Hier geht es keinem Familienmitglied gut. Foto: ARD/Michel Vertongen

In dem exzellent gespielten ARD-Sechsteiler „Haus aus Glas“ arbeiten sich vier Geschwister an einem Kindheitstrauma ab.

Im besten Fall kann ein gemeinsam überstandener Schicksalsschlag eine Gemeinschaft zusammenschweißen und eine Widerstandskraft schaffen, die ein Leben lang hält. Aber natürlich können tragische Ereignisse auch ganz andere Konsequenzen haben; und davon erzählt diese Ensembleserie über eine sechsköpfige Familie. Die längst erwachsenen Kinder des Unternehmers Richard Schwarz und seiner Frau Barbara (Götz Schubert, Juliane Köhler) leiden noch heute unter den Folgen eines rund zwanzig Jahre zurückliegenden Verbrechens. Damals ist die fünfjährige Tochter entführt worden. Das Kidnapping ging glimpflich aus, Emily ist nach der Zahlung eines Lösegelds zumindest physisch unversehrt in den Schoß der Familie zurückgekehrt, aber weil sie in einer Kiste eingesperrt war, ist sie bis heute psychisch fragil; sicher fühlt sie sich nur im Elternhaus.

Anlässlich der Hochzeit von Emily (Sarah Mahita) mit Chris (Aram Arami), einem leitenden Mitarbeiter des Vaters, ist die Familie nach langer Zeit zum ersten Mal wieder beisammen: Bruder Felix (Merlin Rose), der nach Kanada ausgewandert ist; Eva (Stefanie Reinsperger), die als Richards designierte Nachfolgerin an der Spitze der familieneigenen Gießerei gilt; und schließlich die stets Zuversicht versprühende Leo (Morgane Ferru). In Wirklichkeit geht es jedoch weder Leo noch einem anderen Familienmitglied gut.

In den Flitterwochen verschwunden

Natürlich gehört es zum Handlungskern solcher Serien, dass beim Wiedersehen vernarbt geglaubte Verletzungen aufbrechen. Dafür sorgt nicht zuletzt eine Entscheidung Richards, als er verkündet, dass er Chris zum Nachfolger erkoren hat. Die Firma ist in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten, weshalb die vier Geschwister bei der Übergabe auf ihre Pflichtanteile verzichten sollen. Alle sind entgeistert. Und als Chris dann noch während der Fahrt in die Flitterwochen verschwindet, eskaliert die Situation.

Wie alle diese Geschichten lebt auch „Haus aus Glas“ vom Kontrast zwischen der von diversen Sicherheitsvorkehrungen geschützten Fassade und den sorgsam kaschierten Wahrheiten. Das klingt nach Klischee, aber Esther Bernstorff und ihre drei Co-Autorinnen haben gerade die Geschwister mit einer bemerkenswerten charakterlichen Komplexität ausgestattet. Alle spielen zwar innerhalb des familiären Gefüges eine bestimmte Rolle, führen aber in gewisser Weise eine Doppelexistenz: Felix, trockener Alkoholiker, hat in Kanada Frau und Kind, was die anderen nicht wissen, und vor seiner Flucht nach Nordamerika große Schuld auf sich geladen. Eva sorgt mit ihren sarkastischen Kommentaren regelmäßig dafür, dass unbequeme Wahrheiten zur Sprache kommen. Leo ist ihrer Standardfloskel „Alles gut“ zum Trotz tablettensüchtig und hat große Angst davor, ihren Sohn an dessen Erzeuger zu verlieren. Emily wirkt wie der Fixstern der Sippe, hat jedoch das Gefühl, gar nicht dazuzugehören. Wirklich bei sich scheint sie einzig während der Aufnahmen für ihren Astro-Kanal zu sein; die Familie weiß nicht, dass sie als „Milly Star“ eine sechsstellige Gefolgschaft hat. Auch die weiße Weste des Vaters hat einige Flecken, und selbst Chris ist nicht der Überflieger, für den ihn alle halten.

Eine Villa wie eine Festung

Der Schweizer Regisseur Alain Gsponer hat mit seinem Grimme-preisgekrönten Drama „Das wahre Leben“ gezeigt, wie gut er solche Familiengeschichten erzählen kann. Die Inszenierung ist konsequent der Handlung und dem exzellenten Ensemble untergeordnet. Ähnlich wichtig wie die Mitwirkenden ist der Schauplatz: die Villa Schwarz, die wie eine Festung gesichert ist. Gleich zu Beginn wird versehentlich ein Alarm ausgelöst, sämtliche Rollläden rasseln runter, Emily wird prompt von einer Panikattacke heimgesucht; und das ist bloß ein Vorgeschmack auf die nun folgenden Ereignisse.

Haus aus Glas: 9. und 10. Januar, 20.15 Uhr, sowie 12. Januar, 22.20 Uhr, jeweils zwei Folgen im Ersten – sowie in der ARD-Mediathek