Durchschnittsmänner tun sich auf Tinder schwer, jedenfalls rein statistisch. Foto: dpa/Marijan Murat

Durchschnittsmänner tun sich auf Dating-Apps schwer, auf Interesse zu stoßen und Frauen kennenzulernen. Das hat Gründe, und die kann man ausrechnen.

Um auf einer Dating-App unglücklich zu werden, reicht es, ein durchschnittlich attraktiver Mann zu sein. Das zeigen eine Studie mit amerikanischen Studenten, frustrierte Nutzerkommentare – und es ist schiere Mathematik. Dass den meisten Männer auf Tinder, Bumble und anderen Apps weniger Likes zufliegen und Frauen von Angeboten geradezu überschwemmt werden, kann man ausrechnen. Die Idee stammt vom YouTube-Kanal „Memeable Data“, hinter dem ein portugiesischer Datenwissenschaftler steckt. Wir haben die Berechnung nachvollzogen und aktualisiert.

Wichtig zum Verständnis ist, was User auf den Dating-Apps tun. Meistens können sie dort andere Nutzerinnen und Nutzer „liken“, also als interessant markieren. Basiert das auf Gegenseitigkeit, spricht man von einem Match: Diese beiden User können sich dann Nachrichten schicken und ein Treffen vereinbaren.

Daten via Tinder – die Modellrechnung

Unsere modellhafte Rechnung für heterosexuelles Online-Dating zeigt, wie viel schlechter die Chancen der meisten, aber nicht aller Männer auf ein Date sind. Wichtig sind die zugrunde liegenden Annahmen: In unserem Modell bewerten alle User jeden Tag 50 Profile als interessant (Like) oder uninteressant und es gibt insgesamt 2000 andere Frauen oder Männer, die für jeden User theoretisch attraktiv sein könnten. Entscheidend für die unterschiedlichen Aussichten auf ein Date sind drei Aspekte: das Geschlechterverhältnis, die Neigung, Likes zu verteilen und der Vorteil der attraktivsten Nutzer.

1. Geschlechterverhältnis

Laut einer Umfrage des Datensammlers Statista sind 56 Prozent aller Online-Dating-Nutzer männlich. 44 Prozent der Nutzer sind Frauen. Schon deshalb werden in unserem Modell die Profile von Frauen im Schnitt etwa 445 mal pro Woche potenziell interessierten Männern angezeigt, während Profile von Männer im Mittel nur etwa 275 mal angezeigt werden.

Wenn Nutzer beider Geschlechter jeweils jedes vierte angezeigte Profil als interessant markieren, erhalten Frauen rein rechnerisch 111 Likes pro Woche, Männer 68. Auf Gegenseitigkeit beruht das für Frauen im Schnitt bei 22 Profilen pro Woche. Männer kommen dagegen auf immerhin 18 Matches.

2. Unterschiedliche Like-Ratio

Öffentliche Studien zum Nutzerverhalten auf Tinder gibt es nicht. Das Portal „Roast Dating“ behauptet ohne genauere Quellenangabe, dass Frauen nur ungefähr einem von 16 Männerprofilen ein Like geben, Männer dagegen jedem dritten Frauenprofil. Tinder wollte die Werte auf Anfrage unserer Zeitung nicht kommentieren, sie erscheinen aber zumindest nicht unplausibel.

Mehr Männer kriegen weniger Liebe Foto: StZN/Grafik:Locke

Wir aktualisieren unsere Modellrechnung mit dieser Annahme. Nun erhalten Frauen in einer Woche durchschnittlich 147 Likes, Männer noch 17. Entsprechend reduziert sich die Zahl der Matches für Frauen auf sieben, für Männer auf fünf bis sechs. Nur bei einem von 25 als interessant markierten Profilen dürfen Männer ein Match erwarten. Bei Frauen ist die Wahrscheinlichkeit zehnmal so hoch. Wie stark die Unterschiede sind, zeigt das Schaubild:

3. Attraktive User sind im Vorteil

Bisher haben wir angenommen, dass alle Nutzer gleich attraktiv sind. Das ist in der Realität nicht so: Attraktivere Frauen und Männer bekommen mehr Likes. In einem Blogbeitrag berichtete 2017 die zur Tinder-Mutterfirma gehörende Dating-Plattform Hinge, dass 15 Prozent der Männer knapp die Hälfte aller von Frauen vergebenen Likes absahnen. Bei Frauen ist das Verhältnis etwas weniger krass: 25 Prozent der Userinnen sammeln die Hälfte aller Likes ein.

