Gemäß einer Umfrage unter Schulleitern sind Eltern oft für psychische Gewalt gegen Lehrer verantwortlich. (Symbolbild) Foto: imago images / photothek/Ute Grabowsky/photothek.net

Gewalttaten gegen Lehrer bleiben auf einem hohen Niveau. Zu dieser Einschätzung kommt die Lehrergewerkschaft VBE in einer neuen Umfrage. Der Frust an den Schulen ist groß.

An vielen Schulen in Baden-Württemberg sind Lehrer in den vergangenen Jahren beschimpft und beleidigt, gemobbt oder gar körperlich angegriffen worden. Zu dieser Einschätzung kommt der Verband Bildung und Erziehung (VBE) nach einer Umfrage. „Noch nie stand es um die Berufszufriedenheit an den Schulen schlechter“, sagte der Landesvorsitzende des VBE, Gerhard Brand, dessen Dachorganisation die jährliche Erhebung beim Meinungsforschungsinstitut Forsa in Auftrag gegeben hatte.

Über drei von vier Schulleitungen klagen laut der Befragung mit dem Titel „Die Schule aus Sicht der Schulleiterinnen und Schulleiter“, die am Freitag in Stuttgart vorgestellt wurde, über unbesetzte Stellen. Das sind erheblich mehr als in den vergangenen Jahren. Viele weitere beschweren sich zudem über einen Berg von Arbeit oder großen Zeitmangel. Auch der Druck durch die Eingliederung von Kindern mit einer Behinderung (Inklusion) und die Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen gehören zu täglichen Problemen in den Schulen.

Gewalt gegen Lehrer ist ein Tabu

Doch am meisten Alarm schlagen die Lehrer, wenn es um Gewalt gegen Lehrkräfte geht. Denn laut Umfrage bezeichnet weit mehr als die Hälfte der Schulleitungen (56 Prozent) den Umgang mit dem Thema als Tabu, das ist ein fast doppelt so hoher Anteil wie noch im Jahr 2020 (29). Jede vierte Schulleitung kennt aus den vergangenen fünf Jahren mindestens einen Fall, in dem eine Lehrkraft körperlich angegriffen wurde. Insgesamt 59 Prozent der Schulleitungen berichten von Fällen direkter Gewalt in den letzten fünf Jahren, also von Beschimpfungen, Drohungen, Beleidigungen, Mobbing oder Belästigung. „Dieser Befund ist erschreckend“, sagte VBE-Landeschef Brand. „Aber er bildet die Realität an unseren Schulen ab.“

Die Eltern seien laut Umfrage etwa für jeden zweiten Fall (51) von psychischer Gewalt über das Internet verantwortlich. Fälle von direkter psychischer Gewalt in den vergangenen fünf Jahren wurden nach Angaben der Schulleitungen sogar meistens (81) den Vätern und Müttern zur Last gelegt. Fast komplett von Schülerinnen und Schülern ging dagegen in den vergangenen Jahren die physische Gewalt gegen Lehrkräfte aus (96).

Psychische Gewalt durch Eltern ausgeübt

Der VBE erklärt das Ausmaß der Gewalt mit der Lage an den Schulen. „Die Bedingungen stimmen einfach nicht“, sagte Brand. Es gebe zu viele Kinder in zu kleinen Klassenzimmern mit Lehrkräften, die wegen der Personalnot und der wachsenden Aufgabenfülle völlig überlastet seien. „Die desolate Situation an den Schulen gefährdet nicht nur die Unterrichtsqualität und Chancengleichheit, sondern ebenso die psychische und körperliche Unversehrtheit des pädagogischen Personals“, sagte Brand.

Der Mangel an Lehrern steht bei 77 Prozent der Schulleitungen an erster Stelle der Liste mit den größten Problemen im Schulalltag. Im vergangenen Jahr waren das noch 52 Prozent, wie die Umfrage zudem ergibt. Rund 44 Prozent der Schulleitungen bemängeln die hohe Arbeitsbelastung oder den Zeitmangel (2021: 38), 28 Prozent machen Probleme durch Inklusion und Integration zu schaffen - ein doppelt so hoher Anteil wie im vergangenen Jahr. „Deutlich seltener werden derzeit alle mit der Corona-Pandemie beziehungsweise den Corona-Maßnahmen zusammenhängenden Themen als Probleme gesehen“, heißt es in der Umfrage.

Schule kann nicht alle Probleme lösen

Woher kommt die hohe Belastung? Ein zunehmend wachsender Aufgabenzettel setzt fast alle (99 Prozent) stark oder auch sehr stark unter Druck, das gilt auch für die steigenden Verwaltungsarbeiten (98), für ein mangelndes Zeitbudget (96) und für Politiker, die aus Sicht der Schulleitungen den tatsächlichen Schulalltag nicht ausreichend beachten, wenn sie Entscheidungen treffen (96). Genannt wird auch sehr oft der Anspruch, die Schule solle alle aufkommenden gesellschaftlichen Probleme lösen (94).

Unter dem Strich geben 42 Prozent der Schulleitungen an, nur gelegentlich oder sogar nie ihren Beruf zu ihrer eigenen Zufriedenheit zu erfüllen, das ist ein fast doppelt so hoher Anteil wie 2019, allerdings auch etwas weniger als im vergangenen Jahr (46).

Das sind die Lösungsvorschläge der Schulleiter

Um die Aufgaben als Schulleitung besser erledigen zu können, schlagen die Rektoren Anrechnungsstunden vor (98) und mehr Zeit, um die Schule zu leiten (96). Die Schulen müssten besser mit pädagogischen Fachkräften in sogenannten multiprofessionellen Teams ausgestattet werden (95). Hilfreich oder sehr hilfreich sei auch eine Stellvertretung (90).

Überraschend: Trotz der Probleme stehen 74 Prozent der befragten baden-württembergischen Rektorinnen und Rektoren gerne an der Spitze ihrer Schulen (2021: 67). Das sind allerdings auch deutlich weniger als vor Beginn der Corona-Pandemie. Weiterempfehlen würde nur noch weniger als jeder zweite Rektor und jede zweite Schulleiterin den einstigen Berufswunsch (45). Vor vier Jahren - im Jahr 2018 - hätten noch 70 Prozent der Schulleitungen in Baden-Württemberg ihren Beruf uneingeschränkt oder zumimndest nahezu uneingeschränkt weiterempfohlen.

Wenig verwunderlich fällt dagegen das Zeugnis aus, das die Rektoren der Schulpolitik des Landes ausstellt: Bei 54 Prozent der Schulleitungen wäre sie mit einer Note 5 oder 6 akut „versetzungsgefährdet“. Der Notendurchschnitt liegt bei lediglich 4,5 - das ist der schlechteste Wert seit 2018.