Es ist Tradition: In der Opernpause beim englischen Glyndebourne-Festival lässt man sich zum Picknick auf dem Rasen nieder. Foto: AFP/Alain Jocard

Ein Picknick ist sehr viel mehr als nur eine Mahlzeit im Grünen. Wie formvollendet das auch heute noch sein kann, lässt sich vor allem in England bewundern.

Die Engländer sind auf der ganzen Welt dafür bekannt sind, dass sie immer und überall picknicken: beim Kricket, beim Pferderennen, in der Opernpause beim Glyndebourne-Festival. Mehr als ein paar wärmende Sonnenstrahlen, eine Decke und reichlich gute Laune brauchen sie dazu nicht. Außer Sandwiches, Erdbeeren, ein bisschen Lachs, ordentlich Schampus – und vielleicht ein paar Ameisen.

Doch es könnte gut sein, dass das Picknick gar keine englische Erfindung ist. Das zumindest meinen einige Historiker. Sie verweisen auf einen Eintrag in der Sprachabhandlung „Les Origines de la Langue Francoise“ von 1650. Demzufolge käme zumindest das Wort vom französischen „pique nique“, was so viel bedeutet wie eine Kleinigkeit aufpicken.

Wurzeln in den aristokratischen Jagdgesellschaften

Ein Picknick vereint den Müßiggang mit anregenden Gesprächen und stilvollem Genuss. Historiker gehen davon aus, dass seine Wurzeln in den aristokratischen Jagdgesellschaften zu suchen sind. Wenn die Hochwohlgeborenen nach der Jagd etwas Entspannung suchten und auch etwas essen und trinken wollten, dann wurde direkt vor Ort mitten im Grünen aufgetischt. Weil das Ganze in Adelskreisen so gut ankam, wurde es zu einer regelrechten Mode, sagen Experten.

Später eiferten dann auch immer mehr reiche Bürgerliche dem Adel nach. „Am Ende des 17. Jahrhunderts setzte eine regelrechte Stadtflucht ein“, meint die Ethnologin Caroline Mame de Beaurepaire . Die Revolution machte dann die königlichen Gärten, Parkanlagen und Wälder auch den ganz normalen Leuten zugänglich. Im Zuge der Industrialisierung konnten sich bald immer mehr Menschen in Europa die kleine Flucht ins Grüne leisten. Das war auch bitter nötig, denn die Städte erstickten damals in Smog, Gestank und Dreck. Kein Wunder also, dass die Mahlzeit im Park ausgerechnet in England, der Wiege der Industrialisierung, besonders beliebter wurden.

Picknick neben den Schlachtfeldern

„Picknicks kamen zur Regierungszeit Königin Victorias ganz groß in Mode“, sagt die australische Kulturhistorikerin Diana Noyce. Die Queen ging selbst mit gutem Beispiel voran und dinierte auf dem Rasen wann immer und wo immer es nur ging. Die High Society zog nach und speiste bei gesellschaftlichen Ereignissen wie etwa dem Derby von Epsom, der Regatta von Henley oder auch beim Kricket in Harrow und Eton unter freiem Himmel.

Bald fanden sich die Outdoor-Gesellschaften auch geschmackloserweise in den großen Kriegsschauplätzen der Zeit ein. Die Napoleonischen Kriege, der Amerikanische Bürgerkrieg, vor allem der Krimkrieg 1853 bis 1856 wurden ausgiebig zum Picknicken genutzt. Ausgerüstet mit Weidenkorb und Fernstecher amüsierte man sich am Rande des Schlachtfeldes mit Gänseleberpastete und Schildkrötensuppe, während in unmittelbarer Sichtweite Freund und Feind ihr Leben ließen.

Revolutionäre Wende durch die Thermoskanne

Um die Jahrhundertwende kündigte sich eine revolutionäre Erfindung an: die Thermoskanne. 1903 ließ sich der deutsche Glasbläser Reinhold Burger die Isolierflasche mitsamt Trinkbecher patentieren, die damals noch mit einem Korkverschluss ausgestattet war. Damit war es möglich, heiße Getränke und Speisen mitzunehmen. Der kleine Kocher, der bis dahin Bestandteil vieler Freiluftpartys, blieb zu Hause.

Immer öfter leistete sich jetzt auch Otto Normalverbraucher sein Picknick, nachdem Eisenbahn, Dampfschiff, später auch Fahrrad und Automobil die Preise für einen Abstecher ins Grüne purzeln ließen.

Bitte nicht über Politik sprechen

Auch heute ist ein Picknick viel mehr als nur eine einfache Mahlzeit im Freien. Schon das Packen des Korbes kann ein Vergnügen sein. Lecker belegte Sandwiches, hart gekochte Eier, Wiener Würstchen mit Dijon-Senf, Käse-Spezialitäten, Antipasti, Dipps, Salate: Ein Schlückchen Champagner ist dann das absolute i-Tüpfelchen, das man sich ruhig einmal gönnen sollte.

Zu einer richtigen Outdoor-Mahlzeit gehört ja nicht nur der stilvolle Genuss, sondern viel mehr: interessante Gespräche vor allem und jede Menge Müßiggang. Diskussionen über Politik oder Alltagsprobleme gehören übrigens nicht dazu. Sie sind am Stammtisch besser aufgehoben. Beim Picknick steht das Vergnügen im Vordergrund.

Wie formvollendet das auch heute noch sein kann, lässt sich übrigens nicht nur in England bei großen gesellschaftlichen Ereignissen beobachten, sondern sehr schön auch – ausgerechnet – beim Viktorianischen Picknick des Wave-Gotik-Treffens, das alljährlich über Pfingsten im Leipziger Clara-Zetkin-Park abgehalten wird. Hier scheint es, als hätte jemand eine Zeitmaschine angeworfen, und man fühlt sich in das viktorianische England des 19. Jahrhunderts zurückversetzt.