Bewohner des Pflegeheims und der Verein Seebrücke setzen sich für den Altenpflegehelfer ein. Foto: Erich Schneider

Ein examinierter Altenpflegehelfer wird von seinem Arbeitsplatz geholt und soll nach Gambia abgeschoben werden. Gleichzeitig wirbt die Politik im Ausland für Arbeitsstellen in Pflegeberufen. Macht das Sinn?

Seit Tagen herrscht Unruhe im Pflegeheim am Mühlbach. Die Polizei hatte am letzten Tag im November den Gambier Sedia Kijera mitten in seiner Frühschicht überrascht, um ihn in sein westafrikanisches Heimatland abzuschieben. Noch am selben Tag wurde der 28-Jährige in Frankfurt in ein Flugzeug gesetzt.

Die Aufregung in dem Kirchheimer Pflegeheim sei groß. Alle Versuche, die Abschiebung zu stoppen, seien gescheitert, berichtet der Rechtsanwalt Stefan Weidner. Er vertritt Sedia Kijera. Gleichwohl scheiterte die Abschiebung vorerst. Der junge Gambier verdankt dem Piloten, dass er noch nicht in seinem Heimatland ist. „Der Pilot hat sich geweigert, Herrn Kijera mitzunehmen“, sagt Weidner. Seitdem sei der Gambier in Abschiebegewahrsam in Pforzheim. Der nächste Abschiebetermin sei Ende Januar. Dann mit einem gecharterten Flugzeug.

Kritik: Abschiebezahlen sollen erhöht werden

Sedia Kijera hat seine Ausbildung zum examinierten Altenpflegehelfer im Pflegeheim am Mühlbach absolviert. Seitdem lebte und arbeitete er dort in Vollzeit. Kijera übte einen Beruf aus, in dem es deutschlandweit massiven Fachkräftemangel gibt. Warum jemand abgeschoben wird, der einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leistet, erschließt sich deshalb erst einmal nicht.

Migranten, die in Ausbildung sind, sagt Weidner, „legen ihre komplette Identität offen. Man weiß, wo sie sich aufhalten“. Es sei deutlich leichter, diese Menschen abzuschieben, als diejenigen, über die man keine Informationen hat. Hinzu komme, dass Gambia ein Land ist, das von Deutschland finanzielle Zuwendungen und Entwicklungshilfen zugesichert bekommen habe. Deshalb nehme das Land am Atlantik ihre Leute einfacher zurück als andere Länder.

Weidner kritisiert das Land: „Man möchte so die Abschiebezahlen erhöhen. Man sagt, man hat dann mehr Plätze in den Unterkünften. Aber das ist Augenwischerei.“ Denn Kijera habe nicht in einer Unterkunft gelebt, sondern im Pflegeheim. „Man schiebt jemand aus einem Mangelberuf ab, der Steuern und Sozialabgaben zahlt, und gleichzeitig fliegt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nach Brasilien, um für den Pflegeberuf in Deutschland zu werben. Das macht in meinen Augen keinen Sinn“, sagt Weidner. Rechtlich habe der Rechtsanwalt alle Möglichkeiten, dem jungen Mann zu helfen, ausgeschöpft. Man könne nun nur noch auf politischer Ebene etwas erreichen.

Drogenhandel wird zum Verhängnis

Unterdessen hat sich herausgestellt, dass dem Gambier ein Delikt aus seiner Vergangenheit zum Verhängnis werden kann. Der Altenpflegehelfer sei 2020 wegen des Handels mit Betäubungsmitteln im Jahr 2017 zur Bewährung verurteilt worden. Mit diesem Tatbestand eine Abschiebung zu begründen, ist für Götz Schwarzkopf, Sprecher der Ortsgruppe Seebrücke Kirchheim, trotzdem nicht nachvollziehbar. „Wenn man alle aus dem Rennen nehmen würde, die sich mal haben etwas zu Schulden kommen lassen, würde es dunkel aussehen. Auch in der Politik.“ Zudem habe Sedia Kijera sich anfangs aufgrund der Sprachbarriere nicht bei den Behörden gemeldet. Auch das sei ein Grund für die Abschiebung.

Götz Schwarzkopf will die behördliche Entscheidung dennoch nicht hinnehmen: Alles, was nach dem schwierigen Start Kijeras in Deutschland passiert sei, „wird einfach vom Tisch gefegt“. Der 28-Jährige habe sich bestens integriert, die Sprache gelernt, in seiner neuen Heimat eine Ausbildung gemacht. „Das ist ein Mensch, der pflegt unsere alten Menschen im Altenheim. Wenn man sich fragt, was er für unsere Gesellschaft bringt, gibt es nur positive Aspekte. Diesen Job möchte in Deutschland kaum noch jemand machen“, sagt Schwarzkopf.

Petition und Unterschriftensammlung

Als er von diesem Fall erfahren habe, war für Schwarzkopf klar, dass er sich für Kijera einsetzt. Für ihn sei wichtig zu fragen, „wie Menschen, die die Sprache lernen, einen Beruf haben und sich integrieren, hier eine Heimat finden können?“ Mit dem ​Bündnis Sicherer Hafen Kirchheim am Neckar hat Schwarzkopf deshalb eine Online-Petition beim Petitionsausschuss Baden-Württemberg eingereicht. Der Ausschuss will am 14. Dezember tagen. Bei einem positiven Entscheid, werde der Fall nochmals im Landtag besprochen. Überdies seien bei der Online-Plattform Chance.org mehr als 2000 Unterschriften zugunsten von Sedia Kijera zusammengekommen. „Diese starke Zahl zeigt, dass es viele Menschen gibt, die ein anderes Gerechtigkeitsgefühl haben und das nicht akzeptieren wollen“, sagt Schwarzkopf.

Pflegeheim muss Lücken füllen

An seinem Arbeitsplatz hinterlasse Kijera eine große Lücke. „Das Pflegeheim hat Schwierigkeiten, die Arbeitspläne zu füllen“, sagt Schwarzkopf, eine Vollzeitkraft falle aus. Da werde die Zeit für persönliche Ansprache knapp. Der Gambier habe besonders zu Menschen, die an Demenz leiden, einen Zugang gehabt. „Er ist ein sehr empathischer Typ. Da fehlt jetzt jemand nicht nur in seiner Funktion“, sagt Schwarzkopf. „Es gibt Bewohner, die wirklich weinen und trauern.“

Als der Petitionsausschuss kürzlich aus anderem Grund die Stadt Kirchheim besuchte, machte die Gruppe auf den Fall aufmerksam. „Es gab eine kleine, spontane Zusammenkunft am Rathaus. Auch Bewohner des Altenheims waren mit selbst gebastelten Pappschildern vor Ort“, sagt Schwarzkopf.

Hilfe für Sedia Kijera

Infostand
Die Ortsgruppe Seebrücke Kirchheim am Neckar organisiert am Samstag, 9. Dezember, einen Infostand aus Anlass der Abschiebung von Sedia Kijera. Von 10 bis 12 Uhr können sich Interessierte an der alten Kelter in Kirchheim am Neckar zu dem Fall informieren. Es werden Bewohner des Pflegeheims am Mühlbach und Unterstützer von Ort sein. Der Verein rechnet auch mit dem Besuch von Landtagsabgeordneten.

Personalmangel in der Pflege
Laut Berechnungen der Uni Bremen und Prognosen des Instituts der deutschen Wirtschaft fehlen in Deutschland allein in der Altenpflege über 156 Tausend Fachkräfte, um eine angemessene Betreuung gewährleisten zu können.