Die Intendanten in der „Probegrube“ Foto: dpa - dpa

Seit einer Spielzeit sind die neuen Intendanten der drei Sparten im Amt. Weiterhin mit Aufbruchsgeist planen sie die neue Saison.

StuttgartViktor Schoner, Burkhard C. Kosminski und Tamas Detrich bestreiten in der nächsten Saison die zweite Etappe ihres gemeinsamen Wegs als neue Intendanten der Stuttgarter Staatstheater. Am Freitag haben sie im Schauspielhaus vorgestellt, was sie Neues planen.

Oper: Schöne Reibungen

Der Zusammenklang besteht aus vielen Tönen, und das Richtung Weisende an ihm ist, dass er keine Richtung hat. Cornelius Meister, Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart, spielt am Klavier das Vorspiel rund um Wagners berühmten „Tristan“-Akkord, und man darf sich über die schöne Reibung freuen, die danach entsteht: „Wir gehen unseren Weg weiter“, sagt Viktor Schoner, bevor er das Programm seines Hauses für die kommende Spielzeit vorstellt, und wirkt dabei durchaus zielbewusst.

Welche Werke 2019/20 an der Staatsoper Premiere haben werden, hat der Opernintendant schon im März bekannt gegeben. Nun geht es um das Repertoire, das mit attraktiven Namen aufgepeppt wird: Catherine Naglestad gibt ihr Debüt als Isolde, Daniel Behle wird sich (nach einigen Vorstellungen an der Oper Dortmund) in Stuttgart als Lohengrin ausprobieren. Großen Wert habe man, so Schoner, auch auf die Auswahl der Dirigenten gelegt, denn „das Kraftzentrum des Opernhauses ist im Graben“, und im übrigen sei Cornelius Meister „ein Magnet, er zieht viele an“.

Ähnliches hätte er auch über die in ihrer neuen Heimat florierende Junge Oper im Nord (Join) und ihre dynamische Leiterin Elena Tzavara sagen können, die bei den Neuproduktionen der kommenden Spielzeit kooperiert mit der Nikolauspflege für blinde und sehbehinderte Menschen (bei „Artus“, einem Stück auf der Grundlage von Henry Purcells „King Arthur“) und dem Schwäbischen Turnerbund (bei Philip Glass’ Tanzoper „Les Enfants Terribles“). Die Vermittlungsangebote für alle Altersgruppen reichen von Kinder-Workshops zu fünf Sonntags-Sinfoniekonzerten bis hin zu Familienvorstellungen, einem Opern-Lab und gemeinsamen Stückentwicklungen. Mit ihren beliebten Sitzkissenkonzerten für die ganz Kleinen will die Junge Oper zukünftig in ganz Baden-Württemberg unterwegs sein.

Dass es für das Opernstudio 650 Bewerber gab (von denen dann nur drei ausgewählt werden konnten), zeugt für die Attraktivität eines Hauses, das auch unter Viktor Schoner viel Wert auf das Sängerensemble legt. Bereichert wird dieses ab September durch die Opernstudio-Absolventen Ida Ränzlöv und Moritz Kallenberg sowie durch die Mezzosopranistin Rachael Wilson, die aus München, und den Bariton Björn Bürger, der aus Frankfurt kommt. Um „Feldforschung rund um die Stimme“ (Schoner) werden sich Johannes Müller und Philine Rinnert mit drei experimentellen Produktionen kümmern.

Auch 2020 wird es ein Frühjahrsfestival (dann unter dem Motto „Futur II“) geben. Und an fünf Abenden will man Vorstellungen der Oper per Gratis-Livestream verfügbar machen. Damit der Rest der Welt auch mitbekommt, wie in Stuttgart die alte Oper auf ihre Zukunftsfähigkeit untersucht wird.

