Die Beteiligung am Streik war im Kreis sehr hoch. Foto: Gottfried Stoppel

Auch die Fellbacher Traubenapotheke machte am Mittwoch beim bundesweiten Protesttag mit und blieb geschlossen. Die meisten Kunden zeigten Verständnis für den Streik. Peter Kaiser, der im Vorstand der Landesapothekenkammer ist, erklärt die Gründe des Protests.

Große Plakate kleben an der Eingangstür der Traubenapotheke im Rathaus-Carrée. Am Mittwoch blieben die Türen zu. Die Fellbacher Apotheke war eine von vielen, die bundesweit beim Protest mitmachten. Der Streik war angekündigt. „Ich weiß Bescheid, ich verstehe das“, sagte Brigitta Fried, die am Dienstag noch Medikamente besorgt hatte. „Im Gesundheitswesen liegt einiges im Argen“, so die Fellbacherin. Zum Beispiel habe sie aus eigener Erfahrung erlebt, wie schwer es sei, einen Kinderarzt zu finden. Es sei eine Odyssee gewesen, bis sie endlich in Urbach einen gefunden hätte, der noch Patienten aufgenommen habe.

Sie habe in der Zeitung von der Schließung der Spitzweg-Apotheke in Degerloch gelesen, erzählte Fried. Eine Apothekerin schildert im Artikel, warum ihr Berufsstand zu kämpfen hat. Fried ist eine der Kundinnen der Traubenapotheke und schätzt die persönliche Beratung. „Eine Versandapotheke ist für mich keine Alternative“, sagte sie. Auch im Einzelhandel setze sie auf persönlichen Kontakt. „Wir müssen die Strukturen vor Ort unterstützen, bevor sie verloren gehen.“

In Fellbach ist die Anzahl der Apotheken von zehn auf sieben zurückgegangen

Peter Kaiser, Seniorchef der Fellbacher Traubenapotheke und im Vorstand der Landesapothekenkammer, erklärt, warum sich bei den Apotheken der Unmut angehäuft hat. Viele Menschen würden noch davon ausgehen, dass Apotheker viel verdienten. „Man kennt ja auch den Spruch mit den Apothekerpreisen“, sagt Kaiser, „doch das Apothekensterben geht still und ohne große Beachtung seitens der Politik weiter.“ Viele Apotheken seien unter den derzeitigen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen nicht mehr gewinnbringend zu führen.

In Fellbach habe es beispielsweise vor Jahren noch zehn Apotheken gegeben, inzwischen seien diese auf sieben geschrumpft. Baden-Württemberg habe in den vergangenen zehn Jahren etwa 13 Prozent seiner Apotheken verloren, berichtet der Landesapothekerverband. Aktuell gebe es noch knapp 2300 Apotheken im Land. Manchen Aufwand, mit denen Apotheker umgehen müssen, würden nicht wahrgenommen. Auch die Lieferengpässe belasteten die Arbeit. „Ich habe beispielsweise in diesem Winter Rezepturen für einen Fiebersaft für Kinder selbst hergestellt“, erzählt Kaiser, „weil kein Fiebersaft mehr lieferbar war.“ Am Ostermontag habe er selber Penizillintabletten zerstampft und in Suspensionslösung verrieben, weil kein Penizillinsaft zu bekommen war für Patienten aus der Kinder-Notfallpraxis. Als ein anderes Beispiel für den Mangel nennt er ein Rezept eines Arztes, der handschriftlich noch vier weitere Wirkstoffalternativen aufführte. „Auch die Ärzte kennen die Notlage und versuchen, damit umzugehen“, macht der Apotheker deutlich.

Rezepturen für Fiebersaft wurden wegen Lieferengpass selbst hergestellt

Durch seine Arbeit in der Landesapothekenkammer hat er auch einen Blick auf die Konditionen in anderen Regionen. „In unserem Ballungsgebiet fällt es noch nicht so sehr auf, dass Apotheken schließen, aber in anderen Regionen gibt es in einigen Städten kein Angebot mehr.“ Mehrere politische Weichenstellungen hätten die Lage massiv verschärft. Der Versandhandel, der 2004 eingeführt wurde, zähle dazu. Auch die überbordende Bürokratie. Vor einigen Jahren habe er noch die Warenwirtschaft mit 80 Megabyte gemanagt, inzwischen seien Terabyte erforderlich. „Als Dank für unsere und der Mitarbeiter geleisteten Tätigkeit während der Coronapandemie erhöht man den Kassenabschlag auf Medikamente, was einer Gehaltskürzung gleichkommt“, sagte er. „Das Fass zum Überlaufen gebracht hat für mich persönlich das Angebot von 50 Eurocent, die wir zur Beseitigung von Lieferengpässen erhalten sollen. Wenn wir den Zeitaufwand gegenrechnen, ist das nicht einmal ein Bruchteil des Mindestlohns“, so Peter Kaiser. „Seit 2004 wurde die Vergütung nicht angepasst, nur durch immer schnelleres Rennen im Hamsterrad schreiben die Betriebe eine schwarze Null. Wir verschleißen unser Personal und uns selbst. Bei einer Apothekenzahl wie vor 40 Jahren geht eine zuverlässige, stille Branche den Bach runter. Das schmerzt und zwingt uns Apotheker und Apothekerinnen lautere Töne anzuschlagen“, machte er deutlich.

Nur einzelne Kunden finden sich am Mittwoch vor verschlossenen Türen wieder

Deshalb wollte er mit den anderen Vor-Ort-Apotheken ein Zeichen setzen. Dass so ein Protest so geschlossen sei, zeige, wie prekär die Lage sei. Der Fellbacher Heizungsbaumeister Oliver Friz wusste auch vom Protesttag. „Es gibt Engpässe in der Medikamentenversorgung. Für meine Tochter wurde daher ein Fiebersaft eigens in der Apotheke hergestellt“, erzählte er.

Nur einzelne Kunden fanden sich am Mittwoch vor den geschlossenen Türen wieder. „Ich hätte nicht gedacht, dass der Streik flächendeckend ist“, sagte Maria Proettel vor der Waiblinger Centralapotheke. Für sie sei die Vor-Ort-Versorgung bei ihr in Hegnach sehr wichtig. Ein junger Mann stand überrascht vor der Floriansapotheke in der Fellbacher Bahnhofstraße. Und ein Herr studierte die Streikinfos an der Waiblinger Bahnhofsapotheke, die mit bunten Zeichnungen versehen waren. Die Apotheken machten auf verschiedene Weise auf ihr Anliegen aufmerksam. Im Streit um höhere Honorare und bessere Arbeitsbedingungen stärkte Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha den Apotheken den Rücken und forderte ein besseres Angebot des Bundes. „Ich habe Verständnis für die Forderungen der Apothekerinnen und Apotheker und habe diese ebenfalls bereits an den Bund herangetragen“, sagte der Grünen-Politiker.