Die Speakerinnen Julia Melnyk, Maria Azzarone, Paulina Pecherki (v.l.) Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Afina Albrecht vom Netzwerk Ukraine engagiert und die Gründerinnen vom Verein Wolja appellieren an weitere Unterstützer.

Können Worte noch beschreiben, was Menschen in der Ukraine erleiden? Reicht das Wort „schrecklich“ für all die Gräuel des Krieges aus? Darüber denkt Afina Albrecht jetzt manchmal nach. Sie kommt aus der Ukraine, ihre Mutter lebt dort noch: „In Mariupol, ich habe seit einer Woche keinen Kontakt mehr mit ihr.“ Die Zuhörerinnen im Haus Forró halten den Atem an: Ausgerechnet Mariupol, die Stadt, die einer Trümmerwüste gleicht. Aber das erwähnt Afina Albrecht nur fast beiläufig, als sie bei dem Frauenprojekt Innovative Women zu Gast ist. Kein Wort von Panik und Verzweiflung, die hinter diesem Satz stecken. Auch keine Klage und keine Anklage am Abend des Tages, an dem die Bilder des Massakers von Butscha fassungsloses Entsetzen auslösen. Stattdessen ein sehr sachlicher Bericht über die Hilfe für die hier an-kommenden Flüchtlinge, der sich auch Julia Melnyk, Vitaliia Kochurova und Maria Az-zarone vom spontan gebildeten Hilfsverein Wolja verschrieben haben. Verbunden mit einem dringenden Appell um weitere Hilfe und Unterstützung. Mit ihrer zupackenden Tatkraft sind diese Frauen für Anja Lange und Ilke Heller von Innovative Women geradezu Paradebeispiele für ihr Ziel, Frauen durch den Network-Gedanken und gegen-seitige Unterstützung Mut zu machen.

„Die Menschen haben nichts“

Probleme zu lösen, ist Afina Albrechts Beruf als Projektleiterin im Software-Bereich. Seit sie 2011 nach Deutschland gekommen ist, vertritt sie aktiv ihr Heimatland: Mit einem deutsch-ukrainischen Magazin, mit der Organisation mit ukrainischen Kultur- und Literatur-Tagen, mit Sportevents. Als sie am 27. Februar, dem dritten Tag der russischen Invasion in die Ukraine, als Rednerin bei der ersten großen Friedensdemonstration auftrat, hat sie kurzerhand OB Frank Nopper angesprochen. Und ist seither eingebunden in das Netzwerk „Ukraine engagiert“ mit hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfern aus städtischen Ämtern, Bürgerstiftung und Ausbildungscampus in der Jägerstraße: Als Ansprechpartnerin in der Hotline, die innerhalb von zwei Tagen installiert wurde, sich in Windeseile herumgesprochen hat und 16 Stunden am Tag, von 8 Uhr bis Mitternacht, dank 25 Helfern erreichbar ist, als Übersetzerin, als Kontaktperson zu Hotels und Hostels für die Unterbringung und manchmal auch als Beschafferin der dringendst nötigen Produkte: „Die Menschen, die hier ankommen, haben ja nichts, kein Geld, keine Kleidung, oft nicht mal Unterhosen zum Wechseln. Dann gehe ich einkaufen.“ Der Stadt stellt sie das beste Zeugnis aus: „Ich bin begeistert“, sagt sie. Die Ämter seien offen für die Herausforderung, Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge würden auf kurzem Wege gelöst.

Mehr als 130 Ehrenamtliche

Praktisch denkend und zupackend nach dem Motto nicht lange reden, sondern etwas tun: Aus dieser Haltung ist der Hilfsverein Wolja (wörtlich übersetzt der Wille, gebraucht im Sinn von Freiheit) entstanden, der es fast schon zu bundesweiter Publicity gebracht hat. Weil die Plakate an allen Bahnsteigen im Stuttgarter Hauptbahnhof, adressiert an „Liebe Ukrainer“, natürlich in Kyrillisch, und mit den ersten nötigen Informationen für die Ankommenden, große Beachtung fanden. Eine Idee von Maria Azzarone, die „mit der Ukraine gar nichts am Hut hat“, aber einfach ihrer ukrainischen Freundin Julia Melnyk und deren Landsfrau Vitaliia Kochurova helfen wollte. Und für ihr Ansinnen an die Bundesbahn, hier Plakate aufhängen zu dürfen, ein offenes Ohr fand. Mehr als 130 Ehrenamtliche, so Julia Melnyk, hätten sich mittlerweile eingebracht, mehr als 3000 Geflüchtete am Bahnhof empfangen, mehr als 2000 Arbeitsstunden geleistet: „Wir können den Krieg nicht aufhalten, aber wir wollen den Geflüchteten hier eine gute Zeit ermöglichen.“

„Das nächste Ziel heißt Integration“

„Der Dialog funktioniert gut“, berichtet Paulina Peckerkin, die aus Sibirien stammt und sich in den Unterkünften in Münster und Bad Cannstatt um die Bewohner kümmert. „Die Menschen haben so viele Fragen, man ist im Nu von zig Leuten umlagert, wenn man kommt.“ Sie hilft beim Kontakt mit Ämtern, organisiert Arztbesuche und Kontakte mit Sportvereinen. Die Unterstützung von den Ämtern sei großartig, vor allem in Münster erlebe sie das Engagement im dortigen Rathaus: „Natürlich sind die Umstände in dieser Sporthalle nicht optimal, aber die Atmosphäre ist harmonisch, fast familiär.“

„Das nächste Ziel heißt Integration“, macht Afina Albrecht klar. Auch dafür werde jede Hilfe gebraucht, Menschen, die zuhören, Verantwortung übernehmen und Geld spenden. Zum Beispiel für Sportgerät. „Bälle sind notwendig“, gibt Afina Albrecht, die aus Quarantäne-Gründen nur am Bildschirm präsent ist, praktische Tipps: „Bälle, Netze, auch Fahrräder wären schön. Denn die Kin-der und Jugendlichen müssen ihre überschüssige Energie abbauen und den Schrecken von Krieg und Flucht überwinden.“