Ehefrau Anita Müller mit ihren Anwälten Foto: dpa/Stefan Puchner

Am Ulmer Landgericht streiten drei Adoptivkinder des Unternehmerehepaars Müller um angeblich versprochene Millionen. Wie stehen die Chancen der Kläger?

Da sitzen sie auf der Klägerbank, zwei schon grauhaarig gewordene Brüder und eine Frau, jagdlich gekleidet in lodengrüne Westen und Janker. Sie stammen aus einer Gemeinde im bayerischen Allgäu. Und sie sind seit 2015 Adoptivkinder des Drogerieunternehmers Erwin Müller und seiner Ehefrau Anita Müller. Der vermögende Firmenlenker lässt sich am Ulmer Landgericht an diesem Montag entschuldigen. Doch die Adoptivmutter ist da, weißer Blazer, schwarze Hose, tadelloser Chic. Die Familienmitglieder würdigen sich keines Blickes.

Es muss ganz anders gewesen sein zwischen den Jagdfreunden, damals im August 2015. Das berichtet der Kläger A., der am nächsten dran gewesen sein will an Erwin Müller. Immer wieder sei man zusammen jagen gewesen, habe sich später den Platz in der Privatmaschine des Unternehmers geteilt, um beispielsweise vom Flugplatz Memmingen aus in ungarische Jagdgründe zu starten. Im Spätsommer vor neun Jahren habe der väterliche Freund plötzlich aus Ulm angerufen und um ein Treffen auf einer bayerischen Hütte gebeten. Dann sei die Bitte geäußert worden, das Trio aus dem Allgäu möge sich doch adoptieren lassen. Müllers Versprechen, so der Kläger vor Gericht: „Es soll euch nirgends mehr an irgendetwas fehlen.“ Da habe viel „Herzgefühl“ mitgeschwungen.

Viele Versprechungen und eine Verzichtserklärung

Einen Haken gab es bei all der „Euphorie“, die der mögliche Adoptivvater versprüht haben soll. Die neuen Kinder sollten vor der Adoption ein Papier unterschreiben, in dem sie den Verzicht auf ihr Pflichterbe erklärten, „zum Schutz der Firma“, so am Montag die Erzählung vor Gericht. Wenig später wurde dieser Vertrag auf einem Computer gespeichert – spät in der Nacht, wie der Kläger schildert. Bis die Adoption gerichtlich anerkannt wurde, verging rund ein Jahr. In der Zwischenzeit soll Erwin Müller mit Schenkungsankündigungen nicht gegeizt haben. Ein Schießzentrum im Allgäu habe er seinen spät angenommenen Kindern bauen wollen. Ein Gasthaus hätten sie kaufen, dazu in der Nähe „zwei, drei Chalets“ bauen sollen.

Rasch kaufte A. einen Berggasthof auf Pump und tatsächlich flossen als Kredithilfe 400 000 Euro als Schenkung aus dem Müller-Imperium. Aber soll das am Ende alles gewesen sein? „Das Schlimme ist ja“, sagt der Adoptivsohn A., „dass bis heute alle diese Versprechen von der Familie abgestritten werden.“ Später habe man realisiert, dass man Mittel zum Zweck gewesen sei, dass der Unternehmer sich damals in finanziellen Schwierigkeiten befunden habe, dass es bei der Adoptionsgeschichte in Wahrheit darum ging, die Erbansprüche des einzigen leiblichen Sohns Erwin Müllers zu begrenzen. „Der Sohn hat Forderungen gestellt“, so der Kläger. Der Anwalt der Adoptivkinder, Maximilian Ott, fragt: „Fühlen Sie sich ausgenutzt?“. Die Antwort lautet: „Massiv.“ Darum jetzt auch die Klage auf „Feststellung der Unwirksamkeit eines Pflichtteilsverzichtvertrags“.

„Forbes“ listet ein Vermögen von rund zwei Milliarden Euro

Die Ulmer Richterin Johanna Warmuth hat für diese vorgetragene Welt aus lodernden Emotionen nicht so viel Aufmerksamkeit übrig, sie mag es sachlicher und interessiert sich für die Umstände der Unterzeichnung der Verzichtserklärung. Frage an A.: „War Ihnen klar, was der Begriff Pflichtteilverzicht bedeutet?“ Antwort: „Nein.“ Frage: „Was dachten Sie denn, was Sie unterschreiben?“ Antwort: „Dass ich einen gewissen Verzicht übe. Aber dass alles andere, was zwischen Eltern und Kindern stattfindet, unangetastet bleibt.“ Frage: „Was meinen Sie damit?“ Antwort: „Dass wir für Erwin und Anita Müller mal im Alter sorgen werden. Dass wir ihn mal pflegen bis zum Tode.“ Erwin Müller ist inzwischen 91 Jahre alt.

Der letzte bekannte Jahresumsatz der Drogeriekette mit ihren 35 000 Mitarbeitern und 900 Filialen in ganz Europa kletterte auf gut fünf Milliarden Euro. In der „Forbes“-Liste wird Erwin Müller mit einem Vermögen von gut zwei Milliarden Euro geführt.

Ehefrau spricht von „Herzensangelegenheit“

Anita Müller spricht von allen Beteiligten zuletzt an diesem Montag. Die Beziehung zu den drei Allgäuer Wahlkindern sei „eine Herzensangelegenheit“ gewesen, bestätigt sie auf Richterfrage. Ihr Mann Erwin habe damals längst Probleme mit dem leiblichen Sohn gehabt. Der Pflichtteilsverzicht im Zug der Adoption sei als Bedingung immer offen gehandelt worden. „Ich habe selber mit meinem Mann auch einen Pflichtteilsverzicht. Wer meinen Mann kennt, weiß, dass er so was immer macht.“

Und die versprochenen und dann vorenthaltenen Schenkungen? Die Adoptivkinder sollten je 400 000 Euro alle zehn Jahre erhalten, gemäß der steuerwirksamen Frist für Schenkungen, sagt Anita Müller. Weitere Schenkungsversprechen seien nicht gemacht worden. Der Berggasthof und die Chalets, die hätte ihr Mann womöglich gekauft, aber dann habe die zuständige Gemeinde keine Genehmigung für Neubauten erteilt.

Gericht sieht „wenig Aussicht auf Erfolg“ der Klage

Kurze Beratungspause, dann trägt Richterin Warmuth ihre vorläufige Einschätzung zur Sache vor. „Wir meinen, dass die Klage nur sehr wenig Aussicht auf Erfolg hat“, fasst sie zusammen. Weder könne sie eine Sittenwidrigkeit bei Abschluss des Verzichtsvertrags erkennen, noch einen irgendwie ausgeübten Druck. Noch einmal bekommen die Parteien Gelegenheit zum Nachdenken. Sollte es keine Einigung geben, soll am 29. Juli das Urteil fallen.