Seid umschlungen: Heather Nova im Konzert. Foto: dpa - dpa

Im Stuttgarter Wizemann hat Heather Nova mit ihrem variantenreichen Gesang bewiesen, dass sie den Höhepunkt ihrer Karriere erreicht hat.

StuttgartVor fast exakt zwei Jahren spielte Heather Nova im Stuttgarter Wizemann ein bestechendes Konzert, gerierte sich als eine „Königin der Sehnsüchte“. Wer damals glaubte, besser geht’s nicht, wird eines Besseren belehrt – wieder im Wizemann. Das neuerliche Gastspiel zeigt die Musikerin von den Bermudas, die als Kind mit ihren Hippieeltern durch die Welt segelte, auf einem Karriere-Höhepunkt. Nova ist einer der faszinierendsten Sängerinnen, die die 90er-Jahre hervorgebracht haben, und sie bleibt es auch jetzt. Ihre Stimme ist, eingepackt in einen superben Klang, noch immer glasklar, einzigartig, packend. Mit ihrem variantenreichen Gesang erzeugt sie eine Melancholie, die zwischen Verzweiflung, Hoffnung und Sehnsucht changiert. Mühelos schraubt sie sich in höchste Höhen, was ihr schon früh den Beinamen „die Sirene von den Bermudas“ einbrachte. Zugleich haftet der grazilen Blondine dank ihrer betörenden Ausstrahlung etwas Mystisches an.

Allerdings ist Novas Ziel nicht, die Menschen, die sie anlockt, zu vernichten. Im Gegenteil. Die 52-Jährige will sie sensibilisieren: für Mutter Erde, für eine starke Verbundenheit mit der Natur, für das menschliche Miteinander. „Save a little Peace of Tomorrow“, ihren dritten Song, hat sie zwar bereits 2011 für ihren Sohn geschrieben, widmet das Lied an diesem Abend aber der „tollen Greta Thunberg“. Nicht nur dieses Stück spiegelt ihre innere Welt wider, Nova bietet ein breites Spektrum an Leidenschaft, erneuerter Lebensfreude und Liebesliedern.

Viele solcher Songs wie das balladeske „See yourself“, mit dem sie das Konzert eröffnet, oder „The Wounds we bled“ stammen von ihrem neuen Album „Pearl“: einer wunderschön emotionalen und gereiften Pop-Platte, aufgenommen im Studio ihres Produzenten Youth in den Bergen Spaniens und mit raffinierten Arrangements und Klängen ausstaffiert, die stark an die Natur erinnern. Auch live wirken diese Lieder weich und warm, weil sie sanft die Ohren umschmeicheln und die Gefühle treffen, andererseits mit ausgefeilten, oft metaphorisch-kunstvollen Texten aufwarten.

Von Beginn an nimmt Heather Nova mit ihrer Magie gefangen, springt der Funke sehr schnell auf die begeisterten Fans, in der Mehrzahl Männer im mittleren Alter, über. Nova zeigt sich philosophisch, gibt tiefe Einblicke in ihre Seele, klingt jedoch nie verbittert. Weder in so bewegenden Songs wie „All the Rivers“ noch in so klagenden wie dem trommelnden Melodic-Rocksong „Rewild me“, das durch den Einsatz eines Cellos an emotionaler Wucht gewinnt. Ein weiterer Höhepunkt ist das aufbrausend-rockige Lied „Some Things just come undone“. Es geht darum, dass sie ihrem Sohn Sebastian mitteilen muss, dass sie sich von ihrem Mann, seinem Vater, trennen wird.

Auf „Pearl“ gibt es eine ganze Palette unterschiedlicher Emotionen. Auch deshalb besteht eine große Ähnlichkeit zu „Oyster“, ihrem Durchbruch-Album von 1994. 27 Jahre jung war Nova damals und die Platte ein richtiges Rock-Album, gespickt mit einigen ihrer besten Songs. Wie das grandiose „Walk this world“ oder „Island“, das bewusst Brücken schlägt zu „Pearl“. Denn „Island“ handelt vom Missbrauch der Sängerin, derweil das neue „Over the Fields“ die Vergebung gegenüber dem Täter 30 Jahre später thematisiert. Beide Stücke singt Nova dann allerdings doch nicht, obwohl „Island“ als zweitletzte Zugabe auf der Setliste steht.

Dafür begeistert sie mit „Spirit in you“ vom Debütalbum „Glow Stars“ (1993) oder „Paper Cup“ von 1998, die auch Jahrzehnte nach der Veröffentlichung nichts von ihrer Klasse verloren haben – erst recht nicht live. Hier überzeugen die intim-zärtlichen Momente mit hoher, kraftvoller Intensität, dort rockt die dreiköpfige Begleitband immer wieder mit vitaler, ausgetüftelter Wucht („Winterblue“) und manchmal mit ganz bewusst dreckig-psychedelischem Sound. Dazwischen steuert Heather Nova hinter ihrem mit Blumen geschmückten Mikrophon wie ein Kapitän perfekt die Zeitreise mit Ausflügen zu akustischem Pop, Folk, Americana und Rocksounds. Die fesselnde Mischung erzeugt eine maritime Sehnsucht, die mal wie ein Sonnenuntergang am Palmenstrand ergreift, mal aufwühlt wie ein stürmisches Meer. In „Just Kids“ singt sie denn auch: „Als wär’ mein Herz ein Fluss, der das Meer findet.“

Eindreiviertel Stunden lang dauert das Konzert. Es fließt dahin wie ein mit mächtigen Felsblöcken durchsetzter Fluss, auf welchem man sich treiben lassen kann, in den man untertaucht, wieder auftaucht, durch Stromschnellen rauscht, um dann wieder in ruhigeren Gewässern zu entspannen und sich eine Spur weit zu verlieren. 19 Songs sind es, jeder eine kleine Perle. Den Schlusspunkt setzt Heather Nova mit „Sugar“ vom Album „Blow“ (1993), das den Geist des 90er-Jahre-Indierocks atmet, was einem die Gitarristin Berit Fridahl mit harten Riffs und heulendem Feedback überdeutlich klarmacht. In Gänze ist das Gastspiel eine riesige Perle im großen Ozean der Live-Konzerte.