Im ZDF-Talk bei Markus Lanz ging es am Mittwochabend um die Probleme im Wohnungsbau. (Archivbild) Foto: dpa/Markus Hertrich

Wohnungsministerin Geywitz spricht übers Kaffeekochen und ein Politologe sieht beim Wohnungsmangel ein Fehler im System.

Rund 400.000 neue Wohnungen jährlich hat Kanzler Olaf Scholz am Beginn seiner Amtszeit versprochen und wie dieses Ziel zu erreichen sei angesichts der laufenden Krise am Bau, das war die Kernfrage beim ZDF-Talk von Markus Lanz am Mittwochabend. Eine Antwort – das vorneweg – hat die Studiorunde nicht gefunden, aber interessante Einblicke in das System Wohnungswirtschaft doch gegeben. Zunächst einmal hat die Bundesministerin für Wohnen, Klara Geywitz (SPD), auf die Erblast hingewiesen, die frühere Regierungen hinterlassen hätten. 20 Jahre lang habe es gar kein eigenes Wohnungsministerium gegeben, der Sozialwohnungsbau sei vernachlässigt worden und als sie anfing 2021 habe ihr Ministerium nur 200 Leute gehabt und ihren Kaffee habe sie selbst mitgebracht, den gab es nicht im Ressort. Jetzt habe sie 500 Mitarbeiter und eine schöne Kaffeemaschine, aber von der hänge der Wohnungsbau auch nicht ab: „Wir sorgen für gesetzliche Regelungen, aber wir als Ministerium bauen ja nicht selbst.“

Baubranche muss durch Krise kommen

Als große Trophäe ihrer Amtszeit wies Geywitz zweimal auf die Wohngeldreform hin, mit der die Regierung fünf Milliarden Euro in die Hand nehme, damit Menschen ihre Wohnungen bezahlen könnte. Ob das Ziel mit den 400.000 Wohnungen zu halten ist, daran äußerten alle in der Studiorunde Zweifel. Als es einst verkündet wurde, da waren die Bauzinsen niedrig und der Ukraine-Krieg noch fern, jetzt sei die Baubranche in der Krise „und mein Ziel ist es, dass die Branche stabil durch diese Phase kommt und wir nicht Kapazitäten verlieren“, sagte Geywitz

Preiswert Wohnen in Wien

Vielfach mit einem Nicken kommentierte die SPD-Ministerin dann die spannende Systemanalyse des Politologen Matthias Bernt, der eine Promotion über Stadterneuerung verfasst hat. Ende der 80er Jahre habe es in Deutschland noch vier Millionen Sozialwohnungen gegeben, heute seien es noch eine Million: „Drei Millionen sind weg, aber warum?“ Ein österreichischer Kollege habe das deutsche System einmal als „Investitionsförderung mit sozialer Zwischennutzung“ bezeichnet, denn der Staat gebe Geld an einen Investor zum Bau von Sozialwohnungen mit preiswerten Mieten, aber nach 30 oder 40 Jahren höre die Sozialbindung auf, die Wirkung verpuffe. Dieses System sei nicht nachhaltig. In England oder Schweden gehörten viele Mietwohnungen dem Staat, in Österreich Genossenschaften. In Wien sei beispielsweise die Hälfte des Bestandes „gut bezahlbarer Wohnraum“. Bernt wies darauf hin, dass im vergangenen Jahr 285.000 neue Wohnungen gebaut worden seien, davon seien 25.000 Sozialwohnungen gewesen, gleichzeitig seien aber 36.000 Wohnungen aus der Sozialwohnungsbindung heraus gefallen. Würde man im übrigen in diesem Tempo Sozialwohnungen weiterbauen, dann würde es 120 Jahre dauern, bis man wieder bei den vier Millionen sei.

Bezahlbarer Wohnraum – so Bernts These – lasse sich nicht über Neubauten regeln, so wichtig die auch seien, denn es werde da nie ein Überangebot geben, bezahlbarer Wohnraum sei nur über eine Regulierung im Bestand möglich, allerdings sei die Mietpreisbremse nicht richtig funktionsfähig, sie sei „pfuschig konstruiert“ und gebe den Vermietern zu viele Hintertürchen.

„Reiche“ verteidigen ihr Quartier

Dass mehr und schneller gebaut wird, das sei vor allem auch eine Sache der Kommunen, befand der „Zeit“-Wirtschaftsredakteur Roman Pletter. „Viele verhindern, dass gebaut wird.“ Mit Flächennutzungsplänen und Bebauungsplänen lasse sich viel bewegen, allerdings sei es so, dass vorwiegend eine reiche Bevölkerung „ihre Gegenden vor einer Bebauung verteidigen“, und dafür Anwälte in Bewegung setzten. Pletter wies daraufhin, dass heute im Durchschnitt eine Person auf 50 Quadratmetern wohne, 1991 seien es noch 35 Quadratmeter gewesen. Die Bürger seien gewöhnt daran, dass sie morgen mehr haben werden als heute, aber Kanzler Olaf Scholz müsse die Wahrheit aussprechen und sie auf das Ärmer-Werden hinweisen. Stattdessen praktiziere er einen „Zumutungsentzug“, bestimmte Tatsachen sollten der Bevölkerung nicht zugemutet werden.