtigste Warengruppe gilt der klassische Wandkalender.

„Sie verkaufen sich weiterhin gut“, sagt Marie Schöbel von der Buchhandlung Roth in Untertürkheim und zeigt auf einen langen, dünnen Karton, der zur Abholung bereitliegt. Stolze 79 Euro hat dieses Design-Exemplar gekostet. Aber es gibt Motivkalender auch schon ab zehn Euro. Die Auswahl ist fast grenzenlos. Tiere, Wolkenkratzer, Oldtimer, Kunstwerke, Landschaften, Lebensmittel oder Mundartweisheiten – „es gibt nichts, was es nicht gibt“, sagt Marie Schöbel.

Bereits im Sommer bereitet sich das Team der Untertürkheimer Buchhandlung auf das neue Jahr vor, wälzt den faustdicken Katalog eines Großhändlers, in dem alle gängigen Kalenderformate großer Verlage aufgeführt sind. Etwa 30 verschiedene Titel werden schließlich ausgesucht und dann ab Herbst im Geschäft angeboten. Persönliche Präferenzen würden bei der Auswahl eine Rolle spielen, vor allem aber der Kundengeschmack, berichtet Marie Schöbel. Die meisten würden ihrem Motiv treu bleiben und alle Jahre wieder den gleichen Kalender erwerben. Gekauft werde quer durch alle Altersschichten, besonders nachgefragt seien Kalender mit Regionalbezug.

Impressionen aus dem Ländle

Das stellt man auch bei Calvendo fest, einer Online-Plattform, über die jedermann Kalender veröffentlichen kann. Im Angebot sind zahlreiche Kalender mit Impressionen aus Stuttgart und dem Ländle. Der Self-Publishing Verlag hilft Kreativen, individuelle Wandkalender über den Online- und stationären Handel zu vermarkten. Gedruckt werden die Werke nur auf Bestellung, die Preise bestimmen die Urheber selbst, erklärt Unternehmenssprecherin Angela Link. „Die unabhängigen Autoren nutzen die Online-Plattform kostenfrei und erhalten bei jeder eingehenden Bestellung bis zu 30 Prozent der Einnahmen.“ Ein Modell, das offenbar ankommt: „Wir werden von Anfragen überrannt“, sagt Angela Link.

Einer, der auf diese Weise einen Kalender anbietet, ist der Cannstatter Fotograf Werner Dieterich. „Ein Jahr Stuttgart“ heißt sein Werk und zeigt faszinierende Aufnahmen der Landeshauptstadt zu allen Jahreszeiten, zumeist in der Morgen- oder Abenddämmerung. Die Motive seien in den letzten fünf Jahren entstanden, berichtet er. Sorgfältig habe er aus 40 möglichen Aufnahmen zwölf besondere ausgewählt: „Ein wichtiges Kriterium war, der Stadt in ihrer Vielfalt gerecht zu werden. Moderne, preisgekrönte Museen wie das Porsche-Museum oder das Kunstmuseum stehen für Stuttgart ebenso wie Weinberge in der Stadt. Außerdem sollte jedes Motiv interessant genug sein, um es einen Monat lang anschauen zu können.“ Das November-Motiv ist sein persönlicher Favorit: „Bei der Luftaufnahme über Rotenberg war das Licht und die Stimmung am späten Nachmittag perfekt“, schwärmt Werner Dieterich. Natürlich fehlt auch die Grabkapelle nicht in seinem Kalender – mit einem Foto seines Lieblingsplatzes in Stuttgart eröffnet er das Jahr 2020.

