Für das Projekt Kriegsbiografien werden Dokumente, Briefe, Postkarten und Fotos von gefallenen Soldaten gesucht. Foto: Volksbund/Christiane Deuse

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge sucht Material zu den Schicksalen Gefallener. Nachlässe von Privatleuten sind willkommen: Fotos, Tagebücher, Feldpostbriefe und Andenken.

Unterttürkheim - Me ine liebe Martha, steht am Anfang des vergilbten Schriftstückes. Dann folgen, in krakeligen Buchstaben, große Sehnsüchte und kleine Hoffnungen auf der eng beschriebenen Postkarte aus dem Jahr 1943. Es sind die letzten Worte eines liebenden Menschen an seine Familie. Wenige Tage später wird er im Schützengraben „den Heldentod fürs Vaterland“ sterben.

Bewegende Schicksale wie dieses gab es viele im Zweiten Weltkrieg. Feldpostbriefe, persönliche Tagebücher, Fotos und kleine Andenken geben davon eindrucksvoll Auskunft. Doch mit dem Ableben der letzten Zeitzeugen 75 Jahre nach Kriegsende droht dies teilweise in Vergessenheit zu geraten. Deswegen forciert der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge sein im Jahr 2017 gestartetes Projekt „Kriegsbiografien“ und sammelt bundesweit private Nachlässe. Ein eigens initiiertes Team arbeitet daran, die Lebensläufe von Kriegstoten nachzuzeichnen – wenn möglich künftig für jede der 832 Kriegsgräberstätten, die der Volksbund in 46 Ländern pflegt.

Schicksale hinter den Grabsteinen

„Prinzipiell kann sich jede Bürgerin und jeder Bürger mit Konvoluten, also Materialien und Schriftstücken, an uns wenden“, sagt Diane Tempel-Bornett, die Sprecherin des gemeinnützigen Vereins. „Es müssen aber wirklich Zeitzeugenberichte oder ähnliche authentische Materialien sein, die einen persönlichen Bezug haben.“ Das könne zum Beispiel ein Wehrpass sein mit den ebenso dürren wie aussagekräftigen Einträgen wie „17.9.39-24.1.40 Operationsgebiet West“. Aber auch ein Brief an die Kinder, ein Hochzeitsfoto oder die Todesnachricht. All das sammelt das Team, das aus zwei Mitarbeitern und drei Geschichtsstudenten besteht, am Hauptsitz des Volksbundes in Kassel. „Wir ordnen die Vorgänge, also die Kriegsbiografien, den Kriegsgräberstätten zu, dort wo die Menschen heute beigesetzt sind“, erläutert Diane Tempel-Bornett.

Es sei wichtig, auch die menschlichen Schicksale zu ergründen, die hinter diesen Grabsteinen stehen. Um denen, die an einem Grab stehen, Antwort zu geben auf die Frage: Wer war er eigentlich? Der Volksbund beantwortet diese Frage zunehmend auch in Ausstellungen. Denn er will die Kriegsgräberstätten weiterentwickeln – zu Lernorten, zu Orten der Auseinandersetzung. Jede einzelne Biografie sei eine Mahnung. „Geschichte lernt man weniger durch Daten, sondern durch Geschichten über die Menschen, die sie erlebt und erlitten haben“, betont Diane Tempel-Bornett. Dabei gehört zu den über 2,8 Millionen Kriegstoten, deren Gräber der Volksbund pflegt, der 20-jährige Wehrmachtssoldat genauso wie der 15-Jährige aus dem Volkssturm, die Flüchtlingsfamilie und die Zwangsarbeiterin mit ihrem kleinen Kind.

Zufallsfunde auf Dachböden

Es sei freilich nicht so, dass man mit Material geradez u überschüttet werde, räumt Diane Tempel-Bornett ein. „Bis jetzt liegen uns rund 2000 unterschiedliche Vorgänge zu 257 Kriegsgräberstätten in 34 Ländern vor.“ Der Volksbund geht jedoch davon aus, dass sich noch zahlreiche Dokumente in privaten Haushalten befinden. „Wir erhalten häufig Zufallsfunde von Dachböden und aus Kellern, wenn Häuser von Eltern oder Großeltern geräumt werden. Manchmal schlummern da wirklich noch Schätze – in unseren Augen.“ Der Umfang der Unterlagen variiere stark. „Es kommt vor, dass wir sehr viel Material erhalten und teilweise auch lange brauchen, um eine entsprechende Antwort zu geben. Manchmal bis zu einem Monat“, sagt Diane Tempel-Bornett. Dabei drängt die Zeit: Der Verträge für die Hilfskräfte laufen Ende des Jahres aus. „Aber wir hoffen, dass das Projekt weiter läuft.“

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der 1919 von heimkehrenden Soldaten des Ersten Weltkrieges gegründet wurde, kümmert sich im Auftrag der Bundesregierung um die Gräber deutscher Kriegstoter im In- und Ausland. Außerdem betreibt er Nachforschung zur Identifizierung Gefallener oder Vermisster – eigenen Angaben zufolge gehen beim Volksbund jährlich noch immer rund 35 000 Anfragen von Verwandten der Opfer ein. In einer frei zugänglichen Online- Datenbank sind rund 4,8 Millionen Opfer des Ersten und Zweiten Weltkriegs verzeichnet. Wenn man dort zum Beispiel Untertürkheim als Geburtsort eingibt, so stößt man auf die Daten von 41 Menschen, deren Grab der Volksbund betreut. Auch für die Stuttgarter Stadtteile Rotenberg (28 Personen), Obertürkheim (56), Uhlbach (23), Hedelfingen (52), Rohracker (15) und Wangen (71) kann er Angaben machen, wo sich die Gräber der Gefallenen befinden.

Kontakt

Wer Teile von privaten Nachlässen dauerhaft oder als Leihgabe an den Volksbund übergeben möchte, kann sich per Mail an kriegsbiographien@volksbund.de melden.