Im Rathaus sitzt der OB, und hier tagt auch der Gemeinderat Foto: Simon Granville

Der Leonberger Oberbürgermeister hat ein Buch geschrieben. In „Vetternwirtschaft“ schildert er Eindrücke aus dem heimischen Ratsbetrieb, in dem er glaubt, Klüngelei, Neid, Missgunst und selbst Narzissmus zu erkennen.

Was haben Franz Josef Strauß und allerlei Mitglieder des Leonberger Gemeinderats gemeinsam? Sie beherrschen die Kunst der Vetternwirtschaft besonders gut. So sieht es zumindest Martin Georg Cohn. Der Leonberger Oberbürgermeister hat ein Buch mit ebenjenem Titel geschrieben. Darin schildert er seine Eindrücke, wie in jener Stadt, in der er seit Ende 2017 Verwaltungschef ist, Kommunalpolitik umgesetzt wird.

Für den „Neigeschmeckten“, wie er sich selbst bezeichnet, sind viele Dinge fremd. Als der gebürtige Sauerländer, der in Goslar am Rande des Harz aufgewachsen ist, vor 18 Jahren der Liebe wegen nach Baden-Württemberg gekommen war, so war das für ihn, wie er schreibt, „mit einem kleinen Kulturschock verbunden“. Der fing in den Amtsstuben an.

Der „Nasenfaktor“

„In Niedersachsen hatte das amtliche Prozedere viel Stringenz, die Atmosphäre war sachlich und eher nicht von persönlichen Zu- und Abneigungen geprägt“, fasst Cohn seine Berufserfahrungen im Norden zusammen. „Im Ländle spielte ein Phänomen eine sehr viel größere Rolle, das ich bei mir selbst den Nasenfaktor nenne: Persönliche Sympathien und Antipathien, gegenseitige Wertschätzung oder Ablehnung geben im Verwaltungshandeln oft den Ausschlag bei Verfahrensweisen.“

Und noch eine Beobachtung machte er im Südwesten: Bekanntschaften knüpft man am besten in Vereinen. „In Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen ist man nicht zwingend auf Vereine angewiesen, um ein soziales Leben zu führen. Man kann neue Bekanntschaften einfach am Samstagmittag im Café oder in der Markthalle machen.“

Wer schwänzt die Kehrwoche?

Hierzulande sei dies nur schwer möglich: „Denn – Hand aufs Herz, liebe Schwaben – welcher Schwabe verbringt seinen Samstagmittag bitte sehr im Café oder in der Markthalle? Wer schwänzt die Kehrwoche oder gibt zu – was noch schlimmer wäre –, am Ende zu Hause nichts mehr zu schaffen zu haben?“, fragt Cohn im Buch.

Trotzdem attestiert der schreibende Oberbürgermeister dem Schwaben, „kein ungeselliger Mensch zu sein“. Und nähert sich damit seinem Kernthema an, der Vetternwirtschaft, die, wie Cohn schreibt, „beständig an ihm nagt“. Die würde auch in Leonberg praktiziert. Unternehmer, die im Gemeinderat säßen, erhofften sich Vorteile bei Auftragsvergaben oder seien zumindest über Bauvorhaben früher als mögliche Mitbewerber informiert.

Noch mehr ärgern ihn die sogenannten Stammtische. An denen, so schreibt er, würden „auch im Jahr 2022 – so sagt man hinter vorgehaltener Hand – die Dinge eigentlich entschieden“, kämen doch hier aktive und ehemalige Ratsmitglieder, städtische Angestellte oder Journalisten zusammen. Cohn meint, den „Geist dieser Treffen“ besonders gut einschätzen zu können: „Zum einen war ich einmal selbst dabei, weil man mich eingeladen hatte. Zum anderen erhalte ich immer wieder interessante Berichte darüber. Ich weiß deshalb, dass man dort gemeinsam trinkt und sich zu späterer Stunde gerne eigentlich gar nicht öffentlichen Sachverhalten nebst Insiderwissen aus der Verwaltung zuwendet.“

Das mag der sozialdemokratische Oberbürgermeister nicht so gern, seien doch die Stammtische, wie er es ausdrückt, „Zentralen für Vetternwirtschaft und Mauschelei“. Er selbst, so versichert Cohn, gehöre keiner solcher Runden an. Ihm seien Menschen wichtig, die sich zwar „gut auskennen“, denen aber „an Harmonie in der Stadtgesellschaft gelegen ist“. Im Gegensatz dazu führt der Autor die „Wortführer der Unzufriedenheit“ an. Die hätten wie „der größte Teil der Leonberger Bevölkerung keinen echten Grund zur Unzufriedenheit“. Gerade jene Kritiker seien „in ihrem Leben durchweg erfolgreich, einige haben sogar einen Sitz im Gemeinderat ergattert“. Trotzdem würden einige ihn, Cohn, für den „falschen Mann auf dem Stuhl des Oberbürgermeisters“ halten: „Wenn ich über Wasser gehen könnte, würden sicher einige sagen: Guck mal, der kann nicht einmal schwimmen.“

„OB-Kritik ist kein Programm“

Zu diesen Menschen zählt Martin Georg Cohn offenkundig den CDU-Stadtverbandschef Oliver Zander, der einen Neujahrsempfangs viermal dazu genutzt habe, „den Oberbürgermeister schlecht zu machen und dessen vermeintliches Versagen in den buntesten Farben auszumalen“. Dafür hat er kein Verständnis: „Gegen einen Oberbürgermeister zu sein, ist kein politisches Programm.“

Mit eine Ursache für solcherlei Kritik sieht Cohn in der „schwäbischen Mentalität“ und zitiert den bekannten Spruch „Nicht geschimpft, ist genug gelobt“. Aber auch Missgunst spiele eine Rolle: „Dass der Oppositionsführer so verbissen an meinen Waden hängt, hat wohl irgendwie nicht zuletzt mit einer Art Neid zu tun, schließlich wollte man doch selbst einmal hoch hinaus.“ Selbst „narzisstische Verhaltensweisen“ glaubt Cohn im Gemeinderat ausgemacht zu haben.

„Keine Leichen im Keller“

Alles Eigenschaften, die er an sich nicht erkennt: „Ich bin geradeheraus, gebe mir allergrößte Mühe, immer sachlich zu argumentieren, bewältige meine Aufgaben mit Engagement und Kenntnis, lasse mich nicht korrumpieren und habe keine Leichen im Keller.“ Im Gegensatz dazu seien für „das Gift für das Klima einer Stadt“ keine „wirklich existierenden und tiefschürfenden Probleme ursächlich, sondern wenige Wortführer“.

Das Buch ist im Leonberger Molino-Verlag erschienen, ISBN 978-3-948696-39-9, und über Amazon für 22 Euro zu beziehen.