Es war eines der großen Lebensthemen Heiner Geißlers: Das Ringen mit Helmut Kohl. 1989 kommt es zum Bruch zwischen den beiden. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Norbert Wallet

Berlin - Manchmal schrieb sich eine feine Ironie in dieses Leben ein: Heiner Geißler, der gestern im Alter von 87 Jahren verstarb, wird in Erinnerung bleiben - als Zuspitzer und Angreifer, als Mahner und Aufwiegler des Gewissens. Und doch war Heiner Geißler als Schlichter ein gefragter Mann. Nicht nur bei Stuttgart 21. Als Vermittler in vielen festgefahrenen Tarifkonflikten hat er sich einen Ruf erworben. Ausgerechnet er, der passionierte Unruhestifter.

Geißler wollte diese Arena eigentlich nicht, in der er dann Zeit seines Lebens stand. Nicht zum Meinungskampf, sondern zum Glaubenskampf zog es ihn. Er wurde in Oberndorf am Neckar geboren, lebte als Kind in Spaichingen im Kreis Tuttlingen. Später kam er auf das von Jesuiten geleitete Kolleg St.Blasien im Schwarzwald. Mit 19 trat er als Novize dem Orden bei. Priester und Missionar wollte er werden. Er hatte die drei ewigen Gelübde abgelegt: Armut, Keuschheit, Gehorsam.

Ungehorsam als Tugend

Mit 23 Jahren habe er gemerkt, dass er zwei nicht halten könnte, sagte er einmal. „Es war nicht die Armut.“ Das Ringen mit dem Glauben blieb ein Lebensthema. Auch Ungehorsam kann eine Tugend sein. Das lernte er in der Politik.

1956 gründete Geißler mit Erwin Teufel den Kreisverband Rottweil der Jungen Union. Fünf Jahre später war er Landeschef. In dieser Zeit etablierte er sich auch beruflich. Nach Philosophie- und Jurastudium war er 1962 Richter am Amtsgericht Stuttgart, dann von 1962 bis 1965 Leiter des Ministerbüros von Arbeitsminister Josef Schüttler in der baden-württembergischen Landesregierung. 1965 zog er als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Reutlingen in den Deutschen Bundestag ein.

Er wechselte dann 1967 als Sozialminister in die Landesregierung nach Rheinland-Pfalz und behielt das Amt, als 1969 Helmut Kohl Regierungschef in Mainz wurde. Da entstand das zweite große Lebensthema. Dieses letztlich wirklich fast lebenslange Ringen mit Helmut Kohl. 1977 machte ihn Kohl, inzwischen Parteichef, zum CDU-General. Ab 1980 saß Geißler wieder im Bundestag und blieb Abgeordneter bis 2002. Kohl hat Geißler entdeckt und gefördert. Da ist ewige Dankbarkeit Pflicht. So sah es Kohl. Geißler sah es nicht so. Der Generalsekretär hat der Partei das Diskutieren beigebracht, wurde ein Machtfaktor. Ein Mann neben Kohl, nicht unter ihm. Das war auf Bruch angelegt. Von Anfang an. Innerparteilich hatte er sich viel Anerkennung erworben. Aber es gab auch den anderen Geißler. Im Tageskampf mit den politischen Konkurrenten war er nicht zimperlich. SPD-Altkanzler Willy Brandt warf Geißler 1985 vor, „seit Goebbels der schlimmste Hetzer in diesem Land“ zu sein. Geißler focht das nicht an. Unter seinem Wahlkampf-Führung gewann die Union drei Bundestagswahlen.

Bruch mit Kohl

1989 wollte Kohl keinen machtbewussten General mehr neben sich. Ministerpräsident Lothar Späth hatte Pläne, gegen Kohl um den Parteivorsitz zu kandidieren. Geißler, der tief getroffen war, unterstützte ihn. Aber Kohl überlebte den versuchten Putsch. Geißler hat sich andere Kämpfe gesucht, trat „attac“ bei und attackierte das kapitalistische System, weil es „heute die Ursache für die Bürgerkriege, Armut und Hungersnöte, die wir auf der Erde haben“ sei. Und er wünschte sich eine Kirche, die Konflikte anzettelt. Das nämlich ist die Summe seines Lebens: „Den Menschen zu helfen geht nur mit Streit, Auseinandersetzung, Kampf.“