Dorine Mokha Quelle: Unbekannt

In ihrem Oratorium prangern Dorine Mokha und Elia Rediger die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Kobalt-Minen im Kongo an: ein eindringliches, stilistisch vielfältiges Musikwerk zwischen Klassik und afrikanischer Folklore – mit einem Hoffnungsschimmer am Ende.

EsslingenWas haben Computer, Handys und Batterien für E-Autos mit Georg Friedrich Händels Oratorium „Hercules“ von 1744 zu tun? Nichts. Oder doch? „Herkules von Lumbumbashi“, eine Neuproduktion des Podiums Esslingen, bringt beides zusammen. Bei der Uraufführung des im Kongo spielenden Minenoratoriums in der Esslinger Scala wurden Missstände angeprangert: Die Bevölkerung des afrikanischen Staates leidet massiv unter der Ausbeutung der Bodenschätze, besonders der Gewinnung des für elektronische Geräte wichtigen Metalls Kobalt. Da kann nur ein übermächtiger Held wie Herkules Hilfe bringen und die Reichtümer, die multinationale Konzerne wie die in der Schweiz ansässige Firma Glencore skrupellos plündern, der Erde zurückgeben.

Damit kommt Händels „Hercules“ ins Spiel, der Pate stand für die musikalische Konzeption des in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa geborenen Schweizer Komponisten Elia Rediger. Er übernahm die Struktur des Oratoriums mit seinen Arien, Rezitativen und Chören und zitiert immer wieder die prächtige Musik Händels – mit Verfremdungen und instrumentalen Retuschen. Diesen barocken Wohlklang mischt Rediger mit afrikanischer Folklore, Anklängen westlicher Pop-Musik und atonalen Klängen zu einer Melange der Stile, die den Spagat zwischen bedrohender Eindringlichkeit und unterhaltendem Gestus mühelos schafft.

Die bunte musikalische Mischung spiegelte sich auch in der Besetzung des Instrumentalensembles wider: Europäische und afrikanische Musikerinnen und Musiker schufen Klangbilder voller Farbe und rhythmischer Spannung. Zusammen mit dem in Lumbumbashi geborenen Autor und Tänzer Dorine Mokha entwickelte Rediger ein schlüssiges Libretto, das die bewegte Geschichte der Demokratischen Republik Kongo während der vergangenen 50 Jahre eindrucksvoll schildert. Mokha rezitierte, unterstrich die per Video auf die Bühnenrückwand projizierten Bilder mit ausdrucksstarken Gesten und zog das Publikum mit seinem lockeren, geschmeidigen Tanz in Bann.

Den musikalischen Gegenpol setzte Elia Rediger mit diversen Gesangssoli, mal mit tenoraler Strahlkraft auftrumpfend, dann in baritonalen Belcanto abtauchend, um sich alsbald als Altus in die Höhen der Kopfstimmenkunst emporzuschwingen. Und wenn per Video Choräle eines kongolesischen Minenchors (Troubadours de Lumbumbashi) eingespielt werden, wenn Zitate Betroffener zu hören sind, die unter Mineneinstürzen zu leiden hatten und von Regierungssoldaten beschossen wurden, wenn der aalglatte Pressesprecher der Firma Glencore plötzlich mit engelsgleicher Unschuld singt „Wenn nicht wir, dann machen’s die Chinesen“: Dann entstehen Momente bedrückender Intensität.

Das Konglomerat von globaler Verstrickung, Bestechung und Ausbeutung scheint undurchdringbar. Die verarmte Bevölkerung versucht, sich durch illegale Arbeit in den Minen über Wasser zu halten – doch dann lässt eine Email einen Silberstreifen am Horizont aufleuchten: Glencore überweist einen Millionenbetrag, der die Not zumindest temporär mindert. Musik und Tanz nehmen Fahrt auf und führen „Herkules von Lumbumbashi“ auf einen heiteren finalen Höhepunkt: ein Appell für eine bessere Zukunft.