Alle reden angesichts des Klimawandels und Wohnungsmangels vom einfachem Bauen, doch tatsächlich wird der Häuserbau immer komplexer. Das eigentliche Problem ist: Der Mensch will nicht auf Komfort verzichten.
Bei Geschäftsterminen sollten bestimmte Themen gemieden werden. Wer beim Small Talk angenehm auffallen möchte, der parliert lieber übers Wetter oder den Urlaub; appetithemmende Impulsvorträge zu Religion und Politik bergen Eskalationspotenzial, Ähnliches gilt für Auskünfte zum letzten Besuch beim Proktologen, steht im Knigge. Es kommt auch auf die Gesprächspartner an. Ein Zitat von Adolf Loos etwa kann im Kreis von ambitionierten Architektinnen und Architekten kollektive Schnappatmung auslösen.
Glatte Oberflächen? Igitt!
Dabei war der Wiener Architekt Adolf Loos ein Vordenker der modernen Architektur. Seine Bauten sind heute Pilgerstätten für architekturaffine Touristen, am berühmtesten ist das Wohnhaus am Michaelerplatz im ersten Wiener Bezirk, das 1911 fertiggestellt wurde und wegen der „unanständigen Nacktheit“ der Fassade seinerzeit zum Politikum wurde. Angeblich hat Kaiser Franz Joseph zeitlebens vermieden, das Schlosstor zum Michaelerplatz zu benutzen, um Loos’ „scheußliches Haus“ nicht sehen zu müssen. Glatte Oberflächen? Einfach schiach!
Doch Loos war nicht nur ein begnadeter Baumeister, er schrieb auch wunderbar pointiert. Er plädierte für das Schlichte in der Architektur, predigte das einfache Bauen. Loos’ Leidenschaft galt der Qualität. Für Loos sollten edle Materialien, vor allem Natursteine und teure Hölzer möglichst präzise und schnörkellos verbaut werden, und zwar so, dass der Wert der Baustoffe und handwerklichen Leistung deutlich sichtbar bleibt.
Baumeister der Bequemlichkeit
In seinem Hauptwerk „Ornament und Verbrechen“ von 1908, einem der meistzitierten Essays zur Architektur überhaupt, forderte Loos beim Bauen den Verzicht von Überflüssigem. Andererseits provoziert er noch heute mit einer Aussage, die genau diesen reklamierten Minimalismus ad absurdum führt: „Das Haus hat allen zu gefallen. Im Unterschied zum Kunstwerk, das niemandem zu gefallen hat. Das Kunstwerk will die Menschen aus ihrer Bequemlichkeit reißen. Das Haus hat der Bequemlichkeit zu dienen. Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.“
Dumm nur, dass wir uns konservative Häuser für bequeme Bewohner längst nicht mehr leisten können. Spürbar wird das jetzt schon durch die aktuelle Energiekrise und den Mangel an bezahlbarem Wohnraum, die gepaart mit den steigenden Baukosten nachhaltigen, sparsamen Bauweisen eine neue Dringlichkeit verschaffen.
Die Politik fordert und fördert dementsprechend Projekte, die auf den ersten Blick ökologisch erscheinen. Um Kosten zu sparen, werden zunehmend ältere Häuser gedämmt, ihre Fenster ausgetauscht, die Heizungen modernisiert. Neubauten werden unter anderem mit Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen und Lüftungen mit Wärmerückgewinnung ausgestattet, damit sie als Energieeffizienzhäuser zertifiziert und mit Krediten gefördert werden.
Umzug ins Tiny House
Um die grassierende Flächenversiegelung aufzuhalten, geht der Trend in Ballungsräumen zur Nachverdichtung, zum Bauen im Bestand. Beton, Stahl, Zement gelten als Klimakiller, als zukunftsfähige Alternativen bei den Baustoffen böten sich Schadholz, Lehm und Stroh an, erklären Experten. Das Coolste fürs aufgeheizte Klima und die eigene Reputation als ökologisch korrekter Bürger ist es, wenn man aus einem frei stehenden Einfamilienhaus ins Tiny House zieht, in ein Holzhaus mit höchstens 50 Quadratmeter Grundfläche.
