Oft genügt ein zehn Zentimeter hoher Absatz, um ein Hindernis für einen Rollstuhlfahrer zu sein. Quelle: Unbekannt

Von Erdem Gökalp

Meist sind es nur wenige Zentimeter, die einen großen Einfluss auf das Leben von Siegfried Schäffer haben. Der 90-Jährige ist schwerbehindert und sitzt seit vier Jahren im Rollstuhl. Jeden Tag macht er vom Seniorenwohnheim des Evangelischen Vereins aus eine Spazierfahrt in Bad Cannstatt. Oft heißt es: Ein kleiner Schritt für die Menschen, doch ein großer Weg für ihn. Bordsteine und ein unebener Straßenbelag machen sogar einen Kurztrip in die Marktstraße zu einem Slalomlauf.

Seine Ehefrau Anneliese begleitet ihn. Sie haben 63 Jahre Ehe gemeistert und nehmen auch die täglichen Hindernisse auf Bad Cannstatts Straßen gemeinsam auf sich. Dabei hat er klare Prinzipien: „Ich möchte nicht, dass mir irgendjemand hilft, wenn ich nicht darum bitte.“ Sie hält sich daher nur am Rollstuhl fest, bevor die Spazierfahrt beginnt. Nach nur wenigen Metern wird es in die Überkinger Straße bereits brenzlig: Schäffer bleibt mit seinem Rollstuhl stecken. Der sechs Zentimeter hohe Absatz war zu viel für sein „Fahrzeug“. Doch Schäffer bleibt gelassen: „Ich bin schon einige Mal stecken geblieben.“ Ist er allein und es gibt keine andere Lösung, heißt es warten, bis jemand vorbeikommt und den Rollstuhl anschiebt.

Auch in der Badstraße lauern Herausforderungen. Ein Rollator steht vor den Stufen eines Geschäftes. Schäffer muss auf die Straße ausweichen, die zudem noch von Autos befahren wird. „Ich fahre immer auf der linken Seite, damit die Autos mich sehen.“ Die Idee, einen Rückspiegel zu montieren, habe er schnell verworfen: „Das würde meinen Wenderadius zu sehr einschränken.“ Am liebsten hält er sich in der Marktstraße auf. In die Geschäfte, die keine Treppen am Eingang haben, kommt er selbstständig hinein. Umso mehr macht ihm der Bodenbelag der Einkaufsstraße zu schaffen. „Sehr ungeeignet für Rollstuhlfahrer“, ist er überzeugt. Alle fünf bis sechs Meter wird der glatte Boden von einem gepflasterten Abschnitt unterbrochen. Wenn er über die unebenen Steine fährt, wird er durchgerüttelt und muss sich jedes Mal festhalten. „Da hilft auch die gute Federung des Rollstuhls nichts.“ Dennoch nimmt er den Weg in seine Lieblingsmetzgerei auf sich, um sich was für das Abendbrot zu kaufen.

Bei seiner täglichen Fahrt durch Bad Cannstatt gibt es einen Ort, den er meidet: den Daimlerplatz. „Ein Albtraum für jeden Rollstuhlfahrer.“ Auch da ist der Boden mit unebenen Pflastersteinen übersät. Um die König-Karl-Straße bequem überqueren zu können, bleibt ihm nur der Bereich vor der Pflasterung - ohne Ampel über die Gleise. Ehefrau Anneliese läuft es dabei jedes Mal eiskalt den Rücken herunter: „Es ist einfach gefährlich, weil er auf der anderen Straßenseite erst einen abgesenkten Bordstein suchen muss.“ Nicht immer leicht, wenn die Straße mit Autos vollgeparkt ist. Auch die Gleise zu überqueren, ist nicht einfach. Sie sind teilweise tief im Boden verlegt. Es bleibt die Gefahr, stecken zu bleiben. Ein weiteres rotes Tuch für ihn ist der Zugang zum Kurpark. „Da gibt es drei Regenrinnen im Boden. Wenn ich einfach darüber fahren würde, könnte mein Rollstuhl kaputt gehen.“ Nur langsam und mit Bedacht schafft er es. „Als Rollstuhlfahrer lernt man Demut. Oft wird man von Fußgängern nicht gesehen oder übersehen.“ Daher muss er häufig stoppen. Schäffer lässt sich dennoch nicht unterkriegen: „Beim Rollstuhlfahren habe ich immer zwei Augen auf die Straße gerichtet und ein Hühnerauge auf die Menschen.“