Internate für Ureinwohner in Kanada: Ein Kommission hat 2015 festgestellt, dass in diesen Schulen zwischen 4000 und 6000 Kinder durch Krankheiten oder Unfälle ums Leben kamen. Foto: AFP/Geoff Robins

Wieder finden in Kanada Ureinwohner Hinweise auf Gräber in der Nähe früherer Internatsschulen. Das Ausmaß ist noch unklar, Häuptling Michael Starr von den Star Blanket Cree sagt: „Heute sind unsere Herzen schwer.“

Kanada wird immer wieder mit der dunklen Geschichte der Residential Schools, der Internate für die Kinder aus Ureinwohnervölker, konfrontiert. Jetzt gaben zwei dieser sogenannten First Nations bekannt, dass Radaruntersuchungen des Geländes rund um frühere Internatsschulen Hinweise auf weitere unmarkierte Kindergräber hätten. Das Ausmaß ist noch unklar.

Das frühere Indianerinternat in Lebret in der Prärieprovinz Saskatchewan liegt auf dem Gebiet der Star Blanket Cree Nation. Häuptling Michael Starr spricht von schmerzhaften Entdeckungen: „Heute sind unsere Herzen schwer.“ Am Montag teilte Chief Chris Skead von der Wauzhusk Onigum Nation in Kenora in Ontario mit, auch seine Gemeinde sei auf „plausible Hinweise“ gestoßen, dass es auf dem Friedhof neben einigen bereits bekannten Gräbern weitere Grabstellen gebe.

4000 bis 6000 Kinder sind in den Internaten umgekommen

Residential Schools waren Internatsschulen für die Kinder der Ureinwohnervölker – First Nations, Inuit und Métis –, die vom Staat eingerichtet, aber überwiegend von Kirchen geführt wurden. Sie dienten lange Zeit dem Ziel, die Kinder in den von europäischen Einwanderern geprägten Staat einzugliedern. Assimilieren bedeutete aber auch, ihre indigene Identität zu zerstören.

Eine „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ hatte vor acht Jahren in einem Tausende Seiten langen Bericht festgestellt, dass zwischen 4000 und 6000 Kinder durch Krankheiten oder Unfälle in diesen Schulen ums Leben kamen. Für die Rückführung der Toten in ihre Gemeinden fehlte meist das Geld, von vielen Kindern gibt es keine Hinweise, wo sie beerdigt wurden. Aber es gibt die Erzählungen von den „Elders“, den älteren Mitgliedern der Gemeinde, über Kinder, die nicht nach Hause zurückkehrten.

Ein Kieferknochen führt auf die Spur

Nachdem im Frühjahr 2021 bei Kamloops in British Columbia nahe einer Residential School rund 200 mögliche unmarkierte Gräber gefunden worden waren, wurde in zahlreichen anderen First Nations die Suche mit Bodenradar verstärkt. In Lebret fand man so nahe der Oberfläche einen Kieferknochen, der von einem Kind stammt, das zwischen vier und sechs Jahre alt war und etwa um 1898 lebte – wenige Jahre nach Einrichtung dieser Schule.

Die Radaruntersuchungen ergaben zudem rund 2000 Unregelmäßigkeiten im Boden. Dies können menschliche Überreste, Knochen, sein, es können aber auch andere harte Gegenstände wie Steine oder Holz sein. Sheldon Poitras, der Schüler der Lebret-Schule war und die Untersuchungen leitet, betont, die Hinweise bedeuteten nicht, dass dies alles unmarkierte Grabstellen sind.

Ministerium hat Hunderttausende Akten vernichtet

In Kenora, wo 170 „Anomalien“ aufgespürt wurden, sind die Informationen dichter. Auf dem Gelände an der früheren St. Mary’s Indian Residential School gibt es fünf markierte Grabstellen. Dokumente besagen, dass mindestens 36 Kinder in der von 1897 bis 1972 bestehenden Schule ums Leben kamen. „Aufgrund der Gespräche mit früheren Schülern ist die tatsächliche Zahl wohl signifikant höher“, hatte 2015 die Wahrheits- und Versöhnungskommission festgestellt.

Die Datenlage bis in die 1930er und 1940er Jahre ist sehr lückenhaft. Es gibt zwar von etlichen Schulen Jahresberichte, die die Zahl verstorbener Kinder melden, aber nur wenig Informationen, um wen es sich handelt. Die kanadische Regierung hatte 2022 Kimberley Murray, eine Juristin aus der Kahnesatake Mohawk Nation und frühere Vizejustizministerin Ontarios, zur Sonderbeauftragten für die Suche nach unmarkierten Gräbern ernannt. Sie berichtete jetzt unter anderem, dass zwischen 1936 und 1944 rund 200 000 Akten im „Ministerium für indianische Angelegenheiten“ vernichtet worden seien.

Manche leugnen, was in den Internaten passiert ist

Es gibt in Kanada einige, die das Schlimme leugnen, das in den Internaten passierte. Sie verweisen darauf, dass bisher nur von „mutmaßlichen“ Gräbern gesprochen werde. Jim Miller, emeritierter Geschichtsprofessor der Universität von Saskatchewan, widerspricht. Zwar gebe es noch keine eindeutigen Ergebnisse, es sei aber wichtig herauszufinden, was mit den Kindern passiert sei.

Es sei bekannt, dass vor allem in den westlichen Provinzen eine große Zahl von Kindern in Residential Schools Krankheiten erlegen seien, sagte er dieser Zeitung. „Wir wissen, dass Kinder nicht mehr nach Hause zurückkehrten.“ Es sei aber notwendig, Gewissheiten zu bekommen: „Ja, es ist eines der schlimmsten Kapitel der kanadischen Geschichte. Eine beschämende Geschichte.“

Ausgrabungen sind heikel

Vorsicht
 Die endgültige Bestätigung von Gräberfunden dauert lange, weil die Suche sehr vorsichtig vorgenommen wird. Die Gräber sind für die Ureinwohner eigentlich heilige Stätten und sollen möglichst unberührt bleiben. Einige First Nation wünschen Ausgrabungen, andere lehnen dies ab.

DNA-Spuren
 Beim Internat von Lebret sollen an den Stellen, an denen Radar „Anomalien“ des Bodens zeigte, erst mit Sonden Bodenproben entnommen und auf DNA-Spuren untersucht werden.