Jelina Switolina wird in Wimbledon gefeiert. Foto: imago//Susan Mullane

Die ukrainische Tennisspielerin Jelina Switolina begeistert in Wimbledon. Nach ihrem Sieg über Wiktorija Asarenka schickt sie eine Botschaft in die Heimat.

Jelina Switolina stand schon für das obligatorische Blitzinterview auf Wimbledons Court 1 parat, da brandete am späten Sonntagabend noch einmal der Beifall der Fans auf. Fast eine Minute rauschte mächtiger Applaus durch die zweitgrößte Arena, die Zuschauer hatten sich alle von ihren Sitzen erhoben. Switolina, der 28-jährigen Ukrainerin, schossen die Tränen in die Augen, es war der bisher herzerwärmendste Moment bei diesen Offen Englischen Meisterschaften des Jahres 2023. „So wird normaler Weise nur Andy Murray hier im Club gefeiert“, sagte Britanniens frühere Größe Tim Henman später, „Jelina ist von den Fans adoptiert worden.“

Ein kleines Mamma-Mia-Märchen

Und welch grandiose Geschichte schreibt die ehemalige Weltranglisten-Dritte auch auf die Grüns im Londoner Südwesten, ein kleines Mamma-Mia-Märchen, reif für die Traumfabrik Hollywood: Knapp ein Dreivierteljahr nach der Geburt ihrer Tochter Skai und gut drei Monate nach dem Wiedereinstieg in den Tennis-Wanderzirkus ist Switolina das Erfolgsphänomen bei der wichtigsten Leistungsmesse ihres Sports. Mit bisher drei Siegen über frühere Grand Slam-Champions, zuerst Venus Williams, später Sofia Kenin und zuletzt Wiktorija Asarenka, preschte die tatkräftige Mama unter die letzten Acht an der berühmten Church Road.

„Der Sieg heute ist der zweitschönste Moment meines Lebens“, sagte Switolina nach dem nervenzerreißenden, politisch aufgeladenen Drei-Satz-Krimi (2:6, 6:4, 7:6) gegen die Belarussin Asarenka, der mit einem Ass zum 11:9 im Supertiebreak des dritten Satzes endete. Anschließend purzelte Switolina auf die Spielwiese, schüttelte ungläubig den Kopf nach ihrer fantastischen Aufholjagd von einem 4:6, 0:2-Defizit, nach dem ersten Triumph gegen Asarenka nach zuvor sechs Niederlagen. „Das Spiel haben wir zusammen gewonnen. Ihr habt mich so großartig unterstützt“, rief Switolina den Fans zu, „dieser Tag wird unvergesslich bleiben.“

„Befreit von den Dämonen“

Dass sie seit der Rückkehr an ihren Arbeitsplatz nicht nur für sich selbst oder ihre kleine Familie mit Ehemann Gael Monfils und Töchterchen Skai spielt, sondern auch für ihr geschundenes Heimatland, machte Switolina auch in der bisher größten Stunde ihres Comebacks deutlich. „Ich will den Menschen daheim wenigstens ein paar schöne Momente geben. Ich weiß, dass sie sich über meine Siege freuen“, sagte Switolina, sichtlich angefasst, „ich glaube, das gibt mir im Moment wirklich Extrakraft.“ Fast befreit von den Dämonen ihrer frühen Jahre im Spitzentennis wirke Switolina, notierte der „Guardian“: „Oft hatte sie Mühe, ihr großes Talent in Erfolge umzusetzen, gerade bei den Grand Slams.“ Nun wirke sie „befreit“, wie eine „Frau mit einer Mission“, als sportliche Botschafterin der Ukraine.

Keine Hand für die Gegnerinnen aus Russland und Belarus

Trotzdem: Wie dieses in vielerlei Hinsicht zweite Tennisleben für Switolina nun begonnen hat, war selbst für die beobachtende Prominenz am Schauplatz schwer fassbar. „Sie hat die Welt ein bisschen auf den Kopf gestellt“, merkte die Grande Dame Martina Navratilova an, „und sie spielt mit einer ganz anderen Bedeutung Tennis.“ Dabei waren die allerersten Etappen ihres Comebacks noch holprig verlaufen, der Start etwa beim Masters in Madrid Ende April – als Nummer 1088 der Weltrangliste – endete so wie andere Turnierengagements zuvor mit einer Erstrunden-Niederlage.

Mit dem Turniersieg in Straßburg direkt vor den French Open kam die Wende und der Glaube an die eigene Stärke zurück. In Paris selbst verblüffte die prominenteste ukrainische Tennisakteurin dann mit dem Viertelfinal-Einzug – wobei sie nie zu erwähnen vergaß, wie schwer es im Hier und Jetzt sei mit dem Tennis: „Wenn ich morgens die Nachrichten aus der Heimat lese, die Nachrichten von Tod und Verwüstung durch Bombenangriffe, dann wird mir ganz schwer ums Herz.“ Sie könne auch nicht einfach ihren Gegnerinnen aus Russland oder Belarus die Hand reichen: „Was würden die Soldaten an der Front denken?“

Nun folgt das Viertelfinal-Rendezvous mit der Weltranglisten-Ersten Iga Swiatek, ein Spiel unter Freundinnen. „Iga ist eine großartige Persönlichkeit, eine, die seit Kriegsbeginn andauernd die Ukraine unterstützt“, sagt Switolina. „Ich freue mich einfach auf dieses Spiel.“