Ballett: Sechs Uraufführungen

Viel Neues und viel Altes bringt die nächste Spielzeit beim Stuttgarter Ballett: Beachtliche sechs Uraufführungen gibt Intendant Tamas Detrich in Auftrag, zu den Auserwählten gehören die drei Ensemblemitglieder Fabio Adorisio, Roman Novitzky und Louis Stiens, der ehemalige Stuttgarter Douglas Lee sowie der an der Dresdner Palucca-Schule ausgebildete, in Norwegen tanzende Andreas Heise, dessen Beitrag zum letzten Noverre-Abend ihm diese Einladung eintrug. Neu ist auch Martin Schläpfer, der Intellektuelle unter den großen Choreografen, der praktisch nie Werke außerhalb seines Düsseldorfer Balletts am Rhein kreiert und der – das ist bekannt – die Institution Stuttgarter Ballett mit ihrer Geschichte und ihrem Publikum durchaus für eine Herausforderung hält. Jedenfalls habe er sich sehr über die Einladung gefreut, sagt Detrich. Schläpfer choreografiert zu einer Schubert-Sinfonie. Nicht mehr ganz jung, aber ein willkommener Neuzugang ist Roland Petits Duo „Le jeune homme et la mort“ nach Jean Cocteau; zusammen mit Maurice Béjarts Dauerbrenner „Boléro“ bildet er eine kleine französische Ecke im Spielplan. Am gleichen Abend gibt es zwei Stücke von Jirí Kylián, höchst willkommen ist auch der Hans-van-Manen-Abend im Schauspielhaus. Als Gegengewicht zur Moderne stehen die Handlungsballette „Dornröschen“, „Mayerling“ (das derzeit begehrteste Ticket der Stadt) und John Crankos „Zähmung“ auf dem Plan, auch der Ballettabend „Atem-Beraubend“, der Ende Juni Premiere hat, wird weiter gezeigt.

Befördert wurden Jessica Fyfe zur Solistin sowie Diana Ionescu, Timor Afshaar und Clemens Fröhlich zu Halbsolisten. Dass Gabriel Figueredo in Stuttgart unterschrieben hat, ist grandios, hinter dem Riesentalent von der Cranko-Schule waren weit größere Kompanien her. Er bringt vier weitere der persönlichkeitsstarken Absolventen mit. Die Eröffnung des Neubaus der Cranko-Schule dürfte dann auch einer der Höhepunkte der Saison werden.

Schauspiel: Nah an Fragen der Zeit

Zunächst die Verlustmeldung: Itay Tiran, der israelische Theaterstar, den Burkhard C. Kosminski in sein Ensemble gelockt hat, verlässt Stuttgart nach nur einer Spielzeit, um nach Wien zu gehen. Überraschend kommt der Wechsel nicht. Nach der „Othello“-Premiere umwarb Martin Kusej, neuer Herr des reichen Burgtheaters, den Schauspieler mit einem Angebot, das er offensichtlich nicht ausschlagen konnte.

Auf einem guten Weg ist das Haus am Eckensee trotzdem. Denn was seit Kosminskis Amtsübernahme langsam Gestalt angenommen hat, könnte sich in der kommenden Spielzeit weiter ausprägen: eine Dramaturgie, die unter dem Motto „Als ob es ein Morgen gäbe“ engen Kontakt zu den Fragen der Zeit hält und weder Publikum noch Stadt aus den Augen verliert. Das Theater empfängt die Zuschauer wieder mit offenen Armen – und einem Füllhorn neuer Stücke, Autoren, Regisseure. 18 Neuproduktionen stehen auf dem Plan, darunter sieben Ur- und Erstaufführungen, die von der Zeitgenossenschaft der Bühnenkunst zeugen. Schlagende Beispiele: Anke Stellings „Schäfchen im Trockenen“ und Thomas Melles „Die Lage“. In beiden Stücken geht es ums Wohnen, um die neue soziale Frage.

Zum Saisonauftakt inszeniert Calixto Bieito die „Italienische Nacht“ von Horváth, worin sich das politische Elend der Weimarer Republik spiegelt. Der Riss durch die Gesellschaft bestimmt auch die Theresia Walsers „Die Empörten“, eine „finstere Komödie“. Der US-Amerikaner Noah Haidle, der Serien für Hollywood erfindet, wird dem Stuttgarter Intendanten eine Tragikomödie über das „gute Sterben“ aufs Regiepult legen: „Weltwärts“.

Wichtig das alles – und doch findet sich auf dem klug gedachten Spielplan eine Arbeit, die aus dem Angebot noch heraussticht: „Rechnitz (Der Würgeengel)“ von Elfriede Jelinek, handelnd von einem historisch verbürgten Nazi-Massaker an jüdisch-ungarischen Zwangsarbeitern aus einer Partylaune heraus. Ex-Opernintendant Jossi Wieler hat die Tragödie 2008 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt und wird sie im Schauspielhaus wieder aufnehmen. „Rechnitz“ könnte mehr denn je das Stück der Stunde werden und trägt auf jeden Fall zur Erinnerungsarbeit bei, der sich das Stuttgarter Schauspiel ebenfalls auch verschrieben hat – damit es, um das Spielzeitmotto zu variieren, ein Morgen auch tatsächlich geben wird.

