Kim Kulig stammt aus dem Ammertal – und ist derzeit Co-Trainerin bei den Bundesliga-Frauen des VfL Wolfsburg. Foto: Imago// Leifer

Obwohl die deutsche Mannschaft von ihrer Dominanz vergangener EM-Turniere eingebüßt hat, sieht Ex-Nationalspielerin Kim Kulig gute Chancen für die DFB-Elf. Allerdings habe man im Frauenfußball hierzulande einige Entwicklungsschritte verschlafen.

Kim Kulig begann ihre aktive Karriere einst beim VfL Sindelfingen in der zweiten Liga, wurde später Fußball-Nationalspielerin – und ist aktuell Co-Trainerin beim Doublesieger VfL Wolfsburg. Weil viele andere Nationen aufgeholt haben, wird es aus Sicht der 32-Jährigen bei der an diesem Mittwoch beginnenden Fußball-EM in England im Titelkampf deutlich enger zugehen als einst gewohnt. Zunächst gilt es für die DFB-Elf die schwere Vorrundengruppe zu überstehen.

Frau Kulig, als gebürtige Schwäbin sind Sie jetzt im zweiten Jahr beim VfL Wolfsburg als Co-Trainerin tätig. Vermissen Sie Ihren Heimatort Poltringen und das Ammertal?

Ich bin immer gerne zu Besuch, weil meine Familie ja dort lebt und zudem auch viele andere Menschen, die mir wichtig sind. Leider klappt das durch den Fußball nicht so oft. Auch wenn ich jetzt in Norddeutschland wohne, kommt auch hier die Schwäbin in mir häufiger raus: Sei es etwa bei der Sprache - oder wenn ich merke, dass ich schon mal aufs Geld achte. Ich bin stolz auf meine Heimat und meine Wurzeln.

2015 mussten Sie Ihre Karriere als 33-fache Nationalspielerin mit chronischen Knieschmerzen vorzeitig beenden. Wie soll es bei Ihnen im Fußball nun weitergehen?

Ich habe mich nach dem Ende meiner aktiven Zeit in vielen Bereichen umgesehen, habe unter anderem beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) im Bereich Teammanagement gearbeitet. Letztlich hat es mir aber sehr gefehlt, auf dem Platz zu stehen. Ich fühle mich daher in meinem aktuellen Job total wohl, denn ich arbeite gerne im Team, mit dem man gemeinsame Ziele verfolgt. Für die Zukunft sehe ich mich ganz klar weiterhin als Trainerin. Wenn es die richtige Zeit dafür ist, auch gerne in der ersten Reihe.

Mit Kapitänin Alexandra Popp oder Svenja Huth haben Sie noch selbst im Nationalteam zusammengespielt. Was erwarten Sie von der deutschen Elf bei der EM in England?

Wir haben viele ganz starke Spielerinnen im Team, die jede Menge Talent mitbringen. Daher zählen wir sicher mit zum Favoritenkreis bei dieser EM. Die Qualität, um zunächst einmal ins Halbfinale zu kommen, die ist eindeutig vorhanden. Aber wichtig ist es in einem Turnier vor allem, auf den Punkt da zu sein und als Einheit aufzutreten. Auch die Mentalität des Teams wird geprüft werden: Wie geht man etwa mit möglichen Rückschlägen um?

Die DFB-Elf ist achtmaliger Europameister. Doch die anderen Länder haben aufgeholt.

Das stimmt. Die Strukturen im Frauenfußball werden in zahlreichen Ländern immer besser, so dass sich der Favoritenkreis bei der Europameisterschaft über die Jahre vergrößert hat. An der Spitze herrscht inzwischen ein sehr hoher Konkurrenzkampf. Kleine Details werden daher am Ende entscheiden. Ich bin also sehr gespannt, was das Turnier bringen wird: Die Vorrundengruppe der Deutschen mit Vize-Europameister Dänemark und den Spanierinnen ist jedenfalls sehr stark. Wichtig wird das erste Spiel gegen die Däninnen sein. Denn ein guter Start gibt viel Auftrieb.

