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Ohne Umschweife legen die grauen Eminenzen des Rock ’n’ Roll los. Doch beim inzwischen 78-jährigen Mike Love lassen sich stimmliche Schwächen hören. Trotz der aufgekratzt-heiteren Stimmung mischt sich ins Konzert ein Unterton zwischen Melancholie und Nostalgie ein.

StuttgartErst kommt der Zeigefinger: „Hey, du!“ Dann der nach oben gereckte Daumen: „Alles super!“ Man kennt die Geste vom Präsidenten der USA, Donald Trump, den Mike Love, Frontmann der Beach Boys, durchaus zu schätzen weiß. Als der inzwischen 78-Jährige zusammen mit seinem Mitstreiter Bruce Johnston und sieben Musikerkollegen am Sonntagabend die Bühne im Beethovensaal betritt, verwendet Love die Geste verschwenderisch oft, ein bisschen seltener formt er mit beiden Händen ein Herz, um seine Zuneigung für die treuen Fans zu bekunden. Deutlich hüftsteif wirkt Love im nur mit einer grell-orangefarbenen Baseballkappe aufgepeppten Rentnerdress inzwischen. Bruce Johnston wippt etwas agiler hinter seinem Keyboard und ist sichtlich guter Laune.

Melancholischer Unterton

Ohne Umschweife legen die grauen Eminenzen des Rock ’n’ Roll los; mit Krachern wie „Surfin’ Safari“, „California Sun“ und „Surfin’ USA“, begleitet von ihrer hervorragenden Band, in der unter anderem Loves Sohn Christian Gitarre spielt. Um Politik wird es an diesem Abend nicht gehen, im Gegenteil. Auf einer über der Bühne schwebenden Leinwand ziehen Impressionen kalifornischer Strände, schöner Mädchen und flotter Flitzer vorüber. Dazwischen nostalgische Szenen, als Al Jardine, Carl, Dennis und Brian Wilson noch mit von der Partie waren. Mehr als ein halbes Jahrhundert sind einige diese Bilder alt, eine Ewigkeit. Trotz der meist aufgekratzt-heiteren Tonlage schleicht sich ein melancholischer Unterton ein; hier feiern zwei alte Männer „Good Vibrations“, als die Welt noch in Ordnung war und weit weniger kompliziert als heute.

Dabei hat das so nie gestimmt, auch nicht in den frühen Sechzigern, als sich die Beach Boys als typisch amerikanische Band in einer turbulenten Zeit formierten. Der fröhliche Hedonismus mit Surfbrettern und ewigem Sonnenschein gehörte schon damals zum illusionistischen Kernprogramm ihrer Musik, in der irdische Sorgen zunächst keinen Platz hatten. Erst mit den berühmten Alben „Pet Sounds“ und „Smile“, die der eigenwillige Komponist Brian Wilson im Kontrast zum Gute-Laune-Diktat der Anfangsjahre mit komplizierteren Emotionen unterfütterte, scheinen neue musikalische Facetten im Schaffen der Gruppe auf. Doch ausgerechnet der bitter-romantischen Hymne „Wouldn’t it be nice“ fehlt es an diesem Abend an Drive und Wucht, Mike Love entgleitet im Gesang die Melodie, auch mit dem sehnsüchtigen Schmelz von „Sloop John B.“ tut er sich schwer. Hatte Love zunächst noch mehrere Stücke hintereinander intoniert, übernehmen im Verlauf des Abends die jüngeren Kollegen den Leadgesang. Love schüttelt dazu den Schellenkranz und hält sich stimmlich im Background.

Unüberhörbare Schwächen

Trotz dieser unüberhörbaren Schwächen gibt es einige berührende Momente, etwa wenn Christian Love das einst von Carl Wilson eingesungene Stück „God only knows“ interpretiert, mit erstaunlicher Nähe zu Wilsons Timbre. Hinreißend auch die Interpretation einer alten Nummer der Four Freshmen, die Brian Wilson verehrte; „Their Hearts were full of Spring“ ist eine feierliche Barbershop-Nummer und reißt das Publikum vom Hocker.

Befremdlich dagegen Mike Loves Hommage an den 2001 verstorbenen Beatle George Harrison mit dem Titel „Pisces Brothers“, eine sentimentale Esoterik-Schnulze. So endet der wechselvolle Abend mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Schön war das Wiedersehen mit den Beach Boys, doch es bleibt nur der Schatten eines legendären Sommers vor langer Zeit.