Wenn es Nacht wird im Cavos, fliegen die Servietten. Foto: Andreas/ Engelhard

Ein Jahr in der Gastronomie ist wie zehn Jahre im wahren Leben. Der Partygrieche Cavos feiert also den Hundertsten, bis alle knöcheltief in Servietten waten. Thema der Älteren auch hier: der Perkins Park, der sich künftig auf ein junges Publikum konzentrieren will.

Als wollten Schwoba nur ihr Kehrwoch’ mache! Ziemlich veraltet ist dieses niedliche Klischee. Es ist 22.08 Uhr. Wir befinden uns an der Lautenschlager Straße gleich neben der Landeszentrale für politische Bildung. Kellner steigen zum Tanz auf Tische, das Licht wird schwächer, die Musik lauter. Die Landeszentrale für deutsch-griechische Fortbildung, vor zehn Jahren an diesem Ort als Cavos gegründet, flippt aus.

Sogleich wütet das Gegenteil der Kehrwoche. Alle werfen Servietten, immer wilder. Ach, wie sich Erwachsene freuen können, unartig zu sein und ein Chaos anzurichten! Ein kollektiver Rausch pusht die Gäste, von denen einige älter werden, ohne älter sein zu können. Ein Rausch dank weißem Papier ist besser als mit weißem Pulver.

Der Kreislauf des Wahnsinns dreht sich immer weiter

Haben Menschen, die hart arbeiten, nicht mal ein Recht aufs Verrücktsein? Viel Arbeit wird das Putzkommando haben, das um 6.30 Uhr kommt. Alles wird recycelt, hören Freunde der Müllvermeidung. Der Kreislauf des Wahnsinns dreht sich immer weiter.

Ein wichtiges Thema der langen Cavos-Nacht für die reichlich vertretene Ü-40-Generation: der Perkins Park! Die Großraumdisco auf dem Killesberg will sich verjüngen und trennt sich von der 80er Party La Boum nach 28 Jahren. Liegt „Altersdiskriminierung“ vor, wie bei Facebook zu lesen ist? La-Boum-Erfinder Steffen Eifert, der künftig in der kleineren Boa (mit nur einer Tanzfläche) Asyl findet, ist dem Park dankbar für die lange Zeit. Die nicht mehr so Jungen seien wegen Corona seltener unterwegs als früher, weshalb ein Großclub schauen müsse, wie er sich weiterhin füllen könne, so Eifert.

Perfekt aussehen muss nur, wer was zu verbergen hat

Bei der Cavos-Party zum zehnten Geburtstag feiern gleich drei Generationen: die Jungen, die Alten, die Operierten.

Wenn Hiki Shikano Ohlenmacher, Betreiber des Partygriechen, vom Botoxspritzen kommt, „ist das Gras bissle grüner und der Himmel bissle blauer“. Seit Jahren holt er sich Faltenkiller aus der Kanüle ab, was Glücksgefühle bei ihm auslöst. Aber man weiß ja: Perfekt aussehen muss nur, wer was zu verbergen hat. Ohlenmacher hat Wegbegleiter eingeladen, etwa Türsteher der ersten Stunde – Essen und Drinks (außer Champagner) gehen aufs Haus. Eingeladen sind zudem die, die den Dreck nicht scheuen: etwa die Firma Rohrteufel, die regelmäßig die verstopften Toiletten rettet, sowie Handwerker, Lieferanten, die Kohlensäure-Beschaffer. Die große Cavos-Familie feiert, deren Mitglieder sich „Cavosianer“ nennen, was sich verdächtig nach Weltanschauung anhört.

„Wenn wir nicht mehr in den Park dürfen, rocken wir das Cavos“

Nur noch zu 25 Prozent befindet sich das Restaurant im Münchner Besitz. Stuttgarter haben sich eingekauft. Das Münchner Ur-Cavos hat nicht überlebt. Zehn Jahre sind in der Gastronomie zum seltenen Feiertag geworden, sagt Gastro-Berater Klaus Schöning, der seit Menschengedenken auf vielen Feldern der Bewirtung in Stuttgart tätig ist. Der Wechsel der Wirte vollziehe sich immer schneller. Kaum hat einer was aufgemacht, hört er auf – und so weiter und so fort.

„Wenn wir nicht mehr in den Perkins Park dürfen, rocken wir das Cavos“, sagt eine tanzfreudige Besucherin draußen auf dem blauen Teppich. Sie ist wohl keine vierzig mehr, aber natürlich nur hauchdünn drüber. Ein junger Kerl, der ihr Sohn sein könnte, lächelt von der Seite fast schon verführerisch. „Es kommt nicht aufs Alter an“, sagt er, „sondern nur darauf, ob man sympathisch ist oder nicht, okay oder bescheuert.“

Wow! Die Perkins-Park-Gängerin a. D. ist verzückt. Ihre Nacht, in der DJ Anrey alterslose Musik auflegt, ist gerettet. Spielt der 26-Jährige den Wasenhit „Sweet Caroline“, ist dies fürs Lokal ein Zeichen. Da hat sich mal wieder jemand den Introsong gewünscht zwecks Lieferung von Champagner und Feuerwerk.

Lebensfreude rummst durch die Stadt

Derweil werden draußen Schmeicheleien ausgetauscht. Sagt sie: „Du gehst auf die 60 zu.“ Sagt er: „Und du gehst auf die 80 Kilo zu.“

Jung? Alt? Was soll’s! Auch beim Comeback des Castle Rock auf Schloss Solitude am Freitagabend ist die Zielgruppe nach langer Coronapause familiär weit gefasst. Ob Promiwirt Jörg Mink die Älteren und sein Sohn Jan Mink eher die Jüngeren anrockt, also anlockt, bleibt zum Glück unklar, da Altersgrenzen neuerdings so angenehm fließen.

Hauptsache, man ist gut drauf, wenn die „Legende“ auflegt. DJ Uwe Sontheimer tat’s schon, als man zu Partys Plattenkisten schleppen musste und nicht 20 000 Songs stick-weise in der Hand spazieren trug.

Ob Cavos oder Castle Rock, ob Perkins Park oder die Boa, ob Legende oder La Boum: Lebensfreude rummst durch die Stadt. Die Welt draußen ist so crazy, da muss man zwischendurch mal beim Feiern auftanken, um sie am Ende doch noch retten zu können.