Am Montag wird es in vielen Klassenzimmern etwas voller als bisher werden. Foto: IMAGO/Kirchner-Media/Christopher Neundorf

Besonders vom Lehrermangel betroffen sind in Stuttgart Sonder- und Grundschulen. Das Schulamt reagiert mit Zusammenlegung von Klassen. Und: viele Flüchtlingskinder aus der Ukraine suchen noch einen Schulplatz.

Das neue Schuljahr startet in Stuttgart holprig – und mit ganz neuen Herausforderungen. Denn laut Staatlichem Schulamt konnten zwar 131 neue Lehrkräfte eingestellt werden, aber 52 Lehrerstellen sowie eine Konrektor- und acht Rektorenstellen sind nicht besetzt. Hinzu kommt, dass die Krankheitsreserve – knapp 50 Deputate – „schon komplett verbraten“ sei, wie Schulamtschef Thomas Schenk bei einem Pressegespräch einräumte. Und Schwangere fallen in Coronazeiten für den Präsenzunterricht praktisch aus. Hinzu kommt der große Andrang von Flüchtlingskindern aus der Ukraine, die einen Schulplatz brauchen.

Wo Pädagogen fehlen

Die Unterrichtsversorgung sei „in allen Schularten angespannt“, sagt Schenk – „aber die größten Herausforderungen haben wir in den Sonderschulen und den Grundschulen“. In den Sonderschulen seien 18 Lehrerstellen offen, ebenso viele an den Real-, Werkreal- und Gemeinschaftsschulen (wo sich das aber besser verteilt) und 16 Pädagogen fehlten noch an den Grundschulen. Erfreulich sei, dass man für diese Schularten insgesamt 110 Personen mit befristeten Verträgen habe gewinnen können. Einige verzichteten sogar mit Absicht auf eine unbefristete Stelle. Denn, so Schenk: „Nach Stuttgart wollen nicht so viele.“ Also nähmen sie lieber einen nur bis zu den Sommerferien befristeten Vertrag am Nichtwunschort, als dort unbefristet anzuheuern – und ihn erst frühestens nach drei Jahren Probezeit wieder verlassen zu können. Auf der anderen Seite könnten Personen nach 30 Monaten Unterrichtstätigkeit auch eine Entfristung beantragen. Zwölf hätten diese Möglichkeit genutzt.

Grundschulklassen zusammengelegt

Um die nicht besetzten Lehrerstellen zu kompensieren und genügend Klassenlehrer zu haben, hat das Schulamt an vier Grundschulen Klassen zusammengelegt. So werden etwa aus drei zweiten Klassen im neuen Schuljahr zwei dritte Klassen. Die liegen dann mit 29 oder 30 Kindern knapp über dem Teiler. Der begrenzt die Grundschulklasse eigentlich auf 28 Kinder. „Das führt in der Elternschaft nicht zu heller Begeisterung“, berichtet Schenk. Es sei aber der schwierigen Personalsituation geschuldet. In einem weiteren Fall habe die neue Klassenzusammenlegung auch zu einer Beschwerde beim Schulamt geführt, dabei sei dies durch den Wegzug einiger Kinder nötig geworden. In diesem Fall liege man noch unter dem Teiler.

Wieder mehr Schulwechsler

Die Zahl der Kinder, die aus Leistungsgründen das Gymnasium verlassen müssen, nimmt wieder zu und liegt laut Schenk „deutlich im dreistelligen Bereich“. Bis 2019 waren es rund 400 Schüler im Jahr gewesen, doch in den Coronajahren gab es ja keine Sitzenbleiber. Jetzt greift die Versetzungsordnung wieder, und das bedeutet für die Betroffenen, das sie sich einen Platz in einer Real-, Werkreal- oder Gemeinschaftsschule suchen müssen. Das sei offenbar nicht allen Familien klar, denn immer noch gebe es Kinder, die noch nicht wissen, wo sie am Montag zur Schule gehen. Verloren gehe aber niemand, versichert man im Schulamt.