Warum hat die DFB-Elf ihren Nimbus als klare Nummer eins in Europa eingebüßt?

Die anderen Nationen haben richtig gut gearbeitet. Nehmen wir die Engländerinnen, die viel an der Struktur ihrer Liga gearbeitet haben. Auch in der Frage, wie man den Frauenfußball gekonnt vermarktet, können wir uns von ihnen eine Scheibe abschneiden. Da sind wir etwas ins Hintertreffen geraten. International nimmt die Masse an guten Fußballerinnen zu. Daher sind wir gefordert, unseren Spielerinnen künftig die optimalen Bedingungen zu bieten.

Gerade bei der Heim-WM 2011, als Sie sich im Spiel gegen Japan einen Kreuzbandriss zugezogen haben, hat der Frauenfußball in Deutschland einen unheimlichen Hype erlebt. Wo steht man im Vergleich zu damals?

In Deutschland war dieses Turnier der bisherige Höhepunkt. Es war ein herausragendes Event mit einer einmaligen Stimmung für den Frauenfußball. Dass wir bereits im Viertelfinale ausgeschieden sind, hat sicherlich nicht geholfen. Danach hat man ein paar Entwicklungsschritte verschlafen – da haben es einige Nationen sicherlich besser gemacht.

Die Zahl der aktiven Spielerinnen ist rückläufig. Beim DFB hat man daher das Programm „Fast Forward 27“ aufgelegt, mit dem in den kommenden fünf Jahren den Frauenfußball stärken will. Ist diese Aktion bitter nötig?

Unser Sport kann breite Unterstützung gebrauchen, jede Investition ist wichtig – und die muss nicht immer nur finanzieller Natur sein. Das Ziel muss sein, die Strukturen im deutschen Frauenfußball insgesamt auf ein höheres Level zu heben. Die Unterschiede sind zum Beispiel zwischen den zwölf Bundesligateams einfach zu groß. Damit meine ich etwa die professionellen Bedingungen, unter denen wir hier in Wolfsburg arbeiten können – verglichen mit den Möglichkeiten einiger anderer Clubs. Zudem gibt es zu wenige Frauen, die den Trainerberuf anstreben. Da ist in den vergangenen Jahren wenig passiert.

Sie sind ein bekanntes Gesicht des Frauenfußballs, analysieren unter anderem auf einem Bezahlsender Champions-League-Spiele der Männer. Was können Sie ihrer Sportart persönlich geben?

Ich sehe mich da total in der Pflicht, etwas Positives für den Frauenfußball zu bewirken. Dabei möchte ich etwa auch bei meinen Spielanalysen zeigen, dass wir Frauen im Fußball viel Qualität zu bieten haben. Häufig wird mir in Deutschland bei notwendigen Veränderungen einfach zu viel geredet. Es geht aber jetzt darum, entschieden zu handeln. Der Frauenfußball sollte sich seine Chancen selbst erarbeiten – und diese dann auch nutzen, um wieder schrittweise nach vorne zu kommen. Nur so wird es gehen.

Deutscher EM-Auftakt gegen Dänemark

Gruppen
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen bestreitet ihr EM-Auftaktspiel als Kopf der Gruppe B am Freitag (21 Uhr/ZDF). Dann trifft die Elf von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg im Community Stadium von Brentford, einem Stadtteil von London, auf den Vize-Europameister Dänemark. Weitere Gruppengegner sind die stark eingeschätzten Spanierinnen sowie das Team aus Finnland.

Turnier
Die 16 Mannschaften des EM-Turniers treten in vier Vierergruppen an. Nur die jeweils Ersten und Zweiten jeder Gruppe erreichen das Viertelfinale. England bestreitet das Eröffnungsspiel im Old Trafford in Manchester gegen Österreich an diesem Mittwoch (21 Uhr/ARD). Das Endspiel steigt am 31. Juli im Londoner Wembley-Stadion. Titelverteidiger sind die Niederlande.