Anna-Lena Hitzfeld und Sebastian Brummer spielen Nina und Paul, aber auch alle anderen Rollen. Foto: Tobias Metz Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Stuttgart - Nina und Paul haben in der Schule nie viel miteinander geredet, außer während der Englischkonversation: „Hallo, my name is Paul.“ Mehr ging nicht bei Paul, der nicht gerade der Liebling der Klassenlehrerin ist - wegen einer „gewissen Unaufmerksamkeit“, wie sie es ausdrückt. Anders Nina. Sie plappert munter drauf los. Eine gute Schülerin, die nach den Sommerferien auf eine weiterführende Schule gehen wird. Da merkt Paul, dass die gemeinsamen Tage gezählt sind. Er muss handeln, denn Nina gefällt ihm. Wie kompliziert es manchmal ist, dem anderen einfach zu sagen, dass man ihn mag, davon handelt die jüngste Produktion am Jungen Ensemble Stuttgart (JES) für Zuschauer ab zehn Jahren.

Das Publikum spielt mit

Kurz vor der Zeugnisvergabe beginnt die anrührende Geschichte von Thilo Reffert, die Anne Wittmiß fürs JES temperamentvoll in Szene gesetzt hat. Gespielt wird im Theater-Foyer, was annähernd der Atmosphäre in einem lässigen Klassenzimmer entspricht. Die Zuschauer lümmeln auf Sofas, sitzen auf Treppen, Bänken und an Tischen, während Anna-Lena Hitzfeld und Sebastian Brummer ziemlich sportlich durch den großen Raum fegen. Mal müssen die Zuschauer kräftig muhen, weil sie die Kühe auf der Weide sind, die Paul gerade durchquert, dann wieder ihre Sitzgelegenheiten räumen, weil die Darsteller diese als Kletterhilfe brauchen. Schließlich turnen die beiden über Treppen und Bänke, auf und hinter den Tresen und die Garderobe. Es entwickelt sich ein schnelles Spiel, in das das Publikum aktiv eingebunden ist.

Der kleine Ausschnitt aus dem Leben der beiden Viertklässler passt in die 45-Minuten-Schulschablone und wird aus der Sicht des Jungen und aus der Sicht des Mädchens erzählt, denn die Wahrheit liegt niemals in der Mitte. Jeder empfindet anders, Nina und Paul aber offensichtlich ganz ähnlich. Was die beiden Darsteller urkomisch und mit großem slapstickhaftem Talent in einem köstlichen Katz-und-Maus-Spiel verstecken, ehe sie sich sacht annähern. Wie im Zeitraffer erleben die beiden einen abenteuerlichen Nachmittag auf dem Bauernhof von Ninas Familie, wobei Hitzfeld und Brummer wie Chamäleons auch in alle anderen Rollen schlüpfen.

„Nur knutschen, nicht mehr!“

So ist Anna-Lena Hitzfeld auch die herrlich genervte Klassenlehrerin, die neugierige Mutter und die 17-jährige Schwester Denise mit dem Klick-Tick, die Nina aber netterweise ihr Zimmer für Pauls Besuch zur Verfügung stellt - unter einer Bedingung: „nur knutschen, nicht mehr!“ Paul darf mit Ninas Vater Trecker fahren, sobald er mit den „Kuhkackestinketeilchen“, die auf einem Bauernhof in der Luft liegen, klarkommt. Er lernt, was man mit einer Kreiselegge macht, wobei er auf einem Drehstuhl wild im Kreis bewegt wird. Der Schwindel mit dem Zimmertausch fliegt auf, und Paul verhilft einem imaginären Bullenkälbchen mit Hilfe eines Zuschauers, der die Tür aufhalten muss, zur Flucht. Logisch, dass das den Bauern nicht erfreut. Er stellt ihn zur Rede. Großartig, wie Brummer im schnellen Wechsel Ninas Vater und Paul spielt. Nina und Paul klettern die schmale Leiter in einem Windrad hinauf und sind schließlich dem Himmel ganz nah. Sie verabreden, dass sich im neuen Schuljahr dort oben ihre Blicke treffen werden - jeden Tag Punkt elf.

Durch urkomische Erzählungen und witzige Dialoge entsteht ein Mikrokosmos voller zauberhafter Theatermomente, den die beiden Schauspieler für ihr Publikum spielerisch erschließen. Der Raum verändert sich nicht, aber durch kleine Gesten, die Mimik, die Haltung und die Körpersprache sehen sich die Zuschauer mal im Klassenzimmer, mal auf dem Feld, im Kinderzimmer oder auf den Stufen in den Himmel. Herrlich!

Nächste Vorstellungen: 16. und 17. November, 16. und 18. Januar.