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Das Stuttgarter Theater Tri-Bühne gibt sich in seinem neuen Spielplan betont feministisch und politisch – auch in Kooperationen mit dem Bosporus Schauspiel-Ensemble aus Istanbul.

StuttgartAuf einer Müllhalde treffen sie sich: die eine türkisch, die andere deutsch – zwei Frauen, die einander nicht kennen, aber beide in misslichen Lagen stecken. Zunächst versuchen sie, mit dem Übersetzungsprogramm ihrer Handys die störende Sprachbarriere zu überwinden. Als das geschafft ist, schmieden sie ein Komplott: Ein Skandal muss her, um im Internet Aufmerksamkeit für ihre Probleme zu schaffen.

Mit dieser Szene beginnt das Stück, das die Stuttgarter Tri-Bühne-Intendantin Edith Koerber zurzeit mit Bogazici Gösteri Sanatlari Toplulugu vom Bosporus Schauspiel-Ensemble aus Istanbul schreibt. Es passt zum Tenor des neuen Spielplans. Unter dem Motto „Frauen, Liebe, Zukunft“ werden Geschichten von Frauen über Frauen erzählt. Koerber sucht Probleme aus dem Alltag: „Ich will Realität auf die Bühne bringen, Inhalte und Menschen zeigen, die sich mir täglich aufdrängen.“ Neben vielen sozialkritischen Stücken widmet sie sich auch dem klassischen Thema der Liebe, allerdings auf unkonventionelle Art. Sie inszeniert Goethes „Stella“ in der Originalfassung, die mit einer skandalösen Dreierbeziehung endet und nicht, wie in der nachträglich bereinigten Version, mit Stellas Freitod.

Politisches Risiko

Gleich an drei Projekten arbeitet die Tri-Bühne mit dem feministischen Bosporus Schauspiel-Ensemble zusammen. Bei einem gemeinsamen Probenwochenende im Schwarzwald kam auch die politische Lage in der Türkei zur Sprache. Es sei gefährlich, sagen die Künstlerinnen, die in ihrer Theaterreihe auch den Völkermord an den Armeniern thematisieren. Auch wenn sie kritische Stücke in Deutschland auf die Bühne brächten, könne ihnen das in der Türkei zum Verhängnis werden.

So sieht sich Koerber plötzlich mit künstlerischen Grenzen konfrontiert: „Können wir solch kritische Texte bei dieser zugespitzten Lage in der Türkei überhaupt inszenieren?“ Und beantwortet die Frage gleich selbst. Denn genau da, zwischen Meinungsfreiheit und Zensur, knüpft für sie die ethische Verantwortung von Kunst an. Ihr Theater solle nicht nur Belustigung oder Zerstreuung sein, sagt Koerber, sondern „politisch-poetisches Theater“, das auf der Ebene der Kunst seinen Beitrag zur Veränderung leistet und ungehörten Stimmen ein Mikrofon reicht.

Die nächsten Premieren an der Tri-Bühne: „Das Fräulein Pollinger“ nach Ödön von Horváth mit Musik und Bewirtung (20. November, 19.30 Uhr). „Zabel“, Gastspiel des Bosporus Schauspiel-Ensembles (2. Dezember, 20 Uhr). „Frauen über Grenzen hinweg“ (Arbeitstitel), Koproduktion mit dem Bosporus Schauspiel-Ensemble (Mai 2020). „Stella“ von Goethe (voraussichtlich Juli 2020).