Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Die beiden Riesenhände tänzeln auf dünnen Menschenbeinen in den Saal hinein. Die eine setzt sich drängelnd zwischen Zuschauer, die andere streicht über die Köpfe derselben, dass ein Windzug durch den Saal pfeift. Die beiden Pratzen springen elegant auf die Bühne, tun sich zusammen und drehen Däumchen oder formen sich zur berühmten Raute. Bei der Schweizer Theatergruppe Mummenschanz, die in ihren Performances stets Tanz, Masken-, Pantomime- und Figurentheater miteinander verbindet, wird mit einfacher Zeichensprache viel gesagt.

Zwei grüne Schläuche mit zwei Augen, die sich mal raupen-, mal schlangenartig fortbewegen, reichen, um ein Liebesdrama oder die völlige Überforderung angesichts eines kaum verdaubaren Riesenblattes anzudeuten. Oder um mit dem Publikum ein bisschen Spaß-Ball zu spielen. Amöbenartige Gummiwesen knautschen und falten sich so zusammen, dass menschliche Mimik aufscheint. Ein bräunlicher Riesensack kriecht über die Bühne und droht, das Publikum zu „überrollen“. Eine stille Bilderwelt, mit der „Mummenschanz“ seit 45 Jahren weltweit Erfolge feiert. Und auch der große Saal im Stuttgarter Theaterhaus, wo die fünfköpfige Compagnie gerade mit ihrem aktuellen Programm „you & me“ gastiert, war jetzt so gut wie ausverkauft. Ein Gründungsmitglied ist noch mit dabei: Floriana Frassetto. Die vier anderen - Sara Francesca Hermann, Oliver Pfulg, Christa Barrett und Kevin Blaser - sind lange nach dem Gründungsjahr 1972 geboren.

Ihre Bühnenshow braucht nicht mehr als Recyclingmaterialien, die von Menschenkörpern belebt werden: Kanister, Schaumstoffe, Folien, Tüll, Spiralen, Brettchen - nur selten mal wertvollere Glitter-Paillettenstoffe oder gar Musikinstrumente. Das Licht, für das Eric Sauge verantwortlich ist, setzt alles vor rabenschwarzer Kulisse in Szene. Besonders schön die Nummern unter Wasser: grün und blau illuminierte Meeresfremdlinge schweben durch die Luft. Eine aggressiv zappelnde Qualle macht eine coole Artgenossin an, mit zweifelhaftem Erfolg. Ein Seepferdchen aus Tüll hüpft nonchalant über eine Seeanemone, die später von einem Fisch verfolgt wird.

In solchen Szenen bleiben die Körper der schwarz vermummten Darsteller unsichtbar. In anderen der gut fünfundzwanzig Nummern wird ihre Anwesenheit dezent durchs Licht verraten, wiewohl der Spot auf den Masken liegt: Etwa im grotesken Wettkampf zweier Konkurrenten, die sich mit kiloschwerer Knetmasse im Gesicht im Formen möglichst kurioser Fratzen üben. Witzig auch, wenn vier Smombies sich necken, um dann miteinander zu rappen. Dann wird auf der Bühne Rhythmus gemacht, an diesem meist sehr stillen Abend, der ohne Soundtrack auskommt, stattdessen vom Lachen und Giggeln des Publikums unterlegt wird, dass sich in den merkwürdig mutierenden Schläuchen, Kapseln, Röhren, amorphen und geometrischen Formen durchaus widerzuerkennen scheint. Vor allem wenn es konkreter wird, wenn da ein Pärchen mit Bratsche (Mann) und Violine (Frau) statt Gesichtern auf die Bühne hüpft, und die Saiten sich in Stimmbänder verwandeln.

Gesellschaftskritisch oder gar politisch will man nicht sein. Aber es geht um Kommunikation und die Komik der Missverständnisse. Sketche ohne Worte, über Liebe, Angst oder Konkurrenzgehabe, zeitlos, allgemein und wohl überall verständlich. Ihre wahren Gesichter zeigt die Gruppe nie. Mimik braucht es nicht. Die Körperhaltung macht’s, oder ein gerader oder gekrümmter Strich nach oben oder unten. Da staunt der Kreis, der sich bald als O entpuppt, wenn das Ypsilon und das M auf die Bühne purzeln und sich irgendwann mit dem U und dem E zusammenwurschteln: zum „you & me“, dem Motto des Abends.

Weitere Vorstellungen: Freitag, 29.12., und Samstag, 30.12., Beginn jeweils um 20 Uhr; Sonntag, 31.12., um 15 Uhr sowie um 19.30 Uhr.