Herausforderung: Ukraineflüchtlinge

Mit Kriegsbeginn in der Ukraine kamen ab März dieses Jahres sehr schnell sehr viele Flüchtlinge nach Stuttgart, meist Mütter mit Kindern. „Die Zahlen sind durch die Decke gegangen“, sagt Schenk. Innerhalb kurzer Zeit habe sich die Schülerzahl in den Vorbereitungsklassen fast verdoppelt: von 555 Schülern zu Beginn des letzten Schuljahrs auf 1100 im Juli dieses Jahres. Nicht allen der geflüchteten Kinder und Jugendlichen habe man direkt einen Schulplatz anbieten können, viele hätten bis zum Abschluss des ukrainischen Schuljahrs Ende Mai am ukrainischen Fernunterricht teilgenommen. Etliche sind aber in Stuttgart auch direkt in Regelklassen gegangen. Manche seien auch in die Ukraine zurückgekehrt. Und jetzt? „Wir wissen noch nicht genau, wie viele Kinder bei uns schulpflichtig werden“, so Schenk. Denn sobald sie sechs Monate hier sind, sei das der Fall. „Jede Schülerin, jeder Schüler wird ein Unterrichtsangebot erhalten.“

Vorbereitungsklassen stark aufgestockt

Fürs neue Schuljahr ist es dem Schulamt gelungen, die Zahl der Vorbereitungsklassen (VKL) aufzustocken: von 48 im November vergangenen Jahres auf 58 im Juni – und von Montag an stehen 70 bereit. Die Schülerzahl wuchs bis Juli auf 1100 Schüler – 58 Prozent von ihnen sind Flüchtlinge. Die Lehrkräfte für die VKL müssten keine abgeschlossene Lehramtsausbildung haben, es hätten sich auch viele Geflüchtete gemeldet, die Deutsch als Lehramt in der Ukraine studiert haben. Aber die Vertragsgestaltung sei umständlich. Denn ohne Aufenthaltsgenehmigung mache das Regierungspräsidium keine Verträge. Aber die Aufenthaltsgenehmigung stelle die Ausländerbehörde nur aus, wenn die Person auch einen Arbeitsvertrag habe. Inzwischen behelfe man sich damit, dass das RP zunächst bestätige, dass ein Vertrag geplant sei. „Aber das ist eine zusätzliche Zeitschleife“, sagt Schulrätin Sabine Graf.

Koordinierungsstelle am Anschlag

„Wir werden bombardiert mit Telefonaten und Mails“, berichten Veronika Belizer-Arnold und Yasemin Caliskan von der Koordinierungsstelle Migration und Integration – allein am Donnerstagmorgen seien es 285 gewesen. Alles neu zugezogene Familien, die einen oder mehrere Schulplätze suchen, und die Koordinierungsstelle versucht, ihnen diese zu vermitteln – künftig vor allem durch Auffüllen von Klassen. „Wir haben eine Testierung entwickelt“ – auch um den Lernstand festzustellen: in Mathe, Englisch und durch Schreiben in der Muttersprache, berichten Belizer-Arnold und Caliskan. Doch dies sei bei dem Andrang nicht mehr leistbar. „Diese zielgerichtete Zuweisung ist uns ab März um die Ohren geflogen“, sagt Schenk. Nun sei man auf die Expertise und Einschätzung der VK-Lehrer angewiesen, damit die Schüler nach und nach in passende Regelklassen integriert werden können.

Schülerzuwachs in allen Schularten

Auch in den Regelklassen wachsen die Schülerzahlen. Das fängt schon bei den 4387 Erstklässlern an – es sind fast 200 mehr als vor einem Jahr, und 180 von ihnen kommen aus der Ukraine. Die Schulanfänger werden gleich ins kalte Wasser geworfen, ohne den Umweg über eine Vorbereitungsklasse. Doch auch die Werkrealschulen verzeichnen mit 1973 Schülern fast 400 mehr als vor einem Jahr. Bei den Gemeinschaftsschulen beträgt der Zuwachs auf 3095 fast 300 Schüler, und da sind die 140 aus den Klassenstufen elf und zwölf noch gar nicht eingerechnet. Auf die Realschulen gehen 7040 Schüler, ein Zuwachs um fast 200. Diese Entwicklung ist – neben den Flüchtlingen – sicher auch den Wechslern aus dem Gymnasium geschuldet. An den Sonderschulen steigen die Zahlen ebenfalls auf 2237 Schüler, dabei besuchen fast 200 Schüler mehr diese Schulart, während die Zahl der Inklusionskinder an Regelschulen um 85 zurückgegangen ist.