Vier Modelikonen: Linda Evangelista, Christy Turlington, Naomi Campbell und Cindy Crawford (von links). Foto: Apple TV+/The Supermodels Documentary

Linda Evangelista. Christy Turlington. Naomi Campbell. Cindy Crawford. Namen, bei denen jeder ein Bild und einen Begriff vor Augen hat: Supermodels. Jetzt beleuchtet eine Dokuserie ihre einzigartigen Karrieren.

1990 wurde der deutsche Fotograf Peter Lindbergh von der „Vogue“ für ein Covershooting beauftragt. Das Thema: Das neue Konzept von Schönheit im anbrechenden Jahrzehnt. Lindbergh castete fünf Models. Jede für sich war schon ziemlich erfolgreich. Zusammen genommen waren sie eine Supermacht. Die Namen der Fünf: Cindy Crawford. Naomi Campbell. Tatjana Patitz. Christy Turlington. Linda Evangelista.

Die Hamburgerin Patitz starb Anfang des Jahres mit nur 56 Jahren an Krebs. Die verbliebenen Vier vom „Vogue“-Cover kamen nun zusammen, um über ihre bemerkenswerten Karrieren zu sprechen und über das Prinzip Supermodel, das es vor ihnen nicht gab. Das Resultat: Die vierteilige Dokumentation „The Super Models“ eines Produzententeams rund um die zweifache Oscargewinnerin Barbara Kopple, die am 20. September beim Streamingdienst Apple TV+ startet.

Alle Vier betraten zeitgleich die Modelbühne

Zu Beginn beschreiben sich die vier Frauen gegenseitig. Turlington: Die klassische Schönheit. Crawford: Das „all american girl“. Campbell: Die furchtlose Göttin. Evangelista: Das wandelbare Chamäleon. Alle Vier betraten etwa gleichzeitig die Modelbühne. Aus allen Ecken der Welt kamen sie in den 1980er Jahren nach New York, in eine Metropole, die noch nicht glattgebügelt war wie heute, sondern etwas Raues, Dunkles, Gefährliches, aber auch unwahrscheinlich Kreatives hatte.

Christy Turlington, die Tochter eines amerikanischen Piloten und einer Stewardess aus El Salvador. Eine Naturschönheit mit grünen Augen, die mit 14 von einem Fotografen im Pferdestall entdeckt wird. Mit 15 holt die legendäre Agenturinhaberin Eileen Ford sie nach New York. Hier trifft sie eine schüchterne, schlaksige Britin, die eigentlich Tänzerin werden will: Naomi Campbell. Die beiden werden Mitbewohnerinnen und Freundinnen. Die Londonerin, Tochter einer alleinerziehenden Jamaikanerin, lernt ziemlich schnell den Alltagsrassismus in den USA kennen. Ihre Freundin Christy muss das Taxi heranwinken, damit die beiden zur Arbeit kommen. An Naomi fahren die „Cabbies“ vorbei.

Modelagentin stört sich an Crawfords Leberfleck

Für Cindy Crawford, das Mädchen aus Amerikas mittlerem Westen, ist ihre Schönheit das Ticket raus aus ihrem Heimatkaff in Illinois. Doch eine Modelagentin ist zunächst nicht überzeugt: Sie stört dieser Leberfleck oberhalb der Lippe – der zu Crawfords Markenzeichen werden sollte. Linda Evangelista ist schon als kleines Mädchen der Mode verfallen. Die Tochter italienischer Eltern, die ins kanadische Ontario ausgewandert waren, besucht eine „Modelschule“, nimmt an Misswahlen teil und fällt schließlich dem Chef der renommierten Agentur Elite ins Auge. „Ich wurde nicht entdeckt, ich wollte immer ein Model sein“, sagt Evangelista heute über ihre entschlossene Beharrlichkeit, die sie auf den Laufsteg und auf die Magazincover brachte.

