Silvio Berlusconi wurde 86 Jahre alt. Foto: dpa/Sven Hoppe

Der ehemalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat die Politik und die Gesellschaft Italiens geprägt und verändert wie kein anderer Politiker der Nachkriegszeit. Im Alter von 86 Jahren ist der streitbare Medienmogul gestorben.

Silvio Berlusconi ist gestorben. Der extrovertierte Mailänder, bei dem das Private immer auch das Öffentliche gewesen war, wurde 86 Jahre alt. Zwar war es in den vergangenen Jahren etwas ruhiger geworden um den Cavaliere und die von ihm gegründete Partei Forza Italia befand sich seit Längerem im Niedergang, aber es hat eine Zeit gegeben, in der sich in Italien alles um ihn gedreht hatte: die Politik, die Wirtschaft, der Fußball, die Medien, der Klatsch.

Der ehemalige Staubsaugerverkäufer und Entertainer, der es zum Multimilliardär und Regierungschef gebracht hatte, hatte des Land polarisiert wie kein anderer vor ihm in der Nachkriegszeit. Sachlich über Berlusconi zu reden oder zu schreiben war in Italien beinahe unmöglich geworden: Seine Gegner verachteten und hassten ihn, seine Anhänger bewunderten und liebten ihn. Der Cavaliere war für die Italienerinnen und Italiener zur Obsession geworden.

Von sich selbst besessen

Auch Berlusconi war besessen: von sich selbst. Der Sohn eines Bankangestellten musste überall der Beste sein: Als Unternehmer wurde er vorübergehend der reichste Mann Italiens, als Präsident der AC Milan hat er die meisten Champions-League-Pokale (5) gewonnen. Er wollte immer und von allen geliebt werden, besonders von den Frauen, gegebenenfalls auch gegen Bezahlung. Auch in der Politik stellte er Rekorde auf: Als erster und bisher einziger Regierungschef seit Mussolini brachte er im notorisch unstabilen Italien das Kunststück fertig, eine ganze Legislatur (2001 bis 2006) durchzuregieren. Insgesamt war Berlusconi während 3336 Tagen Premier – auch das eine Bestmarke. Seiner eigenen Selbsteinschätzung nach war er der „beste Ministerpräsident der letzten 150 Jahre“.

Berlusconi, im September 1936 in Mailand geboren, kam zuerst als Baulöwe und dann als Privat-TV-Pionier zu Reichtum. Er wurde im Frühling 1994 zum ersten Mal an die Spitze der italienischen Regierung gewählt und füllte das politische Vakuum, das nach dem „Tangentopoli“-Korruptionsskandal mit dem Sturz der Craxi-Sozialisten und der Democrazia Cristiana (DC) entstanden war. Schon damals befand sich Berlusconi im Visier der Staatsanwälte. „Wäre Silvio nicht in die Politik gegangen, dann hätten wir entweder im Knast oder unter einer Brücke geendet“, gestand der langjährige Berlusconi-Vertraute Fedele Confalonieri einmal offenherzig.

Insgesamt war Silvio Berlusconi in gut zwei Dutzend Prozessen angeklagt gewesen; ein Skandal jagte den anderen. Ein Mafiakiller war während einiger Zeit in seiner Villa in Arcore als Stallmeister angestellt gewesen. Und doch haben ihn die Italiener immer wieder gewählt, insgesamt dreimal: 1994, 2001 und 2008. Berlusconis Erfolgsrezept fasste der Publizist Beppe Severgnini einmal so zusammen: „Er ist eine Art Synthese aller Gewohnheiten, Laster und Tugenden der Italiener. Er hat eine unglaubliche Fähigkeit, das soziale Geflecht der Italiener zu begreifen. Er vergibt uns unsere Sünden und hält keine Moralpredigten: Er macht uns zu seinen Komplizen.“ Der linke Musiker, Cantautore und Schauspieler Giorgio Gaber hatte es einmal so ausgedrückt: „Non temo Berlusconi in sé – temo Berlusconi in me“ („Ich fürchte nicht Berlusconi als solchen – ich fürchte den Berlusconi in mir“).

Wie ein politischer Staubsauger hat sich der im Grunde ziemlich unpolitische Berlusconi nach 1994 alles einverleibt, was zwischen der Mitte und der extremen Rechten des Spektrums eine neue politische Heimat suchte: Er recycelte in seiner Partei Forza Italia abgewirtschaftete Sozialisten und Christdemokraten, er machte die von Gianfranco Fini angeführten Postfaschisten salonfähig und holte die Manager seiner Werbefirma Publitalia und die Showsternchen seiner Privatsender in die Regierung. Den Wählern versprach er, das Land wie eine Aktiengesellschaft zu führen, deren Aktionäre die Bürger sind. Ein griffiger Slogan – aber in Wahrheit hatte Berlusconi nur an die eigene Dividende gedacht: Er regierte Italien, als handelte es sich um einen Familienbetrieb und Selbstbedienungsladen.

Sozialdienst in einem Heim für Demenzkranke

Am Ende war Italien praktisch pleite – und der damalige Staatspräsident Giorgio Napolitano sah sich im November 2011 gezwungen, den durch seine Sexskandale und Prozesse politisch gelähmten Premier abzusetzen. Später folgten die definitive Verurteilung wegen Steuerbetrugs, ein langjähriges Ämterverbot, die Verbannung aus dem Senat, der Entzug des Reisepasses und der Sozialdienst in einem Heim für Demenzkranke. Es hat lange gedauert, bis sich der Cavaliere politisch und moralisch von seinem Sturz und seinen Affären erholt hat. In den vergangenen Jahren hat Berlusconi aber, altersmilde geworden und mit der Ambition, Staatspräsident zu werden, eine neue Rolle für sich gefunden: Er gab sich staatsmännisch und respektvoll gegenüber den Institutionen. Und dass er sich dabei immer wieder mit Lega-Chef Matteo Salvini angelegt hat, dessen ungehobelte Art und offener Rassismus ihm zutiefst zuwider war, hat ihm auch die Sympathien politischer Gegner eingetragen.

Im Ausland dagegen war Berlusconi spätestens nach dem Auffliegen der „Ruby-Affäre“ nur noch als eine Art italienische Freak-Show wahrgenommen worden. Doch auf seine Weise war er eine Figur der Avantgarde: „Sua Emittenza“, wie er ironisch genannt wurde, hat Italien in eine „Mediokratie“ verwandelt, in welcher nicht mehr Parteien und Programme, sondern nur noch Personen, Geld und Berühmtheit zählen. Er war mit seinen Privat-TV-Sendern zugleich Schöpfer und Geschöpf dieser modernen Unterhaltungsdemokratie. Silvio Berlusconi, schrieb der US-Autor und Italien-Kenner Alexander Stille in seinem Buch „Citizen Berlusconi“, möge als bizarre, unverständliche und ausschließlich in Italien vorstellbare Figur erscheinen. „Aber er hat zahlreiche politische Tendenzen unserer Tage vorweggenommen.“ Stille hat sein Buch im Jahr 2006 veröffentlicht – und seine Analyse ist heute gültiger denn je.