Auch im Stadtmuseum zu bewundern: Eine große Sammlung antiker Medizinfläschchen. Quelle: Unbekannt

Gestern wurde der Auftakt für die neue Ausstellung des Cannstatter Stadtmuseums im Klösterle mit dem etwas rätselhaften Titel „Ein Arzt ist kein Mann“ gegeben. Rund um das Thema Apotheker, Ärzte und Kliniken in Bad Cannstatt präsentierten die Kuratoren Olaf Schulze und Manfred Schmid die Ergebnisse ihrer monatelangen Recherche. In Zusammenarbeit mit den Nachfahren berühmter Cannstatter Ärzte- und Apothekerfamilien haben sie eine ganz besondere Sammlung zusammengetragen.

Von Erdem Gökalp

„Albert Veiel hat im Jahr 1829 die erste Hautklinik Deutschlands in Bad Cannstatt gegründet“, sagte Olaf Schulze gestern bei der Eröffnung der Ausstellung. Da sich der berühmte Arzt früh einen internationalen Namen gemacht hatte, bekam er 1850 Besuch von Prinzessin Gargarin aus St. Petersburg mit ihrer Tochter. Das junge Mädchen litt an einer Hautkrankheit. Zur Untersuchung musste sie sich zunächst vor dem Arzt entblößen. Sie genierte sich und behielt ihre Kleider an. So griff ihre Mutter beherzt ein, riss ihrer Tochter das Kleid herunter und wetterte: „Ein Arzt ist kein Mann!“

„Wir sind mit Hilfe der Nachfahren der Familie Veiel auf diese Anekdote gestoßen“, sagte Olaf Schulze. Zusammen mit Manfred Schmid habe man intensiv mit den Angehörigen der Cannstatter Ärztedynastie zusammengearbeitet. So wurde der Satz dank der 1922 verfassten Lebenserinnerung von Theodor Veiel als Titel der Ausstellung kreiert. Er war der Sohn von Albert Veiel und damals selbst Chefarzt am Krankenhaus Cannstatt.

Ein Schmuckstück der Ausstellung ist ein handgeschriebenes Rezeptbuch der damaligen Kronenapotheke in der Marktstraße 22. Das Besondere: Es war die erste Apotheke Stuttgarts, die im Jahr 1638 in Bad Cannstatt eröffnet wurde. Auch von ihr gibt es Ausstellungsstücke zu sehen. Als der Altbau der Apotheke in den 1970er Jahren abgerissen wurde, ist beim Ausräumen dieses Dokument gefunden worden. Von berühmten Stuttgarter Familien ist darin vermerkt, welche Medizin sie in welcher Menge gekauft haben. Beispielsweise gibt es einen Eintrag der Familie Daimler. Sie hatte am 1. August 1893 knapp vier Kilo Benzin gekauft. „Vielleicht hat Gottlieb Daimler eine Autopanne gehabt und musste eine geringe Menge Sprit kaufen“, sagte Schmid scherzend.

Einige der Nachkommen berühmter Cannstatter Ärzte- und Apothekerfamilien leben immer noch im Stadtbezirk. „Wir sind bei der gemeinsamen Recherche immer wieder auf Überraschungen gestoßen“, erzählt Schmid. Beispielsweise hätten sie 120 Jahre alte Hustenpastillen gefunden, die immer noch in einem guten Zustand sind. Außerdem haben sie erfahren, dass Bad Cannstatt ebenfalls eine maßgebende Rolle in der Medizinindustrie gespielt hat. Sei es mit Kathetern der Firma Rüsch oder anderen medizinischen Geräten. Die 1891 gegründete Metallwarenfabrik Cannstatt in der Schmidener Straße 24 produzierte sogar weltweit Apparate für Krankenhäuser und Zahnarztpraxen.

Andere Entdeckungen für die Ausstellung wurden anhand einer Suche bei der Internet-Auktionsplattform Ebay gemacht. Dokumente, die belegen, dass Cannstatter Medizin bis nach England exportiert wurde. Der Besucher lernt in der Ausstellung auch viel über den uralten Beruf des Apothekers und wie er sich über die Jahre hinweg entwickelt hat. Damals mussten sie noch eine botanische Ausbildung haben. „Die Medizin wurde dann in jeder Apotheke individuell zusammengemischt“, sagt Schulze. Wenn bestimmte Medizin besonders wirksam war, wurde sie in größeren Mengen verkauft.

Die Ausstellung der interessanten Medizingeschichte Bad Cannstatts endet mit den Lazaretten des Ersten Weltkriegs. In dieser Zeit hat Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse beispielsweise einen Freund in Bad Cannstatt besucht. In einer kurzen Beschreibung erinnert er in seinem Tagebuch an den historischen Schauplatz.

Die Ausstellung ist mittwochs von 14 bis 16, samstags von 14 bis 17 und sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet.