Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - Mit einer verblüffenden Rekonstruktion von Johann Sebastian Bachs Köthener Trauermusik „Klagt, Kinder, klagt es aller Welt“ kam die Musikfest-Reihe „Sichten auf Bach“ in der Stiftskirche zu einem glänzenden Abschluss. 1729 war der Leipziger Thomaskantor zur Gedächtnisfeier des im Jahr zuvor verstorbenen Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen wieder am Fürstenhof, wo er von 1717 bis 1723 als Hofkapellmeister gewirkt hatte. Zum Gedenkanlass führte er eine eigens komponierte Trauerkantate auf. Davon ist zwar das Libretto von Bachs Leipziger Textdichter Picander erhalten, doch die Musik des vierteiligen Werks ist verschollen.

Der Weimarer Cembalist und Musikhistoriker Alexander Grychtolik schuf aufgrund von Textparallelen zu Bachs 1727 uraufgeführter Matthäuspassion eine Rekonstruktion, in der zwei große Chöre, mehrere Rezitative und sieben Arien aus der berühmten Passion mit verändertem Text auftauchen. Eine Art Best-of-Fassung mit bekannten Hits gewissermaßen, wie man sie dem viel beschäftigten, mit Umwidmungen eigener Werke durchaus freizügigen Thomaskantor wohl zutrauen kann. So klangvoll und historisch schlüssig dargeboten wie von Alexander Grychtoliks Deutscher Hofmusik war diese Trauerkantate ein exquisites, spannendes Hörerlebnis. Mit Blick auf die vermutlichen Verhältnisse bei der Köthener Uraufführung mit wenigen, aber fähigen Hofsängern und Instrumentalisten musiziert Grychtolik in kleiner Besetzung, wobei vier der acht exzellenten Sänger die Rezitative und Arien gestalten. Der britische Tenor Thomas Hobbs verwandelt die ursprüngliche Sopran-Arie „Blute nur, du liebes Herz“ zum Text „Zage nur, du treues Land“ in eine Art Epitaph für den dahingegangenen Fürsten, der Altus David Erler singt statt „Buß’ und Reu“ sein „Weh und Ach“ in schneidenden chromatischen Abwärtsbewegungen, auch die berühmte Alt-Arie „Erbarme dich“ ist in der Text-Umkehrung „Erhalte mich, Gott“ im hellen Timbre Erlers von eigener Qualität. „Bleibet nur in eurer Ruh / Ihr erblassten Fürstenglieder“ ist freilich ein gewaltiger Textsprung gegenüber „Mache dich, mein Herze, rein“ in der Matthäuspassion. Der Bass Stephan Macleod, begleitet von Grychtoliks wunderbar stimmigem Instrumentalensemble, macht sie trotzdem zum Juwel, ebenso wie die Sopranistin Gudrun Sidonie Otto die Arie „Ich will dir mein Herze schenken“, die nun am Ende der Trauerkantate mit Picanders Botschaft an die Köthener als „Hemme dein gequältes Kränken / Spare dich der guten Zeit“ parodiert wird. Danach gab es beim Trauerschmaus, so ist es überliefert, Barsch in Sauce Hollandaise und Tauben- und Fasanenpastete.

Heute beim Musikfest

11 Uhr, Staatsgalerie: Sternstunden der 1968er: Hochkultur POP. Führung mit Catharina V. Wittig.

12.15 Uhr, Schlossplatz: Mitsingen für alle mit dem SLK Pop Ensemble, Leitung: Arnd Pohlmann.

13 Uhr, Stiftskirche: Vom Umgang mit Freiheit. Vortrag von Muhterem Aras, Landtagspräsidentin von Baden-Württemberg. Musik von Johann Sebastian Bach. Johannes Fiedler, Orgel.

16.30 Uhr, L-Bank Rotunde (Friedrichstraße 24 in Stuttgart): Vom Umgang mit Freiheit. Gesprächsrunde mit Nils Schmid (SPD-Landtagsabgehemaliger baden-württembergischer Finanzminister), Ursel Bucher (Weltreisende), Vera Lengsfeld (Bürgerrechtlerin), Jürgen Fitschen (ehemaliger Vorstandssprecher der Deutschen Bank) und Ulf Merbold (Astronaut). Moderation: Wieland Backes.

19 Uhr, Lutherkirche Fellbach: Luther in Rom. Musik aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Concerto Romano, Leitung: Alessandro Quarta.

22 Uhr, Theaterhaus: Adagio ma non tanto. Arrangements nach Johann Sebastian Bach und eigene Kompositionen von und mit Michel Godard (Serpent, Tuba, Bass), Luciano Biondini (Akkordeon) und Lee Santana (Theorbe).