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Vor der Premiere: Andrea Breth inszeniert Luigi Dallapiccolas „Der Gefangene“ mit Georg Nigl in der Titelrolle und Wolfgang Rihms „Das Gehege“ an der Stuttgarter Oper.

StuttgartDie Freiheit? Ist nur eine Schimäre. Der Bariton Georg Nigl, in Stuttgart zuletzt als Gegenspieler Aschenbachs in „Tod in Venedig“ zu erleben und zuvor hier als Protagonist von Wolfgang Rihms „Lenz“ bejubelt, ist der traurige Titelheld in dem Einakter „Der Gefangene“, mit dem der italienische Komponist Luigi Dallapiccola ab 1949 große Erfolge feierte. Als Kooperation der Opernhäuser von Brüssel und Stuttgart kam „Il Prigioniero“, gekoppelt mit Wolfgang Rihms „Das Gehege“, bereits im Januar am Théâtre de la Monnaie heraus. Am heutigen Donnerstag folgt die Stuttgarter Premiere des von Andrea Breth im Bühnenbild von Martin Zehetgruber inszenierten Doppelabends – mit denselben Sängern, demselben Dirigenten (Franck Ollu), demselben Chor (Opernchor Stuttgart), dessen Partie vorab auf Band aufgenommen wurde, nun aber mit dem Staatsorchester Stuttgart.

Schöne Linie ist nur Mittel zum Zweck

Georg Nigl nimmt kein Blatt vor den Mund. Was ihn antreibt, wenn er sich auf der Bühne vollständig verausgabt? „Wenn ich Menschen singe und spiele, dann ist das immer intensiv.“ Er habe, sagt Nigl, kein Verständnis für „die Kollegen, die nur überlegen, wie sie am besten von A nach B kommen“. Dafür sei ihm Theater viel zu wichtig. Und tatsächlich habe er, der bei den Wiener Sängerknaben musikalisch sozialisiert wurde, „nie über Klang nachgedacht, sondern immer über Inhalte. Wie kann ich Text transportieren? Das war mir wichtig“ – und die schöne Linie nur Mittel zum Zweck.

So kam es, dass Nigl fast zwangsläufig zu einem Spezialisten für neuere und zeitgenössische Musik geworden ist, der, wie er sagt, „bestimmten Komponisten die Treue hält“ – etwa Rihm, Beat Furrer, Pascal Dusapin. Und der deshalb „nie an italienische Opern oder an Opern von Mozart herangekommen ist“. Das holt er erst jetzt allmählich nach – als bald 46-Jähriger. Allerdings sei er, der noch mit 17 im Chor Sopran gesungen hat, immer schon „ein bisserl spät dran“ gewesen.

Vieles, was er „einfach so“ gemacht habe, sei ihm erst beim Unterrichten (zwei Jahre als Gesangsprofessor in Stuttgart) bewusst geworden. Immerhin habe er in den 35 Jahren, die er mittlerweile auf der Bühne stehe, seine Stimme nicht derart kaputt gemacht „wie andere, die früh in den großen Opernhäusern verheizt worden sind und ihren ersten Wagner schon mit 32 rausgepfeffert haben“. Tatsächlich versteht Georg Nigl die Oper Dallapiccolas als „ein deutliches Signal: Schaut mal her, ich kann lange Phrasen singen!“

Die Musik gibt ihm dazu die Möglichkeit, denn ihr gelingt, indem sie Zwölftönigkeit mit italienischer Sanglichkeit verbindet, eine Liaison von Intellekt und Sinnlichkeit. „Dallapiccola“, behauptet Nigl gar, „ist gar nicht so weit entfernt von Puccini.“ Und anstrengend sei diese Produktion nur deshalb gewesen, weil ihm und Andrea Breth 2014 bei „Lenz“ „etwas Großes“ gelungen sei und er hinter diesem Erfolg nicht zurückbleiben wollte. Zur Erinnerung: Wolfgang Rihms Stück kam beim Stuttgarter Publikum damals so gut an, dass seine letzte Vorstellung, weil die Karten nicht reichten, sogar ins Kammertheater übertragen wurde.

Jetzt steht Rihms Einakter „Das Gehege“ für den zweiten Teil des Abends. Das Stück von 2006 fußt auf dem abschließenden Monolog von Botho Strauss‘ „Schlusschor“, und Georg Nigl spielt hier nur eine stumme Rolle neben der Sopranistin Ángeles Blancas Gulín, die einen träge gewordenen Zoo-Adler erst befreien will und dann verzehrt – was bei Strauss anspielungsreich im Kontext der deutschen Wiedervereinigung steht. Strauss’ Stück sei, hat Rihm einmal gesagt, als Sprachform schon „in Musik hineingewachsen“, und so symbolträchtig und farbensatt klingt das Stück dann wirklich.

Kommt da also zusammen, was zusammengehört? Die mit Käfigen vollgestellte Bühne legt das nahe. Sie lässt ein Gefühl der Beklemmung zurück, und man kann den siebenjährigen Sohn Nigls verstehen, der seinen Vater fragte, warum er „immer so traurige Sachen“ singe. Die Antwort liegt für den Sänger auf der Hand: „Wenn wir ein Theater gestalten, bei dem die Zuschauer ihre Beine hochlegen, dann haben wir etwas falsch gemacht!“

Die Premiere beginnt am heutigen Donnerstag um 19 Uhr im Stuttgarter Opernhaus. Nächste Vorstellungen am 29. April, 21. und 26. Mai, 9., 16. und 25. Juni.