Ein letzter Blick: Prigoschin blickt am 24. Juni 2023 aus einem Militärfahrzeug auf einer Straße in Rostow am Don, beim Verlassen eines Bereichs des Hauptquartiers des südlichen Militärbezirks Russlands. Foto: AP/d/a

Nach seinem gescheiterten Aufstand gegen Russlands Militärführung vor genau zwei Monaten sahen Experten den Söldnerchef Jewgeni Prigoschin dem Tode geweiht. Kremlchef Putin hatte die Kämpfer um seinen Ex-Vertrauten als Verräter bezeichnet.

Als Chef der gefürchtetsten Privatarmee der Welt war sich der russische Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin der Todesgefahr stets bewusst. Ob bei seinen Einsätzen bis zuletzt in Afrika, davor im Krieg in der Ukraine oder auch vor exakt zwei Monaten, als er am 23. Juni den Aufstand gegen Moskaus Militärführung anzettelte und damit scheiterte – dem 62-Jährigen war klar, dass sein Leben schnell zu Ende sein könnte.

Zwar beteuerte er nach der gescheiterten Revolte, dass er keinen Machtwechsel geplant habe. Aber Kremlchef Wladimir Putin ist bekannt dafür, Verrat, noch dazu von Freunden, eiskalt zu bestrafen.

Prigoschin war klar, dass sein Leben schnell zu Ende sein könnte

Tod Nach Angaben des Wagner nahestehenden Telegram-Kanals Grey Zone starb Prigoschin am Mittwoch bei einem Flugzeugabsturz in Russland. Auch der kremlnahe Fernsehsender Zargrad TV berichtet unter Berufung auf eigene Quellen, die Leiche Prigoschins sei vorläufig identifiziert. Es stünden aber DNA-Analysen aus. Von offizieller Seite gibt es weiter keine Bestätigung des Todes.

Zehn Menschen sollen am Mittwoch (23. August) beim Absturz einer Passagiermaschine Prigoschins im Gebiet Twer getötet worden sein. So viele, wie die russischen Piloten, die durch seine Wagner-Kämpfer bei dem Aufstand getötet worden waren, wie Beobachter rasch kommentierten. Was genau passiert ist an Bord der Maschine, war zunächst unklar.

Prigoschin am 23. Juni 2023 während eines Interviews an einem nicht näher bezeichneten Ort. Foto: Prigozhin Press Service/AP/dpa
Prigoschin liebte drastische Gesten – vor allem den erhobenen Zeigefinger, um seinen Worten die entsprechende Expressivität und Theatralitk zu geben. Foto: Imago/Imago Pool/Wagner Group
Dieses vom Prigoschin Pressedienst am 12. Mai 2023 zur Verfügung gestellte Videostandbild zeigt den Söldnerchef an einem unbekannten Ort während einer Erklärung per Video. Foto: Prigozhin Press Service/AP/dpa//Uncredited
Prigoschin präsentiert am 31. Mai 2023 in einer Boxhalle in Wladiwostok die Gruppe Wagner. Foto: Imago/Elena Kopylova
Prigoschin nach dem gescheiterten Aufstand der Wagner-Truppe am 24. Juni in Rostow in einer Videoansprache. Foto: Imago/Wagner Group

Prigoschin forderte Putin selbst heraus

Aber die Behörden bestätigten sehr schnell, Prigoschin, der sich kurz zuvor erstmals per Video aus Afrika gemeldet hatte, habe auf der Passagierliste der Maschine gestanden. Berichten zufolge war er gerade aus Afrika zurückgekehrt.

Der Wagner-Chef wollte auf dem afrikanischen Kontinent bei Konflikten in den einzelnen Staaten weiter Russlands und seine eigenen Interessen vertreten. Ein Teil seiner Truppe, die in Russland in Ungnade gefallen ist, wurde nach Belarus verlagert.

