Von Ulf Mauder

Stuttgart - Aufatmen bei Diesel-Besitzern und Autohändlern, Sorge bei Stuttgartern um die Luftqualität in ihrer Stadt: Das Land schreibt die für 2018 angeordneten Fahrverbote für schmutzige Diesel zunächst in den Wind. Stattdessen verweist Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) an den Bund. Das Kraftfahrtbundesamt sei zuständig dafür, nun schleunigst die Nachrüstungen für Dieselautos durchzusetzen. Das und kein Fahrverbot sei der bevorzugte Kurs, wie die Landesregierung nach langem Hin und Her nun deutlich machte.

Damit gab der baden-württembergische Regierungschef die Verantwortung an Berlin ab. Der 69-Jährige rühmte sich gestern aber auch damit, eine Initiative angestoßen zu haben, die aus seiner Sicht in ganz Deutschland zu einer besseren Luft in den Städten führen werde. Umweltschützer hingegen sahen das anders. Ihre Reaktionen nach der von einigen so gesehenen politischen Kehrtwende Kretschmanns ließen nicht lange auf sich warten.

„Dieser Beschluss ist kein Plan für bessere Luft, er ist ein frommer Wunsch. Neue Motorsoftware alleine wird nicht reichen, um die Luft in Deutschlands schmutzigster Stadt schnell sauber zu bekommen“, sagte der Verkehrsexperte Benjamin Stephan von der Umweltorganisation Greenpeace. „Die Abgaslügen der Hersteller haben die Luftprobleme in Städten wie Stuttgart zu groß werden lassen, um jetzt noch auf Softwarekosmetik zu setzen.“ Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warf der grün-schwarzen Regierung einen „blinden Glauben an die Automobilindustrie“ vor.

Kretschmann zeige „vorauseilenden Gehorsam“, indem er sich darauf verlasse, dass die Industrie die Nachrüstungen technisch umsetzen könne. „Richtig wäre es, die Zusage der Automobilindustrie auf Übernahme der Kosten für die Nachrüstung abzuwarten und dann zu prüfen, ob diese Nachrüstung die dringend nötigen Erfolge bringt“, sagte BUND-Landeschefin Brigitte Dahlbender.

Die Zusage kam Stunden nach dieser Kritik. Der Stuttgarter Konzern Daimler teilte gestern Abend mit, der Vorstand habe einen „Zukunftsplan“ Diesel-Antrieb beschlossen. Ziel sei es, die Stickoxidbelastung in den europäischen Städten zu senken. Die Umrüstung von Autos mit den Abgasnormen EU5 und EU6 soll demnach kostenlos sein für Kunden. Die Investition dafür: 220 Millionen Euro.

„Druck nicht verringern“

Doch auch aus der eigenen Partei, in der der Ministerpräsident bisweilen wegen seines freundlichen Kurses gegenüber den Autokonzernen in der Kritik steht, kam prompt Gegenwind. „Die vorläufige Absage an Fahrverbote darf nicht dazu führen, den Druck auf die Automobilkonzerne zu verringern, Euronorm 5-Dieselfahrzeuge auf eigene Kosten nachzurüsten“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel. So dürfte das auch Kretschmanns Kabinetts- und Parteikollege Winfried Hermann sehen. Der Verkehrsminister hatte mit seinem Vorgehen einigen Druck aufgebaut auf die Industrie, den mancher nun schwinden sieht.

Die politischen Gegner im Land feierten jedenfalls das Ende des Schlingerkurses der Regierung. Verkehrsminister Hermann habe einsehen müssen, dass die Verbote weder rechtssicher noch praktikabel seien - er sei auf seiner „Geisterfahrt“ gestoppt, ätzte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. Oppositionskollege Hans-Ulrich Rülke (FDP) nahm sich auch noch Kretschmann vor, der mit seiner Politik die Bürger verunsichert habe. Er sei nun zur Einsicht gekommen, dass „Verbote nichts bewirken und sinnlos sind“. Und auch der Autohandel frohlockte. Händler hatten zuletzt wegen der Diskussion um Fahrverbote einen Rückgang bei den Dieselverkäufen beklagt.