Schon 25 Kalender habe er bei Calvendo veröffentlicht, weitere 14 bei anderen traditionellen Kalender-Verlagen. Reich werde man damit nicht, räumt der Berufsfotograf ein. „Da ich Kalender mit Bildern aus meinem Reisebildarchiv bestücke, rechnet es sich für mich. Würde ich die Aufnahmen extra für die Kalender fotografieren, wäre es vermutlich ein Minusgeschäft.“

Michael Haußmann hingegen ist ein absoluter Neuling auf diesem Gebiet. Bislang hat der Hobbyfotograf Kalender als Geschenke für Familie und Freunde hergestellt, nun ist sein Premierenwerk bei Calvendo erhältlich: „Stuttgart auf den zweiten Blick“. Warum dieser Titel? „Stuttgart ist keine Stadt, die sich durch einen kurzen Gang durch das Zentrum oder zu den sogenannten Highlights erschließt. Stuttgart entfaltet seine Schönheit in den kleinen Dingen, insbesondere an den wundervollen Aussichtspunkten“, sagt der Schwarzwälder, der viele Jahre in der Landeshauptstadt verbrachte.

Magischer Ort

Seine Lieblingsorte zeigt er in seinem Kalender, darunter den Schlossplatz, die Stadtbibliothek, Schloss Solitude, den Galatea-Brunnen am Eugensplatz, den Rosengarten am Belvedere. „Ich habe überall versucht, die magische Stimmung einzufangen, die sich in bestimmten Stunden einstellt.“ Bei jedem einzelnen Bild erinnere er sich noch gut an die Temperatur, den Duft der Umgebung und das Licht, das die Stimmung geprägt hat. „Mir war ziemlich schnell klar, welches Bild für mich die Stimmung des einzelnen Monats am besten wiedergibt, da musste ich nicht lange überlegen, obwohl ich sehr viele Fotos im Archiv habe“, begründet er seine Auswahl. Das Juni-Motiv ist zugleich das Cover seines Kalenders: die Grabkapelle auf dem Württemberg. „Ich war sehr oft da“, erzählt Michael Haußmann. „Dieser Ort zieht mich magisch an.“ Der Morgen, an dem das Bild entstand, sei ein besonderer gewesen, „das habe ich schon vor Sonnenaufgang gemerkt“, denkt er gern zurück. „Das Bild lag quasi schon vor dem ersten Lichtstrahl in der Luft.“

Übrigens: Der Begriff Kalender – lateinisch calendae – bedeutet „die Einteilung der Zeit in regelmäßige Abschnitte nach astronomischer Grundlage“. Schon bei den alten Ägyptern wurde etwa 4000 vor Christus das Jahr in zwölf Monate eingeteilt, die Römer entwickelten ihn weiter. Der moderne Kalender, wie wir ihn heute verwenden, geht auf Julius Cäsar zurück, sein „Julianischer Kalender“ wurde 45 vor Christus eingeführt. Er verdrängte den bis dahin gültigen römischen Kalender mit 355 Tagen. Cäsar verlängerte das Jahr auf 365 Tage, verteilte die neuen Tage auf die einzelnen Monate und führte einen Schalttag alle vier Jahre ein. Allerdings war das Jahr damit immer noch rund elf Minuten zu lang, die Abweichung von den tatsächlichen Jahreszeiten wurde immer größer. Deswegen führte Papst Gregor XIII. im Jahr 1582 den „Gregorianischen Kalender“ ein. Er wurde von Italien, Portugal, Frankreich, Spanien, Luxemburg und Polen übernommen, dann folgten die Bayern, die Österreicher und die Schweizer, Ungarn und Preußen. Deutschland, Norwegen und Dänemark folgten im Jahre 1700, nur Russland arbeitete noch bis vor knapp hundert Jahren mit dem Julianischen Kalender.

Stuttgart gilt als Drehscheibe des Kalenderschaffens. Alljährlich wird hier der renommierte Gregor Calendar Award an die Besten der Branche verliehen. Im Anschluss an den Wettbewerb, vom 24. Januar bis 8. Februar 2020, werden im Haus der Wirtschaft rund 800 Kalend er ausgestellt, in einer Sonderschau weitere 60 Kalender aus Japan gezeigt.