Da sind sie noch füreinander da: Lina und Tarek bevor sie wegziehen muss. Foto: Frank Eppler

Schauspieler des Theater Q-rage aus Ludwigsburg haben für Schorndorfer Schüler „Achtung?!“ aufgeführt – ein erschreckend aktuelles Stück über Radikalisierung.

Zwei Tische mit Stühlen sind die einzigen Requisiten auf der Bühne in der Schorndorfer Manufaktur. Das Theater Q-rage setzt auf ein simples Bühnenbild, um die Kernbotschaft des Stücks „Achtung?!“, bei dem es um zwei Jugendliche, die sich zunehmend radikalisieren geht, zu vermitteln. Die Stuhlreihen in der Halle sind gut gefüllt, insgesamt zwölf Klassen aus Schorndorfer Schulen sehen sich an diesem Vormittag die beiden Vorstellungen an. Auf der Bühne stehen Marie Fischer und Yakup Kurt in den Rollen von Lina und Tarek. Die zwei spielen Schüler im Alter der Jugendlichen, die im Publikum sitzen.

Der Zerfall einer Freundschaft

Die Schauspieler selbst sind relativ jung und erlauben dadurch eine hohe Identifikation des Publikums mit den Figuren, die sie spielen. Diese durchlaufen während des einstündigen Stücks eine zunehmende Radikalisierung. Zu Beginn ist Lina eine gewissenhafte Schülerin, die für den Job ihres Vaters wegziehen muss. Ihr bester Freund Tarek ist weniger strebsam in der Schule und gläubiger Muslim. Als Lina wegzieht und die beiden immer weniger Kontakt haben, rutscht er in den Salafismus, eine radikale Strömung des Islam, ab. Doch auch Lina verändert sich. Sie findet neue Freunde, die Ausländer ablehnen und rassistische Vorurteile verbreiten. Als Lina und Tarek nach einiger Zeit erstmals wieder aufeinandertreffen, haben sie kein Verständnis mehr füreinander und gehen im Streit auseinander.

Das Theaterstück ist ein Präventionsprojekt des Landeskriminalamts Baden-Württemberg und soll Jugendlichen verdeutlichen, wie schleichend Radikalisierung in seinen verschiedenen Ausprägungen passieren kann. Diese Differenzierung kommt bei den Schülern besonders gut an: „Es wurde gezeigt, dass man nicht unbedingt ein Nazi sein muss, um radikal zu sein“, sagt ein Schüler nach der Aufführung.

Beide sind Täter und Opfer zugleich

Das Stück zeigt mit seinem Fokus auf zwei gegensätzliche Versionen der Radikalisierung – Linas rechtspopulistische Freunde und Tareks zunehmenden religiösen Extremismus – den Widersinn beider Ansichten. Lisa behauptet, Menschen wie Tareks Vater würden Deutschen die Jobs wegnehmen, während Tarek ihr Rassismus vorwirft und sie im selben Atemzug beleidigt, weil sie kein Leben als Hausfrau und Mutter führen will.

Die Ansichten der beiden stehen quer zueinander und sind doch verbunden durch den Hass, den sie schüren. Beide wollen anderen vorschreiben, wie sie zu leben haben und sind doch empört von den Forderungen des anderen. Sie fühlen sich zu recht diskriminiert und sehen trotzdem nicht, dass sie selbst auch Täter sind.

Aktive Auseinandersetzung mit dem Thema

Die Illusion des Theaters wird mehrmals durchbrochen, indem die Schauspieler ihre Rollen verlassen und mit dem Publikum das eben Geschehene besprechen. Gemeinsam erörtern sie, ob Lina und Tarek die Grenze zum Extremismus schon überschritten haben. „Sie sind auf dem Weg dahin“, ist der Konsens des Publikums. Auf diese Weise wird die Handlung eingeordnet und das junge Publikum dazu aufgefordert, sich mit dem Verhalten der Figuren auseinanderzusetzen.

Die Behandlung des Themas in Form eines Theaterstücks ist für viele der Schülerinnen und Schüler neu, kommt jedoch gut an: „Es ist besser, als einfach theoretisch im Unterricht darüber zu lernen“, sagt einer der Jugendlichen nach der Vorführung. Dass das Thema sie alle angeht, machen die Schauspieler gleich zu Beginn deutlich. Noch bevor sie in ihre Rollen schlüpfen, fragen sie die Schüler, wer von ihnen Wert darauf legt, respektiert zu werden. So ziemlich jede Hand im Raum schnellt in die Höhe.

Emotionen hervorrufen als Ziel

Gut eine Stunde später ist deutlich geworden, wie wichtig gegenseitiger Respekt ist – und was ein Mangel dessen alles zerstören kann. In Linas und Tareks Fall ist das vor allem ihre Freundschaft.

Jörg Pollinger vom Theater Q-rage sieht viel Potenzial in der Bearbeitung des Themas Radikalisierung anhand eines Theaterstücks: „Es wird die emotionale Ebene angesprochen, das ist der große Vorteil des Theaters.“ Q-rage ist unter anderem spezialisiert auf interaktive Schultheaterstücke, mithilfe derer den Schülern sensible Sachverhalte künstlerisch vermittelt werden.

Für die Schüler und Schülerinnen wird es in zwei Wochen eine Nachbereitung im Unterricht geben. So können Fragen, die in der Zwischenzeit eventuell aufgekommen sind, geklärt werden und die Jugendlichen so weiter für das Thema sensibilisiert werden. Die Schauspielerin Marie Fischer macht am Ende der Veranstaltung deutlich, dass das Stück zwar fiktiv ist, Radikalisierung aber real. Sie wendet sich, nicht in ihrer Rolle als Lina, sondern als sie selbst, an die Jugendlichen und fordert sie auf: „Macht eure Augen auf und habt Achtung.“