Oper

Giuseppe Verdi: Don Carlos. Regie: Lotte de Beer. Dirigent: Cornelius Meister. Premiere: 27. Oktober.

Wolfgang Amadeus Mozart: Le nozze di Figaro. Regie: Christiane Pohle. Dirigent: Roland Kluttig. Premiere: 1. Dezember.

Modest Mussorgsky: Boris Godunow (Urfassung) / Sergej Newski: Seconhand-Zeit (Uraufführung). Regie: Paul-Georg Dittrich. Dirigent: Titus Engel. Premiere: 2. Februar 2020.

Franz Schubert / Hans Zender: Die Winterreise. Regie: Aernout Mik. Dirigent: Stefan Schreiber. Premiere: 1. März 2020.

Antonio Vivaldi: Juditha triumphans. Regie: Silvia Costa. Dirigent: Stefano Montanari. Premiere: 22. März 2020.

Pietro Mascagni: Cavalleria rusticana. Salvatore Sciarrino: Luci mie traditrici. Regie: Barbara Frey. Dirigent: Cornelius Meister. Premiere: 28. Juni 2020.

Junge Oper

Philip Glass: Les Enfants Terribles.

Regie: Corinna Tetzel. Dirigent: Sebastian Schwab. Premiere: 26. März 2020 im Nord. Ab 14 Jahren.

Henry Purcell / Jan Homolka / Nicholas Kok: Artus. Regie: Elena Tzavara. Dirigent: Nicholas Kok. Premiere: 13. Juni 2020 im Nord. Ab zehn Jahren.

Ballett

Creations I-III. Uraufführungen von Fabio Adorisio, Andreas Heise und Roman Novitzky. Premiere: 30. November im Schauspielhaus.

Creations IV-VI. Uraufführungen von Douglas Lee, Martin Schläpfer und Louis Stiens. Premiere: 22. Februar 2020 im Opernhaus.

Jirí Kylián: Falling Angels / La petite mort. Roland Petit: Le jeune homme et la mort. Maurice Béjart: Bolero. Premiere: 29. Mai 2020 im Opernhaus.

Hans & Ludwig +. Hans van Manen: Adagio Hammerklavier / Two Pieces for Het / Solo / Große Fuge. Premiere: 3. Juli 2020 im Schauspielhaus.

Schauspiel

Ödön von Horváth: Italienische Nacht. Regie: Calixto Bieito. Premiere: 21. September im Schauspielhaus.

Michael Ende: Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch. Regie: Patricia Benecke. Premiere: 20. Oktober im Schauspielhaus.

Ebru Nihan Celkan: Last Park Standing. Regie: Nuran David Calis. Premiere: 31. Oktober im Kammertheater.

Iwanow nach Anton Tschechow. Regie: Robert Icke. Premiere: 17. November im Schauspielhaus.

Theresia Walser: Die Empörten. Regie: Burkhard C. Kosminski. Premiere im Januar 2020 im Schauspielhaus.

Anke Stelling: Schäfchen im Trockenen. Uraufführung im Januar 2020 im Kammertheater.

Georg Büchner: Woyzeck. Regie: Zino Wey. Premiere: 24. Januar 2020 im Schauspielhaus.

Lutz Hübner / Sarah Nemitz: Die Wahrheiten. Regie: Sophia Bodamer. Uraufführung: 25. Januar 2020 im Kammertheater.

Noah Haidle: Weltwärts. Regie: Burkhard C. Kosminski. Uraufführung: 29. Februar 2020 im Schauspielhaus.

Projekt 4 des Europa Ensembles. Premiere: 7. März 2020 im Kammertheater.

Elfriede Jelinek: Rechnitz (Der Würgeengel). Regie: Jossi Wieler. Premiere: 28. März 2020 im Schauspielhaus.

Schuld und Sühne nach Fjodor Dostojewski. Regie: Oliver Frljic. Premiere: 18. April 2020 im Schauspielhaus.

Thomas Melle: Die Lage. Regie: Tina Lanik. Premiere: 24. April 2020 im Kammertheater.

William Shakespeare: Was ihr wollt. Regie: Bernadette Sonnenbichler. Premiere: 20. Juni 2020 im Schauspielhaus.