Bach mit 84: Helmuth Rilling dirigiert mit konzentrierter Gestik. Foto: Schneider Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Großer Besucherandrang in der Stiftskirche: Der Altmeister ist zurück. Helmuth Rilling, Gründer und ehemaliger Leiter der Bachakademie, gibt sich die Ehre und dirigiert das vierte Konzert der „Sichten auf Bach“-Reihe.

Sehr langsam, fast in Zeitlupe, aber zielsicher bewegt sich Rilling, der nunmehr 84 Jahre alt ist, auf die Bühne zu, unter anrührendem Dauerapplaus nimmt er dort seinen Platz am Dirigierpult ein. Mit auf der Bühne: die Jugend in Gestalt des Festival-Chors und -Orchesters namens Junges Stuttgarter Bach-Ensembles, das an diesem Mittag sein letztes Konzert gibt - nach zweieinhalb Wochen intensiver Arbeit fürs Musikfest. Und die Jugend wird die beiden aufgeführten Bach-Kantaten dann auch tragen.

Ungeheuer energievoll, euphorisch und fröhlich-beschwingt gelingt der Auftakt mit dem Eingangschor der Kantate „Man singet mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten“. Die Dirigierbewegungen Rillings sind auf ein Minimum reduziert, er leitet das Konzert im Sitzen.

Schön rein und homogen klingen die Chöre. Auch das Orchester mit Daniel Tauber als Konzertmeister macht seine Sache gut: engagiert, konzentriert und präzise. Mächtig schmettern die exzellent besetzten Trompeten. Die Rezitative und Arien, gesungen von den Absolventen und Absolventinnen der Gesangsmeisterkurse, laufen wie von selbst. Besonders der charismatische Tenor Lucas van Lierop sticht hervor: sehr deutlich und klar seine Artikulation, höhensicher und klangschön seine Stimme, selbstbewusst sein Auftreten. Auch Julia Sophie Hagenmüller begeistert mit ihrer Arie „Gottes Engel weichen nie“. Von imposantem Volumen ist die Stimme von Altistin Pauline Stöhr, die in ihrer Arie aus der Kantate „Wir müssen durch viel Trübsal“ einfühlsam und virtuos von Daniel Tauber auf der Geige begleitet wird.

In der einleitenden Sinfonia dieser Kantate vermisst man allerdings einen detailgenauen interpretatorischen Zugriff. Das recht lange Stück, für das Bach den Satz eines Violinkonzerts verwendete und für Orgel-Solo transkribierte, plätschert etwas eintönig vor sich hin, wenn auch Michaela Hasselt an der wohltönenden Truhenorgel den virtuosen Geigenpart trefflich ersetzen kann. Insgesamt fehlt hier aber die gestaltende, tempostraffende Hand, vor allen auch die dynamische Feinarbeit, die Phrasierungen atmen nicht. Aber sei’s drum.

Am Ende des Konzerts steht das Publikum in der voll besetzten Stiftskirche auf, ehrt mit erneutem Dauerapplaus den greisen Meister, der müde, aber sehr zufrieden und glücklich wirkt.