Die nubischen Gefangenen bedrängen Aida (Kimberly Thompson, Mitte) Foto: Freilichtspiele Schwäbisch Hall - Freilichtspiele Schwäbisch Hall, Ufuk Arslan

Das Opus des Pop-Stars nach Verdis Oper ist auf den Treppen zur Haller Michaelskirche ein besonderes Ereignis.

Schwäbisch HallVor St. Michael erhebt sich eine goldene Pyramide, zwischen riesigen Felsblöcken lodert ein Feuer. An ihrem immer wieder beeindruckenden, einzigartigen Spielort auf der Kirchentreppe entführen die Freilichtspiele in Schwäbisch Hall in diesem Sommer mit „Aida“ ins alte Ägypten – aber nicht mit Giuseppe Verdis Oper, die 1871 zur Eröffnung des Suezkanals entstand, sondern mit dem gleichnamigen, jüngeren Musical von Elton John. Auch hier verliebt sich der ägyptische Feldherr in die schwarze Sklavin, auch hier prallen Liebe und Pflicht mit tödlicher Konsequenz aufeinander. Aber hier steht kein moppeliger Tenor zwischen statuarischen Riesenchören herum, sondern der fesche, junge Radames tritt mit Punkfrisur und Sixpack an, Aida schleudert ihm ihre Anklagen mit modernem schwarzem Selbstverständnis und ebensolcher Soulstimme entgegen, die Pharaonentochter Amneris läutert sich vom Modepüppchen zur Friedensaktivistin.

Stimmige Dramaturgie

20 Jahre alt ist das Musical von Elton John und Tim Rice, in Deutschland war es ab 2003 in der Broadway-Produktion aus New York zu sehen. Für die Anhänger dramatischer Musicals kommt hier endlich mal wieder ein Stück mit richtig guter Musik: Sir Elton garantiert Qualität, das Liebesduett „Written in the stars“ und die Tanznummer „My strongest suit“, damals aufgenommen von den Spice Girls, kamen sogar in den Popcharts. Der britische Komponist tönt seine leidenschaftlichen Liebesballaden zum Soul hin, er kommt bei Reggae, Motown, Rock und Gospel vorbei, verknüpft die Szenen durch Leitmotive. Librettist Tim Rice, immerhin Autor so bahnbrechender Musicals wie „Jesus Christ Superstar“ und „Evita“, verfasste auch hier feine Texte; ähnlich wie in den Adaptionen „Rent“ (aus „La Bohème“) oder „Miss Saigon“ (aus „Madame Butterfly“) ist die Dramaturgie der modernen Versionen stimmiger als in den alten Opernlibretti, die Figuren werden subtiler und natürlicher charakterisiert.

Radames etwa, in Schwäbisch Hall verkörpert vom stimmstarken Rupert Markthaler, erlebt eine Wandlung vom selbstsicheren Siegertyp zum Zweifler an Macht und Krieg. Aida ist eine unerschrockene, leidenschaftliche junge Frau, die Kimberly Thompson mit großer Stimme, aber doch hörbarem Akzent singt. Mit trockenem Humor schmeißt sich Martina Lechner als vernachlässigte Amneris an den anderweitig verliebten Radames ran, bevor auch sie am Schluss durch die Liebe zum selbstlosen Handeln findet.

Rasante Tänze

„Aida“ war das dritte Broadway-Musical des damals neu gegründeten Theater-Ablegers der Disney-Filmstudios und nach „König der Löwen“ das zweite, in dem schwarze Darsteller die Heldenrollen spielten – der optische Gegensatz zwischen den gefangenen Nubiern und den herrschenden Ägyptern, die hier fast alle blond sind, gelingt in der relativ kleinen Besetzung in Hall recht gut. Gegenüber der pompösen Originalinszenierung bleibt die Freilichtversion auf der kulissenlosen Treppe natürlich sehr viel sparsamer in der Ausstattung, leider ist auch die große Modenschau bei Amneris gestrichen. Stimmungsvolles Licht, tolle Stimmen bis in die Nebenrollen und echte statt nur projizierte Sterne machen das wett. Kati Kolb hat martialisch-schicke Leder-Outfits für die Soldaten und elegante Mäntel für die Intriganten entworfen, allein die modeversessene Amneris kommt ein wenig billig weg. Regisseur Christopher Tölle hadert manchmal mit den langen Wegen auf der Treppe, lässt sein Ensemble aber in rasanten Tänzen über die Stufen wirbeln. Schwungvoll dirigiert Heiko Lippmann ein elfköpfiges Orchester, gesungen wird natürlich in Deutsch, die Übersetzung stammt vom bekanntesten deutschen Musicalautor Michael Kunze („Tanz der Vampire“). Obwohl die Liebenden auch hier in einer Grabkammer eingemauert werden, treffen wir sie in der Gegenwart wieder.

Weitere Termine: 19.-21., 23.-28., 30., 31. Juli, 1.-4., 6., 7. August
www.freilichtspiele-hall.de