Die alten, beleuchteten Fassaden-Buchstaben bleiben. Foto: Lg/Piechowski

Für Humor plädiert Brauereichef Colin Dinkelacker in der Debatte um „the ratskeller“. Die Pächterin Denise Schuler freut sich über einen Ansturm bei den Reservierungen. Das Stuttgarter Traditionslokal setzt auf „Vielfalt“.

Stuttgart - Nein, an der Trinkfreude von OB Heinrich von Gauß und seinen Beamten lag es wohl nicht, warum das alte Rathaus anno 1904 einen Ratskeller bekam. Man wollte vielmehr die „leidige Weinpanscherei“ mit einem Weinkeller am zentralen Ort der Stadt stoppen, so ist’s überliefert. Lange bevor der Begriff Bio bekannt war, durften am Sitz der Stadtverwaltung nur „naturreine Weine und Biere“ ausgeschenkt werden – mit durchschlagendem Erfolg: In den ersten vier Wochen wurden laut den Aufzeichnungen täglich 4000 Viertele gebechert.

Der Brauereichef sieht darüber „humorvoll hinweg“

Die Weinpanscher gehören der Vergangenheit an – doch sind heute Sprachpanscher am Werk? Der neue Name „the ratskeller“ schlägt hohe Wellen. Aus Sicht der jungen Agentur Brot, die für die Kampagne verantwortlich ist, läuft es optimal. In kurzer Zeit hat es das Kreativteam mit einer Mischung aus deutscher, schwäbischer und englischer Sprache geschafft, dass die Traditionsgaststätte, die 1956 ins neue Rathaus zog und am 27. November nach fünfjähriger Schließung öffnet, zum Stadtgespräch geworden ist. Colin Dinkelacker, der Chef der Brauerei, die mit 1,1 Millionen Euro an der acht Millionen Euro teuren Sanierung beteiligt ist (den Löwenanteil zahlt die Stadt), ruft nach der heftigen Kritik die Werber mit ihren Ideen für ein „cooles, modernes Lokal“ nicht zurück. Die Schilder mit „the ratskeller“ hängen, auf der Speisekarte erscheint das neue Logo. „Auch wenn der Artikel des Restaurantnamens unterschiedlich interpretiert wird, sehe ich hierüber humorvoll hinweg“, erklärt Dinkelacker unserer Zeitung.

Viel wichtiger ist ihm, was die Gäste erwartet: „Es ist gelungen, ein wunderschönes, einzigartiges Lokal zu schaffen, das bereits durch einen Blick im Vorbeigehen Lust auf Geselligkeit und Bier macht – genau das, was zuletzt hier gefehlt hat.“ Wo, fragt der Ururenkel des Brauereigründers, werde sich ein internationales Publikum einfinden, wenn nicht am Marktplatz und Schlossplatz? Deshalb freut er sich „auf die Eröffnung eines tollen Bierlokals, das mit unserem Schwaben Bräu den regionalen Bezug unterstreicht“.

Was die Werber zur Kritik sagen

Ohne die Landeskampagne „The Länd“ wäre „the ratskeller“ kaum in diesem Ausmaß beachtet worden. Das fünfköpfige Team der Agentur Brot – alle sind in Stuttgart aufgewachsen – ist „ein bisschen traurig darüber“, dass die hitzige Debatte über das neue Erscheinungsbild des Ratskellers „stellenweise Aufhänger für andere Themen ist“. Starke Werbung werde oft kontrovers diskutiert. Erwartet habe man nicht, „dass so viel Verachtung im Netz losgetreten wird“. Dennoch ist das Team von Brot überzeugt, einen guten Job gemacht zu haben. „Es ist toll, dass Neues passiert“, finden die Werber und versichern: „Neue Ideen lösen die alten nicht immer ab, sie erweitern vielleicht nur das Feld.“

Die Vielfalt ist im Ratskeller „Programm“

Die Neugierde ist geweckt, wie Pächterin Denise Schuler nun mit voller Wucht erlebt. Den Beschimpfungen im Netz stünde im realen Leben ein Ansturm bei den Reservierungen gegenüber – mit so einer hohen Zahl habe keiner gerechnet. Um zu zeigen, dass die Gaststätte „für alle“ da sei, quer durch die Generationen, bleiben die alten, beleuchteten Fassadenbuchstaben am alten Platz – neben dem neuen Schild. Die Vielfalt sei Programm. Mit schwäbischer und internationaler Küche, die sich an Stuttgarts Partnerstädten orientiert, wolle man punkten – auf dass der Namensstreit bald vergessen sei. Und schon wird’s lustig im Netz. „Zutritt nur für die, die das ,Th’ richtig aussprechen können“, schlägt jemand vor, „also 2 G plus Th.“