„Mach deinen Job und halt die Klappe“: Die Stimmung ist gereizt zwischen Ben (Frank Stöckle, rechts) und Gus (Jo Jung). Foto: Daniela Aldinger Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Esslingen - Zwei Männer, Gus und Ben, schlagen in einem kleinen Raum die Zeit tot. Sie warten auf ihren nächsten Einsatz. Sie sind Auftragskiller. Der Raum ist die halbe Miete für Harold Pinters 60 Jahre altes Stück „Der stumme Diener“, das jetzt in der Regie von Marek S. Bednarsky an der Esslinger Landesbühne (WLB) Premiere hatte. Platzangst bekommt man im Studio am Blarerplatz auch ohne die beklemmende Atmosphäre, die durch Birgit Eders Souterrain-Bühnenbild erzeugt wird.

Das einzige Fenster hängt dicht unter der Decke, was dem Raum etwas Gefängnisartiges verleiht. Ein Clubsessel im Shabby Look, Vintage-Wände und -Boden, ein verratzter Gasherd, der nur mit Münze funktioniert - alles ziemlich retro hier. Das Porträt der Bulldogge, die den Zuschauer unverwandt im Visier hat, steuert zudem unheimliches Flair bei.

Eine Stunde lang unterhalten sich Gus und Ben, zwei biedere ältere Herren, die im korrekten Anzug, mit Trenchcoat und Aktentasche so gar nicht wie Killer wirken. Ben liest Polizeimeldungen aus der Zeitung vor: ein Greis wird beim Versuch, die Straße zu überqueren, vom Lkw überrollt; eine Elfjährige bringt eine Katze um. Auf dieser Grundlage entspinnen sich scheinbare Alltagsgespräche, jeder plappert irgendwas, keiner hört richtig zu. Das sind Nonsense-Spielereien - undurchschaubar und komisch und speziell britisch-trocken.

Ähnlich wie in Samuel Becketts „Warten auf Godot“ geht es auch in Pinters vom absurden Theater geprägtem Drama ums Warten. Gus und Ben führen im Grunde einen grotesken Empfindungsdialog, ohne sich dessen bewusst zu sein. Doch der Zuschauer spürt sehr schnell, dass sich da etwas zusammenbraut. Die Stimmung zwischen dem eingespielten Ganoven-Paar ist gereizt. Die beiden haben sich nach jahrelanger Routine offenbar auseinanderentwickelt.

Jo Jung ist der nachdenkliche, leicht unsichere Gus. Er hinterfragt die Aufträge, die Auftraggeber. Frank Stöckles Ben hingegen agiert zwischen abgebrüht und aufgebracht. Er ist der „Seniorpartner“ des Duos, er hat das Sagen, gibt die Befehle zum Einsatz wie zum Teekochen und ist im stoischen Weitermachen erstarrt. „Hör auf nachzudenken, mach deinen Job und halt die Klappe“, herrscht er den irritierten Gus an. Im anschließenden Herunterbeten des Ablaufschemas, das Gus wie ein fehlerhaftes Echo wiederholt, wird das Formelhafte, das mechanisierte Leben der Beiden in seiner ganzen Stumpfheit sichtbar.

In den Gesprächen gibt es viele komische Momente. Regisseur Bednarsky verzichtet aber gemäß Pinters Sprachduktus aufs Kalauern. Vielmehr macht er mit einer fein ausjustierten Synthese aus Grauen und Groteske die Selbstentfremdung der Menschen deutlich. In Gus nüchterner Feststellung „Keiner kommt, bis auf den, der dann irgendwann kommt“ liegt die ganze Hoffnungslosigkeit einer sinnentleerten Gesellschaft.

Ein Speiseaufzug, im Englischen „stummer Diener“ genannt, bringt mit schrillem Pling, das bis ins Mark geht, immer wieder Zettel, auf denen Schmorbraten, Tagessuppe und Scampi bestellt werden. Gus und Ben, daran gewöhnt, Aufträge zu erledigen, liefern schimmlige Kekse, muffige Kuchen und Chips. Unheimliche Sanitärgeräusche und ein Umschlag, der plötzlich auf dem Boden liegt, spitzen die Situation subtil zu. Eine der schönsten Szenen ist, wenn Gus auf Befehl Bens das Kuvert aufhebt. Jo Jung tut das so unnachahmlich angewidert und mit so spitzen Fingern, als ob’s Ungeziefer wäre. Sind aber nur Streichhölzer drin.

Überhaupt verstehen es Jung und Stöckle ausgezeichnet, sich mit Mimik und Gestik zwischen den Zeilen zu verständigen. In dieser wortlosen Deutlichkeit, die die emotionale Schieflage erst recht spürbar macht, ist Bednarskys Inszenierung besonders überzeugend. Hier tut sich ein groteskes, clowneskes und rätselhaftes Weltenspiel auf, in dem die Menschen nur die Figuren sind, mit denen gespielt wird - und die dieses Spiel mitspielen, weil sie gar nicht anders können als irgendetwas spielen.

Am Schluss geht’s schnell. Einer kommt zur Tür rein - es ist Gus selbst. Ben zückt die Pistole und drückt ab. Auftrag erledigt.

Die nächsten Vorstellungen: 30. September, 7. und 20. Oktober.