Bundespolizisten inspizieren am 14. Februar 2022 die Unfallstelle zweier aufeinander geprallter S-Bahnen in der Nähe des Bahnhofes Ebenhausen-Schäftlarn. (Archivbild) Foto: dpa/Matthias Balk

Vor eineinhalb Jahren starb ein junger Mann beim Zusammenstoß zweier S-Bahnen südlich von München. Nun soll der mutmaßlich Verantwortliche vor Gericht gestellt werden. Die jetzt gegen ihn erhobenen Vorwürfe wiegen schwer.

Nein ganz normaler Montagnachmittag im oberbayerischen Schäftlarn. Viele Menschen sind auf dem Heimweg von der Arbeit, als im Februar 2022 zwei Züge der Münchner S-Bahn mit einem lauten Knall zusammenkrachen. Ein junger Mann stirbt, viele andere Menschen werden teils schwer verletzt.

Die Bergungsarbeiten auf dem steilen Bahndamm, auf dem die eingleisige Strecke verläuft, sind aufwendig. Rasch steht bei der Frage nach der Unfallursache menschliches Versagen im Fokus. Nun hat die Staatsanwaltschaft am Donnerstag - auf den Tag genau eineinhalb Jahre nach dem Unglück - Anklage gegen einen der Triebwagenführer erhoben. Was dem Mann vorgeworfen wird, klingt ungeheuerlich.

Unglück am 14. Februar 2022

Den Ermittlungen zufolge hatte er am 14. Februar 2022 eine S-Bahn der Linie 7 von Wolfratshausen nach München gesteuert. Bei der Anfahrt auf den Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn südlich der bayerischen Landeshauptstadt wurde seine Bahn aufgrund zu hoher Geschwindigkeit zwangsweise abgebremst. Darüber setzte sich der Triebwagenführer nach Angaben der Staatsanwaltschaft München I aber hinweg und fuhr in den Bahnhof ein. Bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof sei der Angeschuldigte dann an einem Halt zeigenden Signal vorbeigefahren. Der Zug wurde daraufhin erneut durch eine Zwangsbremsung zum Stehen gebracht.

Obwohl der Triebwagenführer nach dieser Zwangsbremsung einen schriftlichen Befehl des Fahrdienstleiters für die Weiterfahrt hätte einholen müssen, fuhr er laut Staatsanwaltschaft aus dem Bahnhof heraus und beschleunigte den Zug auf etwa 67 Stundenkilometer. Zugleich kam ihm auf der eingleisigen Strecke eine andere, verspätete S-Bahn aus München entgegen. Wegen der drohenden Kollision bremsten die Kontrollmechanismen diese Bahn zwangsweise ab, bis sie auf der Strecke stehenblieb.

Zusammenstoß trotz Schnellbremsung

Als der Angeschuldigte die stehende Bahn erblickte, leitete er den Angaben zufolge zwar noch eine Schnellbremsung ein. Dennoch kam es zum Zusammenstoß. Ein 24-jähriger Afghane, der sich im Bereich direkt hinter der Kabine des mutmaßlichen Unglücksfahrers aufhielt, starb. Weitere Passagiere wurden teils schwer verletzt, auch die beiden Triebwagenführer waren unter den Schwerverletzten.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem damals 54 Jahre alten Triebwagenführer nun neben der vorsätzlichen Gefährdung des Bahnverkehrs fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung in 51 Fällen vor. Wann der Prozess beginnt, ist noch offen.

Die Ermittlungen dauerten vergleichsweise lange, weil eine unglaublich große Datenmenge analysiert werden musste - ähnlich wie nach einem Flugzeugabsturz, schilderte einmal eine Staatsanwältin. Noch in der Nacht nach dem Crash im Berufsverkehr wurde damals ein auf Bahnunfälle spezialisierter Sachverständiger mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, der Unfallort wurde mit Drohnen abfotografiert, an die 100 Zeugen wurden vernommen.

Beinahe-Unfall ein Jahr vorher

Zudem wurden aufwendige Reparatur- und Bergungsarbeiten nötig. Die beschädigten Gleise mussten auf einer Länge von 120 Metern instandgesetzt werden, erst nach zwei Wochen konnte der reguläre Zugverkehr wieder aufgenommen werden. Der Sachschaden betrug rund sieben Millionen Euro.

Schon im Sommer zuvor hatte es einen Beinahe-Unfall nur eine Station von Schäftlarn entfernt gegeben: Bei Icking waren im August 2021 zwei Bahnen der S7 aufeinander zugefahren, die Zugführer konnten aber noch rechtzeitig bremsen. Außerdem weckt das Unglück von Schäftlarn Erinnerungen an Bad Aibling: Im Februar 2016 waren bei dem schweren Unfall im oberbayerischen Landkreis Rosenheim ebenfalls aufgrund menschlichen Versagens zwei Züge frontal zusammengestoßen. Zwölf Menschen starben, Dutzende wurden verletzt. Dort hatte ein Fahrdienstleiter mit dem Handy gespielt und davon abgelenkt falsche Signale gesetzt. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt und kam nach zwei Drittel der Zeit frei.