Streitwert: 38 Millionen Euro. Nach Jahrzehnten Erbschaftsstreitigkeiten gibt das Gericht Janine Schlemmer rundherum Recht. Trotzdem ist sie nur verhalten freudig.
Das Landgericht Stuttgart hat geurteilt: Janine Schlemmer muss endlich ihren Anteil am Erbe von Oskar Schlemmer, des berühmten Bauhaus-Künstlers, erhalten. Noch traut sie dem Frieden aber nicht.
Frau Schlemmer, Sie sollen Ihr Erbe erhalten. Lassen Sie die Korken knallen?
Ich bin total froh, dass der Richter endlich ein Urteil gefällt hat, aber noch ist nicht es rechtskräftig, deshalb bin ich vorsichtig. Noch kann mein Cousin Berufung einlegen. Wobei auch wir Berufung einlegen könnten.
Wieso Sie?
Mein Anwalt muss sich erst einmal in das Schriftstück hineinknien – und das ist sehr umfangreich. Von der Liste, die wir zusammengestellt hatten, wurden einige herausgenommen. Es ist eine Sisyphusarbeit, nun zu überprüfen, welche Werke der Richter herausgenommen hat und warum.
Hatten Sie zu Unrecht Werke der Erbmasse zugerechnet?
Nicht direkt zu Unrecht, jedoch sind uns bei der Auflistung ein paar Fehler unterlaufen. Zum Beispiel gab es bei zwei Katalogen eine Werksüberschneidung, wodurch einige Werke fälschlicherweise doppelt erfasst waren. Zudem sind einige der Experten, die mit dem Werk zu tun hatten, inzwischen verstorben oder nicht mehr vernehmungsfähig, was die Sache der Zuordnung weiter erschwert hat.
Ihr Cousin hat im Prozess eingeräumt, Ihr Erbe unterschlagen zu haben.
Er schien während des jüngsten Prozesses einen Sinneswandel gehabt zu haben. Ziemlich sicher deshalb, weil er sich erhoffte, dadurch juristisch eine Verjährung zu erzielen.
Er wollte Verjährung gelten machen. Warum hat das nicht geklappt?
Meine Tante sah sich als Testamentsvollstreckerin und diejenige, die das Werk hütet für die Erbengemeinschaft. Es war mein Glück, dass sie das auch immer wieder schriftlich betont hat. Da sie 2010 verstorben ist, wurde mein Anteil erst nach 2010 unterschlagen, als Raman Erbe wurde.
Er müsste jetzt 1600 Werke herausrücken. Ist das realistisch?
Jein. Wenn er es nicht tut, wovon auszugehen ist, da er unserem Wissen nach bereits viele Werke für seinen Lebensunterhalt verpfändet oder verkauft hat, ist er schadensersatzpflichtig. Die Werke, auf die man Zugriff hat, werden nun versteigert – und die Hälfte des Erlöses, der davon theoretisch ihm zustünde, wird mir als Schadensersatz ausbezahlt.
Aber wer sagt, dass der Erlös genau dem entspricht, was irgendwo im Ausland versteckt ist?
Bei dem, was nicht greifbar ist, weil Raman Schlemmer es versteckt, verkauft oder verpfändet hat, muss man nach Schätzwerten gehen. Der aktuell physisch vorhandene Teil der Werke wird vermutlich nicht reichen, um den Schadensersatz zu tilgen, wodurch ich zum Teil leer ausgehe bzw. eine Teilschuld offenbleibt. Wenn in den nächsten Jahren weitere Werke aus der Erbmasse auftauchen, müssen diese auch versteigert werden. Das Zwangsversteigern geht so lange weiter, bis der Schaden beglichen ist. So habe ich es zumindest verstanden. Das ist der Wermutstropfen, dass ich voraussichtlich keine Werke von meinem Großvater bekomme – außer, ich ersteigere sie selbst.
Sie waren Anfang zwanzig, als Ihre Großmutter starb, um deren Erbe es geht. Damit belastet Sie das Erbe praktisch ihr gesamtes Leben lang.
Ja, es ist unglaublich, schließlich gibt es ein Testament, in dem steht, dass wir das je zur Hälfte geerbt haben. Wenn ich mir vor Augen führe, wie viel Zeit, Geld und Lebensenergie nötig waren, um mein gutes Recht einzufordern, wird mir ganz schlecht. Auch ich musste, um diesen unnötigen Prozess zu finanzieren, die wenigen Werke, die mir meine Mutter direkt vererbte, verkaufen.
Person
Janine Schlemmer ist das Kind der verstorbenen Schauspielerin Karin Schlemmer, einer der Töchter des Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer. Die 59-jährige Erzieherin lebt in München und kämpft seit mehr als zwanzig Jahren vor Gericht um ihr Erbe.
Urteil
Das Landgericht Stuttgart hat den Cousin von Janine Schlemmer nun verurteilt zur Herausgabe eines erheblichen Teils von rund 1600 Werken Oskar Schlemmer und zur Zahlung von Wertersatz für von ihm bereits verkaufte Werke.