Schiffsführer Jürgen Raff steuert die „Wilhelma“ sicher in eine Schleuse. Foto: Jakob Henke - Jakob Henke

Seit 35 Jahren ist Schiffsführer Jürgen Raff für den Neckar Käpt’n auf dem Neckar unterwegs. Linienfahrten sind für ihn Alltag. Derweil genießen die Reisenden die Fahrt durch die „schwäbische Toskana“.

Bad CannstattWilhelma hat fest“, gibt Schiffsführer Jürgen Raff über Funk weiter. Es knackt in der Leitung. Dann folgt ein „Alles klar, geht sofort los.“ Und schon senkt sich das 32 Meter lange Ausflugsschiff des Neckar-Käpt’n in der Poppenweiler Schleuse langsam ab. 6,50 Meter tiefer öffnen sich die schweren Tore und die „Wilhelma“ setzt ihre Linienfahrt von Bad Cannstatt nach Marbach fort.

„Beim Schleusen ist es wie mit dem Einparken in der Tiefgarage. Solange man sich möglichst mittig hält, kann eigentlich nichts passieren.“ Jürgen Raff fährt seit 34 Jahren für den Neckar-Käpt’n. Routiniert lenkt er das Schiff durchs Wasser, hält auf dem Navi-artigen AIS-System nach Gegenverkehr Ausschau. Davor ist er mit Frachtschiffen auf dem Rhein gefahren. „Aber so ein Job ist nicht unbedingt familienfreundlich. Manchmal konnte es sein, dass man für ein halbes Jahr nicht nach Hause kam.“

Deshalb jetzt also der Neckar. Mit einer Geschwindigkeit von zehn Kilometern pro Stunde gleitet das Schiff gemächlich den Fluss entlang. Vom Anleger an der Wilhelma geht es vorbei an den malerischen Weinbergen Cannstatts und Hofens nach Aldingen, Neckargröningen, Poppenweiler und Hoheneck bis nach Marbach. An diesem Donnerstagvormittag sind etwa zwei Dutzend Gäste an Bord der „Wilhelma“. Es ist sehr heiß an Deck, die Passagiere suchen den spärlichen Schatten. Es herrscht tiefe Stille. Für die 74-Jährige Ursula Meier macht genau das den Reiz aus: mal aus der Stadt rauskommen, Wasser, Wind und eben Ruhe genießen. Eine Touristin aus Berlin schwärmt vor allem von der Landschaft, die eine Neckarfahrt so besonders machen. Alles mute ein wenig italienisch an – die grünen Hügel, die Weinberge, die Hitze. „Es ist, als wäre man einmal falsch abgebogen und in der Toskana wieder ausgespuckt worden.“

Dass es jedoch nach Marbach und nicht nach Florenz geht, wird einem an der nächsten Biegung bewusst. Das beschauliche Örtchen Poppenweiler, das sich bis heute seine dörfliche Struktur und seinen ländlichen Charakter bewahrt hat, erscheint im Blickfeld und vermittelt schwäbisches Heimatgefühl. Dazu passt auch die Bewirtung an Bord, wo für regionaltypische, gutbürgerliche Gerichte zu moderaten Preisen serviert werden. Zwei Kellner kümmern sich beflissen um das leibliche Wohl der Fahrgäste.

Doch der Neckar-Käpt’n hat auch seine Probleme. Die Stadt unterstütze den Betrieb nicht genug, die Stuttgart-21 Baustelle erschwert den Zugang zur Anlegestelle in Bad Cannstatt, klagt Neckar Käpt’n Wolfgang Thie. Trotzdem seien die Schiffsfahrten gefragt. Und nicht nur beim Normalbürger. So veranstaltet der Südwestrundfunk (SWR) an Bord seine Sommerinterviews mit den Polit-Größen des Landes, auch die ZDF-Krimiserie „Soko Stuttgart“ hat schon auf der „Wilhelma“ gedreht. Schiffsführer Jürgen Raff erinnert sich an den ein oder anderen Promi als Gast im Steuerhaus. „Peter Kraus saß mit seiner Frau schon neben mir, aber auch viele andere“, erzählt er freudig.

An diesem Tag ist allerdings keine High-Society mit von der Partie. Dafür Heike Moser, für die die Fahrt ein Geburtstagsgeschenk war. Sie will mit ihren Freundinnen nach Marbach, die Bootsfahrt ist schöne Einstimmung auf ihren Ehrentag. Sie findet vor allem die Schleusenvorgänge spannend. Diese sind jedoch nicht ohne ihre Schwierigkeiten: Schafft es Jürgen Raff nicht, im Zeitplan zu den einzelnen Schleusen zu gelangen, werden andere Schiffe zuerst bedient. Und das kann zum Teil stundenlanges Warten zur Folge haben.

Während die Ausflügler an Bord der „Wilhelma“ die Blicke genüsslich schweifen lassen, findet der Schiffsführer die Strecke nach so vielen Jahren doch relativ monoton. Aber: „Die Menschen, die Begegnungen machen die Fahrten aus“, meint Jürgen Raff. Sein schönster Moment sei „im Winter, um 5 Uhr morgens, wenn wir von der Werft kommen. Da ist alles komplett still, man hört nur ein paar Vögel und sieht den Sonnenaufgang. Das ist traumhaft.“

In Marbach hält das Schiff ein letztes Mal, bevor es wieder nach Bad Cannstatt zurückfährt auf seiner Runde durch einen der schönsten Teile des Schwabenlandes.

Infos zu den Zielen und Fahrplänen des Neckar-Käpt’n gibt es online unter www.neckar-kaeptn.de.