Über Monate hinweg hatte sich Prigoschin vor dem Aufstand wegen des chaotischen Kriegsverlaufs in der Ukraine mit der Militärführung in Moskau angelegt. Immer wieder warf er dem Verteidigungsministerium und dem Generalstab der Armee vor, Präsident Putin zu belügen. Mit dem bewaffneten Aufstand seiner mit Panzern und anderen schweren Waffen voll ausgestatten Armee forderte er aber letztlich auch Putin heraus.

Selbstinszenierung als Beschützer der Benachteiligten

Wie der Kremlchef kommt Prigoschin aus St. Petersburg. Über das Privatleben des Familienvaters ist wenig bekannt. Aber immer wieder inszenierte er sich selbst als Beschützer mit sozialer Ader. So unterhielt er Rehazentren für Kriegsversehrte.

Seine Popularitätswerte schnellten zu Zeiten der Wagner-Kämpfe in der Ukraine in die Höhe. Auch, weil er mit seinem Kanal beim Nachrichtendienst Telegram Hunderttausende erreichte. Viele hielten die Aussagen, die an die russische Opposition erinnerten, für ehrlich – ein Ventil in Zeiten des Kriegs. Das schürte auch Spekulationen um politische Ambitionen des Wagner-Chefs. Er wies solche Absichten stets zurück.

Putins Koch: Jewgeni Prigoschin serviert Wladimir Putin am 11. November 2011 in seinem Restaurant außerhalb von Moskau höchstpersönlich Essen. Foto: AP/dpa
Dieses von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichte Foto zeigt Jewgeni Prigoschin am 20. September 2010 , wie er Wladimir Putin, durch seine Fabrik, die Schulspeisungen herstellt, führt. Foto: Pool Sputnik Kremlin/AP/Alexei Druzhinin/dpa
Prigoschin mit Mitgliedern der Gruppe Wagner im ukrainischen Bachmut. Foto: Imago/Press service of Prigozhin
Prigoschin gab sich vor der Kamera immer als Mann, der die Nöte und Sorgen seiner Kämpfer versteht. Foto: Imago/Press service of Prigozhin
Mit zwei Wagner-Söldnern im eroberten Bachmut. Foto: Imago/Press/service of Prigozhin

Sein Ziel war maximaler Gewinn

Prigoschin genoss vielmehr den Ruf, mit seinem Firmenimperium Concord und anderen geschäftlichen Aktivitäten auf maximalen Gewinn aus zu sein. Dass er dabei extrem machtbewusst vorging, war auch dem Kreml klar. Seinen Einfluss nutzte er besonders, um Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow unter Druck zu setzen, den Einsatz im Krieg zu erhöhen. Er warf ihnen vor, die Truppen nicht ordentlich zu führen.

Niemand sonst in Russland traute sich solche Kritik wie Prigoschin, für die einfache Bürger zu hohen Haftstrafen verurteilt werden. Es gehe ihm darum, dass die Armee mit Würde und Stolz ihre Aufgaben erfüllen könne – und nicht in einem System von «Speichelleckerei, Kriecherei und Verantwortungslosigkeit“, sagte er einmal.

Der Söldnerchef kritisierte zudem, dass die Staatsmedien die Erfolge Wagners schmälerten oder sogar verschwiegen. Das Wort Wagner werde in den Medien „sorgfältig ausradiert“ – wie Genitalien in einem Film übers Saunieren, sagte er einmal mit der ihm eigenen drastischen Wortwahl.

Skrupelloser Unternehmer mit krimineller Vergangenheit

Bekannt war Prigoschin aber auch als skrupelloser Unternehmer mit krimineller Vergangenheit. Er und Putin kannten sich lange. Als der heutige Präsident noch in der St. Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Deshalb ist der Russe, der mehrer Jahre wegen Raubs in Haft saß, auch als „Putins Koch“ bekannt.