Das alles klingt zunächst einmal überaus vernünftig und progressiv. Die Frage, wie man gleichzeitig einfacher und umweltbewusster bauen und wohnen kann, stellen sich mittlerweile ausnahmslos alle, gleichgültig, ob sie Mieter, Vermieter, Eigentümer, digitale Nomaden, Energieberater, Handwerker, Investoren, Baugenossenschaften oder ein aufstrebendes Architektenstudio sind.
Bloß, wie geht das wirklich: einfacher bauen? Die Antwort ist simpel wie radikal. Sie lautet: Verzicht. Doch anders als bei der Polemik wider das Ornament von Adolf Loos geht es längst nicht nur ums Weglassen von Karyatiden an Hausfassaden und Ziergiebeln über Eingangstüren. Sondern um die Abkehr von der Vorstellung, dass – wie es Adolf Loos ausgedrückt hat – das Haus der Bequemlichkeit zu dienen hätte.
Weniger ist weniger
Die Wohnung als Komfortzone ist möglicherweise ein bürgerliches Auslaufmodell. „After Comfort“ lautet der Titel eines bemerkenswerten Essays des Architekturprofessors Daniel A. Barber aus dem Jahr 2019, der zurzeit an der Technischen Universität von Sydney lehrt und forscht und dessen radikale Thesen in Debatten zur Architektur von morgen umhergeistern.
Barber leuchtet die Folgen für unsere Bau- und Wohnkultur nach dem prognostizierten Niedergang der fossilen Energieträger aus. Dieser Zeitpunkt werde der Anfang vom Ende unseres Komfortstrebens in der westlichen Welt sein, schreibt Barber. Und das könnte extrem ungemütlich werden, ein regelrechter Kulturschock, denn wer sich einmal an den Komfort einer Heizung oder Klimaanlage gewöhnt hat, der wird sich nur schwerlich von diesem Luxus verabschieden können.
In der Sehnsucht nach einem wohltemperierten Zuhause drücke sich das Bedürfnis des modernen Menschen im globalen Norden nach Kontrolle aus: Er geriert sich als Herr über die Natur, das Wetter, die Jahreszeiten. Mit einem intelligenten, selbst gesteuerten Raumthermostat triumphiert das Individuum über die Unvorhersehbarkeiten in der realen, lebensfeindlichen Welt.
Komfort bedeutet: Sicherheit und Status. Nur wer sich Komfort mit der entsprechenden Architektur und Technik leisten kann, hat es geschafft, gehört zur Extraschicht jener Bessermenschen mit reinem Gewissen, die geschützt und damit aktiver, produktiver und gesünder arbeiten und leben dürfen.
Zerstörerische Sehnsucht nach Komfort
Doch Komfort ist ein knappes Gut, das allmählich verschwindet, warnt Barber, denn „Komfort zerstört die Zukunft“. Architektur und Klima sind auf vielfältige und enge Weise miteinander verbunden. Rechnet man die CO2-Emissionen aus der Herstellung all des verbauten Baumaterials zusammen, macht allein der Gebäudesektor mehr als ein Drittel des weltweiten CO2-Ausstoßes aus. Das bedeutet allerdings auch, dass Architektur bei der Anpassung an den Klimawandel helfen oder sie behindern kann.
Dieser nötige Verlust von Komfort werde alle treffen, meint Daniel Barber. Und Architekten sollten deshalb völlig anders entwerfen und bauen. Einfach bauen bedeutet unter Umständen: besser gar nicht mehr bauen. Oder so bauen, dass möglichst wenig Flächen und Ressourcen vergeudet werden. Kurzum: Weniger ist nicht mehr. Weniger ist weniger.
Das klingt abstrakter, als es in Wirklichkeit ist. Noch immer dominiert die Ansicht, man könne mit technischen Lösungen alle Umweltprobleme in den Griff bekommen, doch in Wahrheit verkompliziert eine ausgeklügelte Technik das Leben. Die Software ist oft störanfällig und selten kostengünstig, während die Geräte zur Installation das Spezialistenwissen von hoch qualifizierten Fachleuten benötigt, die es kaum gibt.
