„Im Kommunalen zeigen wir, dass die SPD erfolgreich sein kann“, sagt Andreas Stoch. Foto: Tom Weller - Tom Weller

Ex-Kultusminister Andreas Stoch sieht die Schulstreiks der Bewegung „Fridays for future“ positiv. „Man sollte nicht mit dem erhobenen Zeigefinger dastehen“, sagt der SPD-Landeschef.

StuttgartDrei Jahre nach dem Ende der grün-roten Koalition im Südwesten geht SPD-Landeschef mit dem einstigen Partner hart ins Gericht. Das positive Image der Partei von Ministerpräsident Winfried Kretschmann sei nicht gerechtfertigt, die Landesregierung nicht nur beim Thema Fahrverbote handlungsunfähig. Sympathie zeigt der frühere Kultusminister für die Schulstreiks der Bewegung „Fridays for future“.

Zum SPD-Vorsitz sind Sie im Herbst getreu dem Motto gekommen: Wenn zwei sich streiten, lacht der Dritte. Wie groß ist die Freude am unverhofften Amt nach knapp fünf Monaten noch?
Die Freude ist noch groß – aber die Verantwortung auch. Die Wahl zum Landesvorsitzenden kam ja unter besonderen Umständen zustande. Ich wollte eigentlich nicht der lachende Dritte sein. Aber in der damaligen Situation, nach dem knappen Ergebnis der Mitgliederbefragung und dem Rückzug von Leni Breymaier war es die einzige Möglichkeit, wie wir die Partei wieder zur Geschlossenheit bringen und uns auf das konzentrieren können, was unser Job ist: den Menschen Antworten auf ihre Fragen zu geben. Ich habe die Entscheidung nicht bereut.

Von einem Stoch-Effekt zu sprechen, wäre in Anbetracht der jüngsten Umfragen verfehlt. Die Südwest-SPD darbt bei zwölf Prozent, die Umfragen aus dem Bund lassen auch nicht gerade Rückenwind erkennen. Wieviel kann die Landespartei überhaupt aus eigenen Stücken zulegen?
Ich habe nicht erwartet, dass wir ganz schnell in den Umfragen durch die Decke schießen. Das Vertrauen der Menschen muss man sich erarbeiten. Richtig ist, dass die Landespolitik in der öffentlichen Wahrnehmung keine überragende Rolle spielt. Natürlich klebt uns am Bein, dass die aktuelle Bundesregierung holprig gestartet ist. Aber jetzt sind wir die treibende Kraft in der Großen Koalition. Es sind viele gute Gesetze auf Initiative der SPD eingebracht worden. Die anfängliche Bewertung entspricht deshalb nicht mehr der Realität. Da müssen wir zulegen, dann wird auch die Stimmung im Land besser. Im Kommunalen, etwa bei Oberbürgermeisterwahlen, zeigen wir ja, dass die SPD erfolgreich sein kann – zum Beispiel in Esslingen und erst jüngst in Reutlingen.

Mit Ihrem Volksbegehren für kostenfreie Kitas hatten Sie einen guten Start. Aber mal ehrlich: Eigentlich müssen Sie dem Innenminister dankbar sein, Ihren Entwurf wegen verfassungsrechtlicher Bedenken einkassiert zu haben. 770 000 Unterschriften zu sammeln, ist doch eine schier unüberwindbare Herausforderung.
Wir haben das Volksbegehren gestartet, weil wir der Überzeugung sind, dass die Familien entlastet werden müssen. 770 000 Stimmen zu sammeln, mag schwierig sein. Aber wir haben in Bayern zuletzt erlebt, dass binnen zwei Wochen über eine Million Menschen für die Initiative „Rettet die Bienen“ unterschrieben haben. Vor dem Verfassungsgerichtshof kämpfen wir dafür, das Volksbegehren doch noch fortführen zu können.

Kritiker fragen, was eigentlich sozial gerecht daran sein soll, wenn Doppelverdiener mit Spitzeneinkommen ihre Kinder kostenfrei in die Kita schicken können.
Wir wissen unter anderem durch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, dass kleine und mittlere Einkommen von den Kita-Gebühren besonders belastet werden. Das gilt selbst bei einer sozialen Staffelung, die es in vielen Kommunen gar nicht gibt. In vielen Bundesländern ist die gebührenfreie Kita schon umgesetzt. Und viele Städte und Gemeinden im Südwesten gehen diesen Weg auch. Aber das sind die Kommunen, die es sich leisten können, das erzeugt ein Ungleichgewicht. Die Gebührenfreiheit muss sein, weil die Kita eine Bildungseinrichtung ist. Und Bildung soll vom Einkommen der Eltern unabhängig sein.