Der Mann mit dem kahlgeschorenen Kopf soll sich mit seiner auf Desinformation spezialisierten Internet-Trollfabrik 2020 auch in die US-Präsidentenwahl eingemischt haben. Deshalb haben ihn die Vereinigten Staaten zur internationalen Fahndung ausgeschrieben. Die Wagner-Truppen gelten im Westen als „Terrororganisation“, verantwortlich für Kriegsverbrechen in vielen Ländern.

Das offizielle Logo von Prigoschins Söldner-Gruppe Wagner. Foto: Imago/Taidgh Barron
In diesem Standbild aus einem Video, das vom Telegram-Kanal „Razgruzka Vagnera“ am 21. August 2023 veröffentlicht wurde, spricht Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnergruppe Wagner, in Tarnkleidung und mit Gewehr in der Hand an einem unbekannten Ort in eine Kamera. Foto: Imago/Razgruzka Vagnera
So endete Prigoschins Leben: auf einem einsamen Feld irgendwo in der russischen Provinz. Foto: Imago/Gray Zone
Das vom russischen Ermittlungskomitee veröffentlichte und von der chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua bereitgestellte Foto zeigt die Absturzstelle des Privatflugzeugs bei Kuschenkino:in der Region Twer, in dem Prigoschin saß. Foto: Imago/SNA
Ein Vorschlaghammer, eines der Symbole von PMC Wagner, liegt an einer inoffiziellen Gedenkstätte neben dem ehemaligen „PMC-Wagner-Zentrum“ im russischen St.Petersburg. Foto: AP/Dmitri Lovetsky/dpa

Chef der gefürchtetsten Söldnertruppe der Welt

Im September, nach einem halben Jahr Krieg in der Ukraine, räumte Prigoschin erstmals ein, die Söldnertruppe schon 2014 für den Einsatz auf russischer Seite im ukrainischen Donbass gebildet zu haben. Zuvor hatte Prigoschin seine Verbindung zu den Söldnern nie eindeutig bekannt. Auch Moskau bestritt die Existenz jahrelang vehement.

Als zweiter Gründer ist der ehemalige Geheimdienstler Dmitri Utkin bekannt, der offizielle Wagner-Kommandeur. Er soll ebenfalls bei dem Absturz ums Leben gekommen sein. Ihm wurde eine Vorliebe für den deutschen Komponisten Richard Wagner nachgesagt - daher der Name der Truppe. Im Ukraine-Krieg spielte sie lange Zeit eine zentrale Rolle: Als Prigoschins größter militärischer Erfolg galt die blutige Eroberung der ostukrainischen Stadt Bachmut. Seine Männer sollen aber auch an dem Massaker in Butscha nahe Kiew beteiligt gewesen sein.

Die Wagner-Gruppe rekrutiert ihre Mitglieder unter Freiwilligen, im Ukraine-Krieg nicht zuletzt unter Häftlingen. Prigoschin lockte Schwerverbrecher mit dem Versprechen, nach halbjährigem Kriegsdienst die Begnadigungsurkunde zu erhalten. 32 000 Ex-Gefangene seien so in Freiheit gekommen. Etwa 10 000 frühere Häftlinge wurden nach Prigoschins Angaben allerdings allein im Kampf um Bachmut getötet.

Putins und Russlands Koch

Wagner-Kämpfer waren in Syrien, anderen arabischen Ländern sowie in Afrika und Lateinamerika im Einsatz, und sind es auch heute noch. Dort liegt eine von vielen Geldquellen: Wagner bietet skrupelloses Personal und Dienstleistungen. Im Gegenzug gibt es Geld und Rohstoffe wie Gold und Diamanten. In Russland verdiente Prigoschin Geld mit der Essensversorgung beim Militär, aber auch in Schulen und Kindergärten.

Kommentatoren meinen stets, dass der Wagner-Chef seine Kritik mit dem Leben bezahlen werde. Wie andere Kritiker Putins zuvor. Sie sollten recht behalten.