Ja, neue dreifachverglaste Fenster mit ausgeklügelten Rahmenkonstruktionen isolieren wesentlich besser. Nur leider währt das nicht lange, denn das Edelgas zwischen den Glasscheiben hat sich im Schnitt nach 25 Jahren verflüchtigt, was sich dann beim schlechteren Schall- und Kälteschutz bemerkbar macht. Außerdem erfordert die Herstellung von Glas eine große Menge an Energie.
Apropos: Es stimmt, dass schlecht gedämmte Häuser viel mehr Energie verbrauchen. Aber nur, wenn man die Energiebilanz in Betracht zieht, die es im Haus zur Kühlung und Heizung benötigt. Berücksichtigt man zusätzlich die Graue Energie, welche für die Technik, die erdölhaltigen Dämmplatten und den Klebemörtel verbraucht wurden, sieht die Rechnung nicht mehr vorteilhaft aus.
Überholte Grundrisse
Und dann könnte man auch mal kritisch bei den Architekten und Bauträgern nachhaken, warum die Grundrisse der meisten Neubauwohnungen noch immer den Bedarf einer typischen Familie der 1950er Jahre abdecken, obwohl heute die Mehrheit der Bewohner Singles oder Paare sind? Nutzungsneutrale und damit klügere Raumaufteilungen wären besser und ökonomischer für Wohngemeinschaften.
Wer braucht noch ein großes Wohnzimmer und ein kleineres Kinderzimmer, wie sinnvoll ist ein Schlafzimmer, das tagsüber unbewohnt ist? Und warum steigt seit Jahrzehnten in diesem Land die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf? Warum benötigt der Deutsche zu seinem Wohnglück im Schnitt 46 Quadratmeter, während der Portugiese mit weniger als 30 Quadratmetern klarkommt? Unklar.
Bei all den Widersprüchen verspricht nur noch das Tiny House mit seiner geringen Grundfläche Rettung vor dem architektonischen Klimakollaps. Wäre da nicht Florian Nagler, Architekt und Professor an der Technischen Universität München. Nagler vergleicht die Hüllflächen eines Tiny Houses mit 18 Quadratmeter Wohnfläche mit den Außenflächen einer 72 Quadratmeter großen Stadtwohnung im Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses.
Das Ergebnis ist ernüchternd. Die Hüllfläche – also Dach und Außenwände – des Minihauses ist doppelt so groß, womit sich auch der Bau verteuert, denn Außenwände und Dachflächen müssen gedämmt werden. Ökologischer und billiger ist es also, Wände mit den Nachbarn zu teilen, selbst wenn sie Party machen.
Gestampfter Lehm
Florian Nagler und sein Forschungsteam haben ihre Berechnungen zu den optimalen Hüllflächen, Fenstergrößen und Lüftungen nicht nur auf dem Papier festgehalten, sondern in die Tat umgesetzt. Drei mehrgeschossige Häuser mit je acht Wohnungen sind in Varianten mit Massivholz, Dämmbeton und Ziegel errichtet worden, gefördert vom Bundesbauministerium. Gestampfter Lehm kam zum Einsatz, auf Dämmung wurde verzichtet. Zu besichtigen sind diese Ikonen des einfachen Bauens auf einem ehemaligen Kasernengelände in Bad Aibling.
Als ehrgeiziges Ziel hatte man sich gesetzt, die konstruktive Komplexität der Häuser so weit wie möglich zu reduzieren, Kosten für Ressourcen zu sparen. Eine einfache Heizung und Lüftung wurde installiert. Immer stärker gedämmte, hermetisch geschlossene Häuser, deren Innenräume dann technisch aufwendig belüftet werden müssen, sind für Nagler nach Tausenden von Computersimulationen ein Irrweg. In Bad Aibling wohnen jetzt Menschen in asketisch anmutenden, günstigen Behausungen, die tatsächlich ein gutes Gewissen haben können.
Laut Florian Nagler hat jedes der Versuchshäuser „über eine Lebensdauer von 100 Jahren hinweg eine bessere Graue-Energie-Bilanz als ein konventionell gebautes Haus oder ein Niedrigenergiegebäude“. Bei allen Gebäuden kam übrigens eine 30 Zentimeter starke Decke aus Stahlbeton zum Einsatz, die lediglich mit einem Teppichboden für den Schallschutz belegt wurde. Selbst bei den Wandstärken wurde gespart. Adolf Loos würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.