Surowikin (links) gilt als Verbündeter Prigoschins, hatte sich aber noch in der Nacht zum Samstag auf die Seite des Machtapparats in Moskau geschlagen. Foto: dpa/Gavriil Grigorov

Nach ihrem kurzen Aufstand soll die russische Söldner-Truppe Wagner angeblich nach Belarus abziehen. Polen fühlt sich durch die mögliche Nähe der brutalen Truppe bedroht. Zu Berichten über eine angebliche Festnahme des Generals Surowikin hüllt sich der Kreml in Schweigen.

Wegen Spekulationen über die mögliche Verlegung der berüchtigten russischen Wagner-Söldner ins Nachbarland Belarus will Polen seine Ostgrenze stärker sichern. Geplant sei sowohl eine Aufstockung der dort stationierten uniformierten Kräfte als auch eine Erhöhung der Zahl „verschiedener Arten von Hindernissen und Befestigungen zum Schutz unserer Grenze im Falle eines Angriffs“, sagte Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski. Bis zu 8000 Wagner-Kämpfer könnten in Belarus unterkommen, warnte er.

Bundeskanzler Olaf Scholz sicherte Ländern an der Nato-Ostflanke angesichts dieser Entwicklung Unterstützung für den Fall einer weiteren Eskalation zu. Unterdessen kamen die ukrainischen Truppen bei ihrer Offensive nach Angaben aus Kiew langsam aber stetig voran.

Kreml äußert sich nicht zum Verbleib von General Surowikin

Nach unbestätigten Berichten über eine Festnahme des russischen Vize-Generalstabschefs Sergej Surowikin – bekannt als „General Armageddon“ – verwies Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag auf das Verteidigungsministerium. Dieses beantwortet aber in der Regel keine Fragen. Mehrere russische Medien hatten schon am Vortag unter Berufung auf Informanten berichtet, Surowikin sei festgenommen worden. Peskow hatte einen US-Medienbericht als „Spekulation“ zurückgewiesen, wonach Surowikin von dem Aufstandsplan des Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin vorab gewusst habe. Surowikin gilt als Verbündeter Prigoschins, hatte sich aber noch in der Nacht zum Samstag auf die Seite des Machtapparats in Moskau geschlagen.

Auch Verbleib Prigoschins unklar

Fraglich war am Donnerstag auch, wo sich Prigoschin aufhielt. Der frühere russische Geheimdienstoffizier und prominente Militärblogger Igor Girkin, genannt Strelkow, schrieb, Prigoschin sei „allem Anschein nach“ in seiner Heimatstadt St. Petersburg. Von dort steuerte der 62-Jährige auch seine prorussischen und antiwestlichen Desinformationskampagnen im Internet. Auch das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) schrieb, Prigoschin könne nach Russland zurückgekehrt sein, um Details einer Vereinbarung über die Zukunft seiner Truppe und seiner selbst mit den Behörden auszuhandeln.

Zugleich wies das ISW auf Berichte von Bloggern hin, Prigoschin lasse für seine Truppen in Belarus neue Feldlager einrichten. Prigoschin hatte einen bewaffneten Aufstand vergangenen Samstag rund 200 Kilometer vor der russischen Hauptstadt überraschend abgebrochen. Vermittelt hatte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko, der am Montag sagte, Prigoschin sei in Belarus. Lukaschenko hat auch den Kämpfern der Söldnertruppe Aufnahme in seinem Land angeboten.

Scholz: Jeder Angriff auf Nato-Territorium wird gemeinsam beantwortet

Bundeskanzler Scholz bekräftigte am Donnerstag vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel, die Nato werde jedem Mitglied beistehen. „Wir müssen genau beobachten, was da geschieht und in welcher Dimension das der Fall ist. Auf alle Fälle gibt es ja Klarheit über das, was wir einander schulden. In der Nato haben wir uns Beistand versprochen. Jeder Angriff auf Nato-Territorium ist eine Sache, die wir gemeinsam beantworten werden. Und deshalb können sich auch alle darauf verlassen“, sagte der Sozialdemokrat. In Artikel 5 des Nordatlantikvertrags ist geregelt, dass sich die Bündnispartner verpflichten, bei einem bewaffneten Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen Beistand zu leisten.

Lettland fürchtet „Infiltration“ durch Wagner-Söldner

Auch Lettland äußerte sich besorgt über die Wagner-Söldner. Es bestehe die Gefahr einer „Infiltration“ der EU durch Kämpfer der Gruppe Wagner, warnte der lettische Regierungschef Krisjanis Karins in Brüssel. „Die Bedrohung wäre wahrscheinlich nicht eine frontal militärische, sondern der Versuch der Infiltration Europas für unbekannte Zwecke“, sagte er.

Ukraine verkündet langsamen Vormarsch an mehreren Abschnitten

Die ukrainische Armee hat bei ihrer Offensive nach eigenen Angaben die russischen Invasoren an mehreren Frontabschnitten um mehr als einen Kilometer zurückgedrängt. Insbesondere im Umland der russisch kontrollierten Stadt Bachmut liege die Initiative derzeit auf ukrainischer Seite, teilte Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar mit. Die Angaben der Kriegsparteien lassen sich nicht unmittelbar unabhängig überprüfen. Bachmut war von den Russen im Mai unter hohen Verlusten nach monatelangen schweren Kämpfen erobert worden.

Tote und Verletzte durch russischen Beschuss in Cherson

In der südukrainischen Stadt Cherson sind am Donnerstag mindestens zwei Menschen durch russischen Beschuss getötet und zwei weitere verletzt worden. Nach Angaben lokaler Behörden wurden Wohngebäude, ein medizinisches Zentrum und eine Schule mit einem sogenannten „Punkt der Unbezwingbarkeit“ getroffen. Dabei handelt es sich um einen zivilen Schutzraum, in dem humanitäre Hilfe an die Bevölkerung ausgegeben wird.

Staatsfernsehen zeigt Putin bei Bad in der Menge

Vier Tage nach dem Abbruch des Wagner-Auftstands hat Kremlchef Wladimir Putin ein für ihn ungewöhnliches Bad in der Menge genommen. Aufnahmen des Staatsfernsehens zeigten ihn am Mittwochabend, wie er in der Kaukasusrepublik Dagestan von begeisterten Bewohnern umringt wird und Hände schüttelt. Dann bittet ihn ein Mädchen in dem Gedränge um ein Selfie. Putin gibt dem Mädchen einen Kuss auf den Kopf, legt den Arm um sie und lässt sich mit ihr fotografieren. Dass der Kremlchef sich in eine Menschenmenge begibt, ist äußerst selten - in Moskau hält Putin selbst bei politischen Treffen meist Abstand. Die Reise Putins sollte offenbar Normalität zeigen.