Die Figuren, die an der Fachwerkfassade im Bohnenviertel hingen, waren nur eine Replik, vermutlich aus den 70ern. Foto: Lichtgut//Max Kovalenko

Sollen die drei Mohren an eine Fachwerkfassade im Bohnenviertel zurückkehren? Sehr hitzig ist darüber in Stuttgart gestritten worden. Jetzt liegt das Gutachten vor: Das Relief ist eine Replik – das Original wurde nicht gefunden. Wie geht es nun weiter?

Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle (Grüne) musste sich aus ihrer eigenen Partei vorwerfen lassen, sie sei eine „Rassistin“. Im vergangenen Oktober hatte sich die Politikerin dafür eingesetzt, „in einem Dialog“ zu klären, ob man die Figuren der drei Mohren, die sie als „stadtprägend“ einschätzt, an eine Fachwerkfassade im Bohnenviertel mit einem erklärenden Schild über die Kolonialzeit aufhängen oder sie einem Museum übergeben sollte. Für die Renovierung des Hauses, in dem mittlerweile die Wirtin Laura Halding-Hoppenheit ihre neue Bar Juwel führt, hatte die SWSG als Eigentümerin das umstrittene Relief – ohne Abstimmung mit der Stadt – abhängen lassen. Das Kulturamt der Stadt erklärte schließlich, man werde die Figuren auf ihre Echtheit überprüfen.

Der Verbleib des Original ist unbekannt

Jetzt liegt das Ergebnis des Gutachtens vor. Wichtigste Erkenntnis: Die SWSG besitzt gleich zwei Reliefs mit den drei Mohren – und keines davon ist das Original aus dem 19. Jahrhundert. Wo sich das Original befindet, konnte bisher nicht herausgefunden werden. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich jemand „unter den Nagel gerissen hat“, wie nun spekuliert wird.

„Es hilft künftigen Diskussionen sicherlich, dass die Herkunft und der kulturhistorische Hintergrund des Reliefs nun identifiziert sind“, erklärt Marc Gegenfurtner, der Leiter des Kulturamtes, am Dienstag gegenüber unserer Redaktion. Die restauratorische Untersuchung habe gezeigt, dass die drei Figuren, die sich zuletzt am Gebäude in der Pfarrstraße im Bohnenviertel befanden, lediglich ein Abguss des Originals seien.

Demnach ist die Replik vermutlich bei der Versetzung der Fassade des Gebäudes im Jahr 1977 angefertigt worden. Der Abguss, so steht es im Gutachten, besteht „aus einem roten Material, vermutlich einer kunstharzgebundenen Masse“. Verschmutzungen und ausgebesserte Schäden an den Fassungen zeigten, dass es über einen längeren Zeitraum der Witterung ausgesetzt war.

Die Gaststätte Drei Mohren mit den drei Figuren stand bis 1976 an der Friedrichstraße beim Varieté. Dann sollte das etwa 500 Jahre alte Fachwerkhaus Platz machen für Neues. Ein Verein gründete sich, dem es gelang, die Fassade beim Abriss zu erhalten und einzulagern. Neun Jahre später ist dieser historische Schatz in der Pfarrstraße an ein Gebäude angebaut worden. Dort befindet sich bis heute die Gaststätte, die im Januar nach aufweniger Sanierung als Juwel neu gestartet ist.

1874 soll das Gasthaus „Zu den drei Mohren“ eröffnet haben

Entgegen erster Spekulationen, teilt das Kulturamt mit, ist das ehemalige Gasthaus „Zu den drei Mohren“ am ehemaligen Standort am Gebäude Friedrichstraße 37 erst im 19. Jahrhundert nachgewiesen. Die historischen Quellen zeigten, dass die damaligen Betreiber Rummetsch der Wirtschaft diesen Namen gaben und 1874 ein entsprechendes Wirtshausschild anbrachten. In den Jahrbüchern der württembergischen Rechtspflege aus dem Jahr 1899 seien erstmals die „drei Gipsfiguren“ erwähnt.

Das Gebäude an der Friedrichstraße wurde 1977 abgerissen. Die Fassade lagerte man ein. 1990 wurde in der Pfarrstraße eine neue Gaststätte namens Drei Mohren mit dieser Fassade eröffnet. Wegen des Umzugs und der Versetzung der Fassade steht das Gebäude nicht mehr auf der Liste der Kulturdenkmale. Bei der SWSG befindet sich noch ein zweites Relief mit den schwarzen Knaben, die goldene Lendenschurze tragen. Bisher ging man davon aus, eines sei das Original, das andere, das aufgehängt wurde, die Replik. Nun aber steht fest: Beide sind nicht echt.

„Koloniales Gedankengut war damals weit verbreitet“

Zur zeitlichen Einordnung ist aus Sicht des Kulturamtes folgendes noch wichtig: Bei der Darstellung der drei schwarzen Menschen handele es sich „um ein sprechendes Wirtshausschild, das den Namen der Gaststätte illustriert“. Diese Namensgebung, die in den historischen Adressbüchern Stuttgarts vom Jahr 1876 vermerkt ist, passe „in eine Zeit, in der koloniale Darstellung und koloniales Gedankengut weit verbreitet waren“. Werbedarstellungen hätten in Europa zur Verfestigung von stereotypen Vorstellungen über schwarze Menschen beigetragen. Eine koloniale Sicht auf andere Völker sei damals keine Seltenheit gewesen. „1874 gab es die erste Völkerschau der Firma Hagenbeck in Hamburg“, teilt Kulturamtsleiter Marc Gegenfurtner mit, „1881 fand in Stuttgart die erste Zurschaustellung von Menschen in Nills Tiergarten statt.“

Öffentliche Diskussion über koloniale Spuren in Stuttgart für Juli geplant

Zur Erforschung der Rolle Stuttgarts als Ort kolonialen Denkens haben das Stadtarchiv Stuttgart und die Koordinierungsstelle Erinnerungskultur die Vorstudie „Kolonialistisches Denken und Kolonialkultur in Stuttgart“ vorgelegt. Derzeit entsteht eine umfassende Dissertation zu dem Thema „Stuttgart als Knotenpunkt des Kolonialen“ in Kooperation mit der Universität Freiburg. Das Kulturamt will sich mit dem Thema noch intensiver befassen: In die Diskussion, die sich aus dem Streit um die drei Mohren ergebe, werde man „auch die Entstehung, Bedeutung und Wirkung des ehemaligen Möhringer Stadtwappens miteinbeziehen“, so Gegenfurtner. Für den 5. Juli ist eine öffentliche Diskussion zum Thema „Koloniale Spuren in Stuttgart – Kann das einfach weg? Herausforderungen einer guten Erinnerungskultur“ im Lindenmuseum geplant.

Für Kienzle steht nun fest: Die unechten Figuren werden nicht mehr aufgehängt

Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle (Grüne) findet es „supergut“, dass nun endlich das Gutachten vorliege und nun weiter über koloniale Spuren diskutiert werde könne. Da die Figuren nicht echt seien, sei nun klar, dass man sie nicht zurück an die Fassade hängen sollte. Sie fühlt sich bestätigt in ihrer Haltung, für die sie heftige Prügel bezogen hatte, nämlich sich intensiv mit den Figuren auseinanderzusetzen und sie nicht einfach nur zu verbannen.