Rechnen wir auch dieses Verhalten in unser Modell mit ein, ergibt sich eine Schieflage. Die attraktivsten zehn Prozent der Männer erhalten in einer Woche 78 Likes. Ein mittelattraktiver Mann – die Hälfte aller männlichen User ist attraktiver als dieser Mann, die andere Hälfte weniger attraktiv – erhält dagegen nur etwa fünf Likes. Wer zu den unattraktivsten zehn Prozent gehört, darf nur alle paar Wochen mit einem Like rechnen.

Die besonders attraktiven Frauen erhalten in unserem Modell mit 385 Likes nochmals deutlich mehr Zuspruch als die Top-Männer. Die Verteilung ist unter Frauen insgesamt etwas gleichmäßiger: Selbst die unattraktivsten Frauen erhalten im Schnitt knapp neun bis zehn Likes pro Woche. Das Schaubild zeigt die ungleiche Verteilung:

Bei den Matches ergibt sich auch im nun vollständigen Modell eine Überraschung: Die attraktivsten Männer haben mit im Schnitt 26 Matches auf einmal mehr Treffer als die attraktivsten Frauen (19) und damit mehr Auswahl, mit wem sie in Kontakt treten wollen. Das hat damit zu tun, dass auch sie relativ viele weibliche Profile als attraktiv bewerten und ihnen auch von Frauenseite die Herzen zufliegen.

Bei mittelattraktiven Frauen ist der Wert mit fünf bis sechs Matches pro Woche dagegen höher als bei den mittelattraktiven Männern, die immerhin noch knapp zweimal pro Woche die Gelegenheit haben, infolge des gegenseitigen Interesses Kontakt zu einer Frau aufzunehmen. Das Schaubild zeigt die Verteilung der Matches nach einer Woche:

Unsere Berechnung zeigt die Mechanismen auf, nach denen Gratis-Datingapps funktionieren – und warum es zu deren Geschäftsmodell gehört, Bezahlmodelle anzubieten, die den „Premiumnutzern“ Vorteile verschaffen. Einige Apps zeigen Profile mit vielen Likes häufiger, bei Apps wie Bumble dürfen nur Frauen die Initiative ergreifen.

Frauen und Männer suchen unterschiedliches auf Dating-Apps

In den Rechenergebnissen spiegeln sich nicht zuletzt die unterschiedlichen Erwartungen und Verhaltensweisen von Männern und Frauen, wenn sie Dating-Apps nutzen. 60 Prozent der Frauen suchen laut einer Bitkom-Umfrage eine langfristige Beziehung und 14 Prozent sind auf One-Night-Stands aus, also Sex für eine Nacht. Unter den befragten Männern sucht zwar auch jeder zweite eine langfristige Beziehung, aber eben auch mehr als jeder dritte schnellen Sex. Fast dreimal so viele Männer (36 Prozent) suchen hingegen One-Night-Standes und nur 49 Prozent eine langfristige Beziehung.

Männer und Frauen suchen beim Onlinedating teilweise nicht dasselbe, und für Männer sind Dating-Apps wahrscheinlich viel häufiger frustrierend als für Frauen – jedenfalls, was die Zahl der Likes und Matches der eher durchschnittlichen Nutzer angeht. Das zeigt unsere Modellrechnung. Ganz so schlimm ist es am Ende vielfach trotzdem nicht: Fast ein Viertel aller verheirateten Paare in Deutschland hat sich laut einer nicht repräsentativen Onlineumfrage beim Online-Dating kennengelernt.