Wegen Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine steht die Welt vor einer Ernährungskrise historischen Ausmaßes. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagt, dass arme Länder unabhängiger von Getreide-Importen werden müssten. Schnelle Lösungen gebe es aber nicht.
Vor einem halben Jahr ist Svenja Schulze umgezogen. Einmal die Straße runter, vom Bundesumweltministerium in Berlin ins Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Auch hier überschattet Russlands Krieg gegen die Ukraine längst die Arbeit. In der vergangenen Woche war die neue Ministerin selbst in der Ukraine, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Im Interview schildert sie ihre Eindrücke – und was sie plant, um der drohenden Hungerkrise in der Welt zu begegnen.
Frau Ministerin, Sie waren gerade in der Ukraine. Warum eigentlich? Die Außenministerin war zuvor doch schon da.
Mein Ministerium hat seit vielen Jahren enge Verbindungen in die Ukraine. Wir pflegen die Zusammenarbeit zu rund 70 ukrainischen Kommunen und haben die ukrainische Regierung in vielen Reformprozessen und bei der wirtschaftlichen Stabilisierung unterstützt. Darauf bauen wir jetzt auf, wenn es um die Unterbringung von Binnenflüchtlingen geht und um den Wiederaufbau. Ich wollte mir ein eigenes Bild von unseren Projekten machen.
Was waren Ihre prägendsten Eindrücke?
Wir waren in einer Gemeinde, in der nicht nur die Häuser, sondern auch die Brücken und die gesamte Infrastruktur zerstört waren. Trotzdem denken die Bürger dort nicht nur an ihr eigenes Leid, sondern auch daran, wie man den Binnenflüchtlingen ein neues Zuhause schaffen kann. Das hat mich beeindruckt.
Wenn die Ukraine EU-Beitrittskandidat wird, ist dann das Entwicklungsministerium überhaupt noch zuständig?
Wir werden der Ukraine so lange helfen, wie es nötig ist. Jetzt geht es zunächst um die Herstellung der Lebensgrundlagen. Stromleitungen und Schulen müssen repariert werden, die Wasserversorgung muss gesichert sein und die Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf. Da bringen wir in Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen viel Expertise mit.
Gerade diese Organisationen haben aber auch Bedenken, dass die Ukraine so viel Aufmerksamkeit und Mittel bekommt und für andere Länder nicht mehr viel übrig bleibt.
Als ich in der Ukraine war, wurde mir auch die Sorge vermittelt, dass die Menschen dort aus dem Blickfeld der Weltöffentlichkeit verschwinden. Ich werde darauf achten, dass unsere Hilfe sich nicht nach der aktuellen Aufmerksamkeit richtet, sondern nach der Größe der Probleme.
Zumal der Krieg gegen die Ukraine erhebliche globale Auswirkungen hat.
Da steht vor allem die Ernährungsfrage im Mittelpunkt. Nicht wenige Länder hängen teilweise oder sogar vollständig von Getreidelieferungen aus der Ukraine oder Russland ab. Noch mehr sind von extrem hohen Preisen auf den Weltagrarmärkten betroffen. Deswegen haben wir ja gerade im Rahmen der G7 das globale Bündnis für Ernährungssicherheit auf den Weg gebracht.
Für das es bisher nur eine finanzielle Zusage Deutschlands gibt, richtig?
Auch viele andere schnüren Unterstützungspakete. Allen voran die Weltbank, wo ich das Thema schon auf der Frühjahrstagung im April ins Zentrum gerückt habe. Wichtig war aber in der Tat, dass Deutschland als G7-Präsidentschaft früh vorangegangen ist und 430 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat.
Und die anderen Staaten?
Es geht bei diesem Bündnis nicht in erster Linie um Geld, sondern um eine laufende Koordination der vielen Aktivitäten. Wir wollen sicherstellen, dass alles uns Mögliche getan wird, um den Betroffenen zu helfen – und auch dafür, dass international sichtbar wird, wer das Problem verursacht, nämlich Russland, und wer Teil der Lösung ist.
Vieles wäre einfacher, wenn ukrainisches Getreide außer Landes geschafft werden könnte.
Es geht tatsächlich um enorme Mengen, die auf den Märkten in Asien oder Afrika fehlen. Und die russische Propaganda, nach der nicht der Krieg, sondern die EU-Sanktionen an der drohenden Hungerkatastrophe Schuld sind, verfängt leider viel zu häufig. Dabei ist es Putin, der auch noch der Ukraine Getreide stiehlt. Aber es geht nicht nur um das, was noch in den ukrainischen Silos lagert. Wir müssen jetzt schon an die nächste Ernte denken. Ich war in Lwiw bei einer Landwirtin, der wir helfen konnten, Saatgut zu kaufen. Denn auch beim Agrarhandel mit der Ukraine müssen wir uns von Russland unabhängig machen.
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Hat der Hunger nicht vor allem mit der Preisentwicklung zu tun?
Das stimmt. Im Moment geht es gar nicht um fehlende Lebensmittel, sondern um die Erwartung, dass sie knapper werden. Mittelfristig müssen Länder wie Ägypten, Tunesien und andere afrikanische und asiatische Länder unabhängiger von Importen werden.
Durch die Wiederbelebung der eigenen Landwirtschaft?
Genau. Mehr Anbau, vor allem einheimischer Pflanzen, um sich zum Beispiel von Weizenimporten unabhängig zu machen. Funktionierender lokaler und regionaler Handel. Und vor allem auch nachhaltige Methoden, um auch morgen noch fruchtbare Böden zu haben und die nächste Krise zu vermeiden.
Kann die EU die Preise beeinflussen?
Einfache und schnelle Lösungen gibt es jedenfalls nicht. Dabei ist die Preisentwicklung der größte Hungertreiber. Laut Weltbank bedeutet jedes Prozent mehr, das für Lebensmittel ausgegeben werden muss, die Verarmung von zehn Millionen Menschen zusätzlich.
Sie haben in dieser Woche im Bundestag gesagt, dass ein Euro für die Entwicklungszusammenarbeit vier Euro einspart, die man sonst für die Folgen von Konflikten, Hunger und Krankheiten aufbringen müsste. Warum gibt es dann kein Sondervermögen für Ihr Ministerium?
Sondervermögen müssen die Ausnahme bleiben. Ich will, dass das nötige Geld im regulären Haushalt des Ministeriums verankert ist. Bei der Entwicklungszusammenarbeit geht es nicht um auf ein paar Jahre gestreckte Ausgaben, sondern um Kontinuität und Verlässlichkeit.
Das klingt gut, aber gerade sollte Ihr Etat um eineinhalb Milliarden Euro gekürzt werden.
Das wurde ja verhindert, durch die Ergänzungsvorlage der Regierung und durch das Parlament. Uns stehen insgesamt 13,35 Milliarden für 2022 zur Verfügung. Das ist so viel, wie wir im Corona-Jahr zuvor ausgegeben haben.
Ab dem kommenden Jahr soll es fast drei Milliarden weniger geben.
Deswegen sind wir wieder in harten Haushaltsverhandlungen. Aber ja, die Planung macht mir Sorgen. Denn unsere Aufgaben wachsen.