Bis hinein in die 1970er Jahre waren Models nicht viel mehr als lebende Kleiderständer. Von den wenigsten kannte man die Namen. Eine eigene Persönlichkeit war nicht gefragt, nichts sollte von den Entwürfen der großen Couturiers ablenken. Mit Crawford, Campbell und Co. änderte sich das. Auch dank Fotografinnen und Fotografen, die sich für diese Frauen interessierten, ihnen eine Identität zugestanden. Lindbergh, Richard Avedon, Roxanne Lowit, Steven Meisel, Herb Ritts – die Dokumentation ist auch ein faszinierendes Kaleidoskop einer Kunstform: Der Modefotografie. „Heute passiert die Magie in der Postproduktion“, sagt Evangelista. „In den 80ern und 90ern geschah die Magie, wenn die Kamera Klick machte.“

Campbell und Co. machen Laufstege zu Showbühnen

Von den Magazincovern kamen die Supermodels auf die Laufstege – und machten diese zu gewaltigen Showbühnen. War eine Turlington oder Campbell gebucht, garantierte das, dass über die Schau berichtet wurde. Die großen Vier suchten sich jetzt die Designer aus, mit denen sie arbeiten wollten und förderten talentierten Nachwuchs wie Marc Jacobs beispielsweise. Dass er und etliche andere Modegrößen wie Vivienne Westwood, John Galliano, Michael Kors oder Donna Karan sich mit den Dokumentarfilmern für Interviews zusammensetzten, zeigt den Einfluss, den die vier Frauen in der Fashionindustrie immer noch haben.

Campbell, Crawford, Turlington und Evangelista prägten den Zeitgeist. Der Sänger George Michael wollte die Fünf vom „Vogue“-Cover für sein „Freedom“-Video. Crawfords Pepsi-Werbespot aus dem Jahr 1992 ist ikonisch. Wo sie auftauchten, wurden sie bejubelt wie Popstars. „Es war verrückt – wir waren doch nicht die Beatles“, sagt Evangelista.

Doch das Geschäft mit der Schönheit hat auch Schattenseiten: Auch eine junge Turlington oder Crawford traf auf Agenten oder Fotografen, die Models als ihre Geschöpfe betrachteten und ihnen ihren Willen aufzwangen. Die ihnen drohten, sie würden nie wieder arbeiten, wenn sie nicht taten, was von ihnen verlangt wurde. Zum Beispiel mehr Haut zeigen als ihnen angenehm war. Evangelista heiratete ihren Agenten sogar. Gérald Marie, sagt sie, habe sie körperlich misshandelt. Der Franzose weist das zurück. Auch andere Models haben Vorwürfe gegen den früheren Chef des Pariser Ablegers von Elite Models erhoben. Es geht um sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung. In diesem Jahr stellte die französische Polizei die Ermittlungen gegen Marie ein.

Campbell kämpfte gegen Vorurteile

Naomi Campbell musste gegen andere Widerstände ankämpfen. Gegen Modehäuser, die Vorbehalte hatten, schwarze Models zu buchen. Magazine, die glaubten, ihre Leserinnen könnten sich mit einer schwarzen Frau auf dem Cover weniger identifizieren. „Das machte mich entschlossener denn je, mich nie wieder so behandeln zu lassen“, sagt die Britin. „Ich wollte, was die weißen Mädchen hatten – ich wollte ein ‚Vogue’-Cover.“ 1988 war sie das erste schwarze Model, das die französische „Vogue“ auf ihr Cover nahm.

Was man auch mit dem Wort Supermodel verbindet: Absurd hohe Gagen. 20 000 Dollar bekam Linda Evangelista für eine einzige Modenschau in Paris. Die Dokumentation wäre nicht vollständig ohne ihren berühmten Satz: „Für weniger als 10 000 Dollar stehe ich morgens gar nicht auf.“ Ein Zitat, sagt sie, für das sie sich heute schämt. Evangelista hat das Leben am härtesten getroffen: Ein missglückter Schönheitseingriff hat ihren Körper vor ein paar Jahren stark verändert – die 58-Jährige hat an mehreren Stellen harte Beulen, die sich auch durch Kleider abzeichnen. In der Dokumentation offenbart sie außerdem, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist.

2022 lief die Kanadierin erstmals wieder für Fendi. Es war ihre erste Laufstegschau seit 15 Jahren. Ihre Kolleginnen waren indes all die Jahre gut im Geschäft. Jede einzelne von ihnen ist ihre eigene Marke. Die legendäre Modejournalistin Suzy Menkes bringt es auf den Punkt: „Sie kommen nie aus der Mode.“ Nicht nur aus deutscher Sicht fehlt natürlich eine in Kopples Dokumentation: Claudia Schiffer. Dennoch ist „The Supermodels“ eine lohnende Zeitreise – zurück in eine Ära, als der schöne Schein noch keine Kratzer hatte.

Streaming
Die vierteilige Dokumentation „The Super Models“ startet am 20. September auf der Streaming-Plattform Apple TV+.