Das Thema Wohnkosten beackert die SPD schon seit längerem, unter anderem mit der Mietpreisbremse. Gewirkt hat sie kaum. Jetzt prescht der Grünen-Chef Robert Habeck mit der Forderung nach Enteignungen vor und gibt der Debatte neuen Schwung. War die SPD bislang zu zaghaft?
Die Grünen sind in den Kommunen, aber auch auf Landesebene tatsächlich die Verhinderer des Wohnungsbaus. Aber ich nehme natürlich auch wahr, dass meine Partei, die sich um sachgerechte Lösungen bemüht, häufig nicht plakativ unterwegs ist. Wer mit Phrasen kommt wie jetzt die Grünen mit dem Ruf nach Enteignungen, erzielt nun mal öffentliche Wirkung.

Sind Enteignungen ein probates Mittel?
Eine Enteignung bringt keine Wohnung mehr. Und der Enteignete muss entschädigt werden. Es folgt daraus also keine Entlastung, aber der Haushalt wird extrem belastet. Dieses Geld sollte man lieber in den Wohnungsneubau investieren.

Mit seiner Rhetorik greift der Grünen-Chef in die linke Vokabelkiste. Bislang wähnte man die Grünen eher als neue bürgerliche Kraft. Wo steht der Ex-Koalitionspartner heute aus Sicht der SPD?
Die Grünen sind der gelebte Widerspruch. Ihr positives Image ist nicht gerechtfertigt, auch nicht in Baden-Württemberg. Da geht der Ministerpräsident zu Daimler und verkündet, es gebe den sauberen Diesel. Und sein Verkehrsminister ist zugleich Haupturheber der Fahrverbote in Stuttgart und des schlechten Rufs, der dem Dieselmotor anhaftet. Auf der einen Seite tut Kretschmann so, als wolle er die Autoindustrie retten, auf der anderen tragen die Grünen dazu bei, dass sie in die Krise rutscht. Diese Doppelzüngigkeit wird zu oft nicht kritisch hinterfragt.

Der Ministerpräsident hat am Dienstag drohende Euro-5-Fahrverbote per Machtwort eingesammelt. Wie riskant ist das angesichts der Gerichtsurteile?
Wir haben immer befürwortet, die Euro-5-Fahrverbote vom Tisch zu nehmen, um für die Betroffenen die Hardware-Nachrüstung zu ermöglichen. Noch in der letzten Woche haben CDU und Grüne im Landtag gegen einen von uns eingebrachten entsprechenden Antrag gestimmt. Dass sich die Landesregierung jetzt als Retter der Euro-5-Besitzer präsentiert, wirkt da eher wie ein Witz. Sie hat es im vergangenen Jahr geschafft, viele Menschen zu verunsichern. Statt den Besitzern dieser Fahrzeuge Alternativen anzubieten, wurde die Verbotskeule ausgepackt.

Nicht nur bei den Fahrverboten sind Grün und Schwarz zerstritten – und bekommen doch gute Noten ausgestellt. Was macht die Opposition falsch?
Vielen in Baden-Württemberg geht es einfach gut. Und dieses persönliche Empfinden wird dann zu Unrecht einer guten Regierungsarbeit gutgeschrieben. Die Handlungsunfähigkeit der Landesregierung ist vielen Menschen gar nicht bewusst, dabei hat die Koalition noch kein einziges Problem gelöst. Ich würde mir wünschen, dass jeder, der bei einer Befragung angibt, er sei generell zufrieden, ein konkretes Projekt benennen soll, mit dem er wirklich zufrieden ist. Dann würden diese Umfragen anders ausfallen.

Wie groß ist eigentlich die Sympathie des früheren Kultusministers Andreas Stoch für die freitäglichen Schulstreiks?
Ich bin begeistert davon, dass sich junge Menschen für diese Welt und deren Zukunft einsetzen. Die Demonstrationen sind ein wichtiger Impuls und die Schulstreiks ein Mittel, um überhaupt wahrnehmbar zu sein. Deshalb sollte man nicht mit dem erhobenen Zeigefinger dastehen. Ich wünsche mir aber, dass wir an den Schulen Plattformen schaffen, um auf die Politik Einfluss zu nehmen. Die Schulstreiks haben schon viel bewegt – und jetzt werden wir sehen, wie lange sie noch nötig sind, bis die Politik zu einem konkreten Handeln beim Klimaschutz kommt.sto

Das Interview führte Oliver Stortz.