Verordnungen der Pille sind seit Jahren rückläufig. Foto: dalaprod/Stock Adobe/Laurent Audinet

Einst stand die Pille für die Befreiung der Frau. Heute geht bei jüngeren Frauen der Trend weg von der hormonellen Verhütung. Auch weil in sozialen Netzwerken teils unreflektiert und fast schon panisch davor gewarnt wird.

Pille? Ja, klar. Eine andere Möglichkeit kam Selina nicht in den Sinn, als sie vor sechs Jahren mit ihrem Freund zusammenkam. Doch schon von Anfang an machte der jungen Frau das Präparat, das ihr verschrieben worden war, Probleme: „Ich habe einfach gemerkt, dass die Hormone viel in mir auslösen, in eine negative Richtung“, erzählt die 23-Jährige. Stimmungsschwankungen seien noch die harmlosesten Nebenwirkungen gewesen. Irgendwann hat sich Selina „vor der Pille geekelt“. Ihr sei klar geworden: Eine Alternative muss her.

Nur noch jede dritte junge Frau nimmt die Pille

So wie Selina geht es bundesweit inzwischen immer mehr jungen Frauen. Während im Jahr 2010 mit 46 Prozent noch fast jede zweite junge Frau mit der Pille verhütet hat, ist es inzwischen laut aktuellen Zahlen der AOK mit 28 Prozent der bis 22-Jährigen nicht einmal mehr jede dritte. „Über die Gründe, warum weniger Mädchen und Frauen die Pille verordnet bekommen und einnehmen, kann nur spekuliert werden“, sagt Kerstin Dietrich, Apothekerin bei der AOK Baden-Württemberg. Sicher sei jedoch, „dass die Aufmerksamkeit für das Thema höher ist als vor ein paar Jahren“.

Und tatsächlich. Bei der hormonellen Verhütung mit oralen Kontrazeptiva sind neben dem Nutzen in den vergangenen Jahren in ganz Deutschland zunehmend die Risiken und Nebenwirkungen in den Fokus der Öffentlichkeit getreten. Dazu haben unter anderem soziale Medien und Internetforen beigetragen. Dort hat sich auch Selina informiert. Hinzu kamen der Austausch mit dem Frauenarzt – und vor allem intensive Gespräche mit Freundinnen: „Fast alle haben die Pille inzwischen abgesetzt“, sagt sie.

Der Trend wird sich manifestieren

Ein Trend, der sich wohl fortsetzen wird. „Aus frauenärztlichen Praxiserfahrungen ist davon auszugehen“, ist sich Klaus Doubek sicher. Der Präsident des Bundesverbands der Frauenärzte (BVF), selbst Gynäkologe, sieht den Rückgang der Anwendung von „sicheren hormonellen Kontrazeptionsmethoden“ kritisch, „da es sich um eine sehr zuverlässige und praktikable Methode zur Vermeidung von ungeplanten und ungewollten Schwangerschaften handelt“. Innerhalb der hormonellen Kontrazeptiva sei allerdings vor allem der Anteil der Kombinationspräparate rückgängig, die Zahl der Monopräparate, sprich der Pillen mit nur einem Wirkstoff, jedoch leicht steigend.

Zudem erfreuen sich sogenannte risikoärmere Pillen, deren Wirkstoffe und Zusammensetzungen sich von der klassischen Pille unterscheiden, leicht zunehmender Beliebtheit. Was auch für Baden-Württemberg gilt: Wurden im Jahr 2013 im Land noch 65 Prozent jener Präparate mit einem etwas höheren Risiko für Thrombosen verordnet, waren es 2022 nur noch 46 Prozent – das entspricht immerhin einem Rückgang von 19 Prozent über den Zeitraum von gerade mal neun Jahren. Ob diese Tendenz die Pillenmüdigkeit brechen kann, ist allerdings fraglich.

Auch Männer sind gefordert

Denn generelle Skepsis gegen hormonellen Verhütungsmittel stellt auch die Beratungsstelle Pro Familia fest: „Unsere Beraterinnen sehen das zwiespältig“, sagt Regine Wlassitschau, die Sprecherin des Bundesverbands. Zum einen sei es gut, wenn sich Menschen kritisch mit dem Thema Verhütung auseinandersetzen, auch Männer. In den sozialen Medien werde aber in Bezug auf die Risiken, die es durchaus gebe, vieles vermischt und aufgebauscht.

Die Pille enthält Hormone – und die beeinflussen den Körper. Es kann etwa zu Kopfschmerzen, Zwischenblutungen und auch Libidorückgang kommen. Zudem kann das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Thrombosen geringfügig steigen. So dramatisch sich das anhört: Nach Angaben des Berufsverbands der Frauenärzte sind schwerwiegende Folgen äußerst selten. Sie betreffen vor allem Risikopatientinnen, etwa Raucherinnen, Frauen mit starkem Übergewicht oder mit familiärer Vorbelastung. Zum Vergleich: „Ohne hormonelle Verhütungsmittel erkranken zwei von 10 000 Frauen im Jahr an einer Thrombose. Mit einer Pille der zweiten Generation sind es fünf bis sieben“, sagt Cornelia Hösemann, Vorstandsmitglied des BVF und Gynäkologin. Nicht zu vergessen sei dabei, dass auch eine Schwangerschaft das Thromboserisiko erhöht: Hier liegt es laut Experten im Schnitt bei zehn auf 10 000 Frauen.

Im Internet wird teils unreflektiert gewarnt

Dass im Internet und teils auch in manchen Medien vor der Pille unreflektiert gewarnt wird, dass sie sogar verteufelt wird, ist somit nach gängiger Expertenmeinung nicht gerechtfertigt. Umso wichtiger ist eingehende Beratung – ohne dabei Angst zu machen: „Die Auswahl und Anwendung muss unbedingt begleitet werden“, sagt Regine Wlassitschau von Pro Familia. Daran hake es allerdings: „Viele Frauen werden allein gelassen“ – somit sei es kein Wunder, dass sie sich von hormoneller Verhütung abwenden. Als Alternative ist etwa das Kondom beliebt. Frauen können hormonfrei mit Diaphragma, Kupferspirale oder der natürlichen Familienplanung wie der Temperatur-oder der Zervixschleim-Methode verhüten. Wobei letzteres nur funktioniert, wenn sie extrem konsequent angewendet werden. Und wenn die Frau einen sehr verlässlichen Zyklus hat.

Klar ist: Ein für alle gleich gut verträgliches Verhütungsmittel gibt es ohnehin nicht. Man müsse stets fragen: In welcher Situation ist eine Frau, ein Mann, ein Paar, sagt Wlassitschau. Verhütung sei individuell – und die betreffende Person müsse sich damit wohl fühlen. Eine Aussage, der auch die Studentin Selina zustimmt: „Es gibt wohl kein Verhütungsmittel, das optimal ist. Letztlich muss jede Frau selbst entscheiden, was für sie passt.“